"Gundermann" auf Arte:Troubadour vom Tagebau

Filmstills "Gundermann" (Kinostart am 23.98.18); © Pandora Film

Alexander Scheer spielt Gerhard Gundermann als kauzige, schluffige Gestalt in ausgebeulten Jeans und unförmigen Hemden.

(Foto: Pandora Film)

Andreas Dresen erzählt vom DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann. Nun läuft das Biopic auf Arte.

Von Annett Scheffel

Diese Rezension wurde zum Kinostart von Gundermann im August 2018 erstmalig veröffentlicht. Zur TV-Ausstrahlung publizieren wir den Text erneut. Der Film läuft am Mittwochabend um 20.15 auf Arte.

Für manche Biografien, hat man manchmal das Gefühl, ist ein einziges, kurzes Leben eigentlich zu klein. Geschweige denn zwei Stunden Film. Eine dieser Geschichten, in der so viele innere und äußere Widersprüche aufeinandertreffen, ist die von Gerhard Gundermann. Jener 1998 verstorbene DDR-Liedermacher und melancholisch-kritische Texter, der die zweite Hälfte seines Lebens in den einsamen Glaskuppeln der großen Schaufelradbagger im Lausitzer Braunkohlerevier verbrachte. Der auch noch weiter im grauen Staub des Tagebaus - auf seinem "Fabrikplaneten" - arbeiten wollte, als er es in den Nachwendejahren schon längst zu einiger Berühmtheit gebracht hatte und im Vorprogramm von Bob Dylan spielte. Der als glühender Kommunist Arbeit und Kunst zusammenführen wollte und sich dann doch in den realpolitischen Fallstricken verfing. In den Neunzigern kam heraus, dass er für die Stasi als inoffizieller Mitarbeiter Freunde und Kollegen bespitzelt hatte. Deckname: Grigori.

Nach einem Drehbuch von Laila Stieler tastet sich Regisseur Andreas Dresen in "Gundermann" auf zwei Zeitebenen an diese widersinnige, kauzige Figur heran. 1992 ist er gerade dabei, eine neue Band zusammenstellen, um mit seinen Liedern über die Nachwende-Tristesse wieder auf Tour gehen. Da holt ihn mit der Veröffentlichung der Stasiunterlagen seine Vergangenheit ein. Und fortan muss er unter dem Gewicht der Schuldfragen gegen das Zerbröseln seines Selbstbildes ankämpfen. Parallel dazu läuft dieses erinnerte Leben noch einmal in Rückblenden ab: 1975 ist der Querdenker Gundermann, "Gundi", wie ihn alle nennen, gerade von der Militärschule geflogen, heuert im Tagebau an und komponiert nebenbei Lieder für seinen Singeklub Brigade Feuerstein. Hier beginnt auch die Liebesgeschichte mit seiner späteren Frau Conny und seine Verstrickungen mit Stasi.

Alexander Scheer spielt Gundermann als kauzige, schluffige Gestalt in ausgebeulten Jeans und unförmigen Hemden, mit unbeholfenen Blicken durch riesigen Brillengläser, die er immer wieder schnaubend die Nase hochschiebt. Und er spielt ihn als klugen Denker, der in den einsamen Stunden in der Mondlandschaft des Braunkohlelochs Gedanken in sein Diktiergerät spricht.

Wer war Gerhard Gundermann? War er Täter oder Opfer? Es ist die große Stärke von Dresens Film, dass er diese Fragen nie ganz beantwortet - oder wenn, nur mit einer Ansammlung von Widersprüchlichkeiten. Lieber schickt er seinen Gundermann in ein Spiegelkabinett aus Schuld und Idealismus: auf die unübersichtlichen Irrwege zwischen falscher Erinnerung, Verdrängung und der übrig gebliebenen Liebe zu seinem, zu einem verschwundenen Land.

Wie kompliziert es hier mitunter zugeht, führt Dresen gleich zu Beginn vor: Da besucht der Gundermann 1992 einen alten Freund und Kollegen (Milan Peschel), um ihm zu beichten, dass er für die Stasi Berichte über ihn abgegeben hat. Der blickt für einen langen Moment verdutzt, stürzt dann in sich hinein grinsend einen Wodka herunter und gesteht: "Ich hab' dich auch bespitzelt." Wie in einem Spiegel verdoppelt sich hier die Schuld. Schickt sie zwischen diesen beiden Nachwendeexistenzen durch das karge Plattenbauwohnzimmer hin und her. Und löst sie doch nicht auf. "Ich habe mich mit der DDR eingelassen, mit wem auch sonst", wird Gundermann später auf einem Konzert sagen. "Ich habe ausgeteilt und eingesteckt."

In Szenen wie diesen merkt man, dass Andreas Dresen Gundermann hier nicht nur als Biografie erzählen will, sondern vor allem als Fragment deutsch-deutscher Geschichte. Und zwar ohne den verklärenden Blick von Ostalgie-Komödien wie "Sonnenallee" oder "Good Bye, Lenin". Und ohne einigermaßen klare Opfer-Täter-Strukturen wie in "Das Leben der Anderen". Vielleicht braucht es für die Art, wie sich "Gundermann" auf die Ambivalenzen seiner Figur einlässt, einen gewissen Grad an historischer Abkühlung. Vielleicht auch die innere Zerrissenheit im Osten sozialisierter Filmemacher (Dresen ist 1963 in Gera geboren, Laila Stieler 1965 in Neustadt an der Orla). In jedem Fall stellt ihr Film viele Fragen nochmal neu. Darf man aus Liebe zu seinem Land seine Freunde verraten? Oder ist das unentschuldbar? Ein Mitarbeiter in der Gauck-Behörde, in der Gundermann seine Akte einsehen will, schmettert ihm einmal seine Wahrheit ins Gesicht: Man könne auch Kommunist sein, ohne ein Schwein zu sein. Dass Gundermanns Wahrheit eine andere ist, hat man da schon längst kapiert. Sein Kampf ist auch der gegen das trügerische Wesen der Erinnerung.

Dresen kreist Gundermanns Leben umso genauer ein, je länger er suchend darin herumtastet. Er lässt die Widersprüche stehen, die sich daraus ergeben. Zeigt Gundermann als Stasispitzel und widerspenstigen Künstler, der wegen zu viel eigener Meinung aus der SED fliegt. Als feigen Verräter und polternden Idealist. Mit Alexander Scheer hat Dresen einen Mann gefunden, der die vielen Gesichter dieses ambivalenten Wesens in einer Rolle vereinen kann. Ein Mann, der mit der Vergangenheit hadert und trotzdem das Gefühl nicht ablegen kann, vielleicht doch im richtigen System gelebt zu haben. Er habe, sagt er einmal einen dieser schönen spröden Gundermann-Sätze, auf das richtige Pferd gesetzt, dieses Pferd habe leider nur verloren.

Gundermann, D 2018 - Regie: Andreas Dresen. Buch: Laila Stieler. Kamera: Andreas Höfer. Schnitt: Jörg Hauschild. Mit: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Milan Peschel. Pandora, 128 Minuten.

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