Politischer Volksfestdienstag:Die grüne Welle

Politischer Volksfestdienstag: So sieht ein Mann aus, der ein ganzes Volksfestzelt begeistern kann: Robert Habeck (Mitte).

So sieht ein Mann aus, der ein ganzes Volksfestzelt begeistern kann: Robert Habeck (Mitte).

(Foto: Toni Heigl)

Eine Bierzelt-Rede, das kann nur die CSU? Von wegen. Grünen-Parteichef Robert Habeck begeistert bei seinem Auftritt auf dem Dachauer Volksfest 1800 Menschen

Von Viktoria Großmann, Dachau

Mitgliedsanträge! Wo sind die Mitgliedsanträge? Nach der Rede des Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck am Dienstagabend im Festzelt auf der Dachauer Thoma-Wiese stehen auf einmal drei junge Leute vor Kreisrätin Marese Hoffmann und möchten bei den Grünen eintreten.

Es ist vermutlich der größte Erfolg in der Geschichte des Dachauer Orts- und Kreisverbandes der Grünen. 65 Mitglieder hat der Kreisverband, mindestens 1800 Menschen füllen das Zelt am politischen Volksfestdienstag. Voller kann es auch bei der CSU - zumindest an den Tischen - nicht werden. Einige Gäste erobern noch die Empore. Es ist eine Premiere für die Grünen und es ist auch eine Premiere für den stellvertretenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Robert Habeck. Noch nie habe er in einem Bierzelt vor so vielen Menschen gesprochen, sagt er. "Ich denke immer, ich bin vielleicht nicht lustig genug", sagt der Norddeutsche und bedankt sich bei den Dachauern und Bayern, dass sie einen "Fischkopf wie mich" reden lassen.

Schenkelklopfer hat Habeck nicht auf Lager. Dafür auch keine Schreckensszenarien. An der CSU lässt er kein gutes Haar. Die Partei habe im Abgas-Skandal "alles falsch gemacht". Sie poche auf die Einhaltung von Recht und Gesetz. "Aber nur, wenn es gegen die Schwachen geht." Nur wenn es um die Abschiebung Geflüchteter geht. Nicht wenn es um das Fehlverhalten von Automobilbossen geht. "Kein Land gehört einer Partei", ruft er unter stürmischem Applaus. Doch Habeck geht es um mehr als Kritik an der CSU. Er will eine Wende. Politik statt Machtspiele.

Dabei zieht er feine Grenzen. Eine Grenze in der Demokratie verlaufe zwischen den Institutionen eines Staates und der Arbeit einer Partei. Harsch kritisiert er die politische Entscheidung, den Gefährder Sami A. abzuschieben, womit ein Gerichtsurteil ignoriert wurde. "Das kommt von dem Gedanken, eine politische Justiz haben zu wollen." Das Innenministerium sei der Verfassungswahrer. Er hege keine Sympathie für Sami A. Doch: "Gerichte müssen nicht auf das Volksempfinden achten, sondern auf die Einhaltung der Gesetze." Habeck erhebt in Dachau eine eindringliche Mahnung: "Wenn sich eine Partei einen Staat zur Beute macht, dann haben wir keine souveräne Demokratie mehr."

Habeck steht ganz vorne am Rand der Bühne, nicht einmal in der Mitte. Kein Pult, kein Stuhl, kein Tisch, nichts zum Festhalten. Erschienen ist er pünktlich um 19 Uhr. Ohne Tusch und ohne Tross. Unbemerkt vom größten Teil des Publikums zwängt er sich auf die Bierbank, begrüßt die grüne Basis, die Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer und die bayerische Spitzenkandidatin Katharina Schulze, die vor ihm das Wort hat. Sicherheitsvorkehrungen gibt es kaum. Einige Grüne haben sich für den Abend als Ordner gemeldet, am Eingang steht Marese Hoffmann, bis vor Kurzem auch Kreisvorsitzende und übernimmt die obligatorische Taschenkontrolle. Auf der Bühne spielt eine Band, zu deren Musik nicht geschunkelt wird. Es wird getanzt, und nicht nur am SPD-Tisch, auch mitgewippt. Leo Meixner und seine Formation Cubaboarisch 2.0 verbinden karibischen Rhythmus mit bayerischem Schmiss. "Das Akkordeon der Republik", nennt die Habeck die Band. Sie verbinde "Tradition und Aufbruch". Genau das wollen auch die Grünen.

