Mein Leben in Deutschland:Wohin sollen wir zurück?

Mein Leben in Deutschland: Ein Bild aus dem syrischen Idlib im September 2018.

Ein Bild aus dem syrischen Idlib im September 2018.

(Foto: AFP)

Unser syrischer Gastautor sorgt sich aufgrund der zugespitzten politischen Debatte um seine Zukunft und die anderer Flüchtlinge in Deutschland.

Kolumne von Yahya Alaous

Viele syrische Flüchtlinge in Deutschland stehen wegen ihrer Zukunft unter Stress. Sie fürchten, dass sie eines Tages aufwachen und von einer neuen Entscheidung hören werden: der, dass sie umgehend zurückgeschickt werden. Oder dass das Sozialgeld, das viele bekommen, einfach gestrichen oder stark gekürzt wird. Oder aber, dass plötzlich andere strenge Gesetze, die sie und ihr Leben hier betreffen, in Kraft treten.

Drei Jahre nach der so genannten "Flüchtlingskrise" müssen wir zugeben, das bislang noch keine dieser Ängste wahr wurden. Doch die aktuelle Zuspitzung der Debatte um die Zukunft Flüchtlinge ist nicht zu übersehen. Viele der syrischen Flüchtlinge hatten früher nichts mit Politik am Hut, aber nun sind sie mehr als vertraut mit Namen wie Horst Seehofer, Heiko Maas oder der Alternative für Deutschland. Durch die Diskussion wachsen die Ängste vor einer Abschiebung in ein Land, das weiterhin im Krieg, in Chaos und Instabilität liegt.

Yahya Alaous

arbeitete in Syrien als politischer Korrespondent einer großen Tageszeitung. Wegen seiner kritischen Berichterstattung saß der heute 43-Jährige von 2002 bis 2004 im Gefängnis, sein Ausweis wurde eingezogen, ihm wurde Berufsverbot erteilt. Nach der Entlassung wechselte er zu einer Untergrund-Webseite, die nach acht Jahren vom Regime geschlossen wurde. Während des Arabischen Frühlings schrieb er unter Pseudonym für eine Oppositions-Zeitung. Als es in Syrien zu gefährlich wurde, flüchtete er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Deutschland. Seit Sommer 2015 lebt die Familie in Berlin. In der SZ schreibt Yahya Alaous regelmäßig über "Mein Leben in Deutschland".

Jedes Treffen, in dem sie zum Thema werden, lässt Syrer misstrauisch aufhorchen. So wie das Treffen zwischen Frau Merkel und Herrn Putin, oder auch das Treffen mit Herrn Lawrow im vergangenen Monat. Zuvor hatten viele Medien berichtet, dass Russland plane, etwa 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge wieder in Syrien anzusiedeln. Da sich Ängste und Gerüchte blitzschnell verbreiten, bedarf es nur eines falsch interpretierten offiziellen Statements und stundenlang wird in allen Flüchtlingsgemeinschaften weltweit über nichts anderes mehr gesprochen.

Um zur russischen Rückführungsinitiative zurückzukommen: Wohin werden die Geflüchteten zurückkehren? Nach Moskau? In eines der nach Angaben der Weltbank drei Millionen zerstörten Privathäuser in Syrien? Oder vielleicht in eine der Gegenden, die immer noch vom so genannten "Islamischen Staat" attackiert werden? Oder vom syrischen Regime selbst, mit Hilfe der Russen? Sollen sie in Dörfer zurück, die aufgrund der Luftschläge sogar von den neuesten Satellitenaufnahmen gelöscht worden sind?

Vielleicht werden sie in Städte ohne Basisversorgung zurückkehren. Ohne Wasser, ohne Strom, ohne Schulen und ohne Krankenhäuser - aber unter Kontrolle des Regimes und den Milizen, die weiterhin Menschen mit verdächtigen Beziehungen oder religiösen Besonderheiten verhaften? Oder werden die Rückkehrer ein Geschenk an das Assad-Regime sein, da sie einfach der Wehrpflicht unterworfen und somit an die heißen Fronten geschickt werden können?

Die Leben der Flüchtlinge in Deutschland sind nicht mehr so, wie sie vor drei Jahren waren. Viele sprechen mittlerweile Deutsch und sind nicht mehr vollständig von der Hilfe der deutschen Aktivisten und der Willkommensvereine abhängig, die viele von der ersten Minute an hier erhalten durften. Viele Syrer haben auch eine erste kleine Beschäftigung gefunden und sind damit weniger vom Staat abhängig, andere schaffen es bereits, sich ganz ohne staatliche Unterstützung zu finanzieren. Andererseits gibt es aber auch viele, die ihre Zukunft nicht hier sehen und die sich dazu entschließen, zurückzugehen. Manche kehren in die Türkei zurück, manche nach Syrien - vielleicht haben sie sich freiwillig entschieden, in ein unbestimmtes Schicksal zu gehen.

Flüchtlinge wissen, dass Frau Merkel immer noch an der Macht ist, aber sie kann die Flüchtlingspolitik nach den letzten großen Wahlverlusten nicht mehr einfach so alleine managen. Die Flüchtlinge wissen, dass die CDU mittlerweile einen anderen Blick auf sie hat. Sie glauben aber auch, dass die gute Meinung über sie unter der deutschen Bevölkerung weiterlebt und dass sie beschützt werden können, bis sie zurück können.

Der Gedanke, dass Flüchtlinge hierhergekommen sind und nicht mehr nach Hause zurückkehren wollen, ist nicht richtig. Tausende Geflüchtete hoffen weiterhin darauf, so schnell wie möglich zurückzukehren. Sie wollen zurück, um sich ihrer Besitztümer, ihrer Häuser, ihrer Ländereien anzunehmen. Sie wollen ihre Großfamilien wiedersehen. Sie werden zurückkehren und am Wiederaufbau eines kriegszerstörten Landes teilnehmen. Aber sie warten auf einen wirklichen politischen Wandel, einen Übergang und ein sicheres, von den Vereinten Nationen geregeltes Nachhausekommen. Denn nur so wird ihnen eine sichere Rückkehr in ein sicheres Leben in ihrem alten Land möglich sein.

Übersetzung: Jasna Zajček

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