Die Erfolgswelle, auf der die Grünen derzeit schwimmen, reißt sichtbar auch die Dachauer mit. Die 29 Jahre alte Stadträtin Luise Krispenz begrüßt souverän das Riesenpublikum, als ob sie nie etwas anderes getan hätte. Landtagskandidat Thomas Kreß, auch in schlichten Ausschusssitzungen im Stadtrat nie um zugespitzte Parolen verlegen, stellt fest, dass er auch vor einem vollen Festzelt seine Überzeugungen vertreten kann. Dem etwas schüchternen, dafür fachkundigen Bezirkstagskandidaten Anton Speierl hilft Moderator Johannes Becher locker über die Bühne. Zu besichtigen sind Mitglieder einer Partei, die mit sich selbst im Reinen ist. Die nicht zusammenhalten, weil sie müssen, sondern weil sie es wollen.

Luise Krispenz kündigt die kaum ältere Landtagskandidatin Katharina Schulze an. Der Unterschied zu anderen Parteien ist bei den Grünen auch sichtbar. "Es ist keine Zeit mehr für die Gleichheit der alten Männer", ruft Schulze. Mit offenbar unerschöpflicher Stimmkraft fordert sie in ihrer Bierzelt-Festrede "keine Schlagbäume im vereinigten Europa", flächendeckenden Mobilfunk, einen Glasfaseranschluss in jedes Haus, ein ordentliches Bus-Angebot auch auf dem Land. Flüchtlinge sollen helfen dürfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Nicht nur die CSU, auch die SPD kriegt ihr Fett weg. Die Genossen sollen mit dafür sorgen, dass die Sicherheit Afghanistans neu bewertet wird. Zum Abschluss ein Satz, wie ihn vielleicht nur Grüne sagen können: "Liebe ist stärker als Hass."

Viele Besucher applaudieren stehend, von den Grünen aus Orts- und Kreisverband ist nach den Reden immer wieder ein Satz zu hören: "Ich bin so glücklich!" Ein wenig mussten die Grünen im Stadtrat wohl ermutigt werden, das Festzelt zu übernehmen. Nachdem das Volksfest nach dem Besuch von Angela Merkel 2013 zunächst von der Politik verschont blieb, kam im Wahlkampf vor einem Jahr Horst Seehofer. Nächstes Jahr ist die SPD dran. Fast alle Dachauer Stadtratsfraktionen halten ihren grünen Kollegen die Stange, einige Fraktionen sind vollzählig vertreten. Landrat Stefan Löwl (CSU) war unter den ersten, die Tische reservierten. CSU-Stadträtin Gertrud Schmidt-Podolsky möchte sich gerne den möglichen Koalitionspartner anschauen. Löwl betont Gemeinsamkeiten, verzichtet aber nicht auf das übliche CSU-Urteil, die Grünen müssten mal erklären, wie sie ihre Wünsche umsetzen wollen.

Robert Habeck zeigt an diesem Abend nicht nur, dass die Grünen selbstkritisch sein können. Er spielt auf eine in der Vergangenheit oft kritisierte Regelungswut an. Vor allem zeigen die Grünen, dass sie mehr wollen als ein Heftpflaster. Sie wollen eine richtige Arznei: Einen neuen Stil in der Politik. Oder Wie Habeck sagt: "Eine liberale Demokratie."

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