Schule:Die Lehrerbildung muss generalüberholt werden

Studenten

Das Lehramtsstudium muss sich verändern, fordert Klaus Zierer.

(Foto: dpa)

Pädagogen sollten endlich lernen, im Team zu arbeiten und Herausforderungen gemeinsam zu lösen - am besten schon im Studium.

Gastbeitrag von Klaus Zierer

Womöglich hat man sich an die Schlagzeilen zur Sommerpause schon gewöhnt: In Deutschland fehlen Lehrer. Und wenn man einer Reihe von Studien Glauben schenken darf, wird sich das so schnell nicht ändern. Die Folge ist, dass sich die Bundesländer in einen Wettbewerb begeben: Wem gelingt es, die Lehramtsabsolventen für sich zu gewinnen? Zugleich werden Frühpensionierungen nicht mehr genehmigt, und Quereinsteiger stehen auf der Liste der Lösungen weit vorne. Sie sollen nach einem Crashkurs die Lücken schließen. Vermutlich wird es - wie all die Jahre zuvor - wieder gelingen, die strukturbedingte Krise der Lehrerbildung zu lösen. Und damit wird es wohl wieder gut sein mit der Medienpräsenz des Themas "Lehrerbildung".

Aber vielleicht lohnt es sich, diese Verteilungskrise nicht nur als Strukturproblem zu sehen, sondern auch als Chance, Lehrerbildung insgesamt zu hinterfragen. Der Lehrerberuf ist zu wichtig, als dass man ihn auf statistische Anforderungen reduzieren darf, die zu erfüllen sind. Die genannten Crashkurse für Quereinsteiger machen es deutlich: Sie müssen optimal zu den Herausforderungen unserer Zeit passen. Aber vor welchen Herausforderungen stehen wir und welche Lehrer werden dafür gebraucht? Nimmt man die Nachhaltigkeit als ein, vielleicht das Schlüsselproblem der Zeit, so zeigen sich drei Probleme, die dringend gelöst werden müssen:

Erstens: Weg vom Einzelkämpfer, hin zum Teamspieler. Lehrerbildung ist bis heute ein Einzelkämpfertum. Junge Lehrer werden früh dahingehend sozialisiert, alleine vor der Klassen zu stehen und alle Herausforderungen selbst zu lösen. Die klassischen Lehrproben absolviert man alleine - und so werden jedes Jahr Tausende Prüfungsstunden immer wieder neu erfunden. Globalen Herausforderungen wird man mit diesem Berufsverständnis nicht gerecht: Gesellschaftliche Entwicklungen sind nicht nur komplexer geworden, sondern auch schneller. Mehr denn je ist Teamgeist gefordert. Alle Probleme im Kontext der Nachhaltigkeit untermauern dies. Ob Banken- und Finanzkrisen, Krieg und Flucht, Plastikmüll und Elektroschrott: All diese Themen erfordern ein Miteinander.

Da passt es ins Bild, was Studien zur Lehrerprofessionalität belegen: Diese entwickelt sich am besten in einer Kooperationskultur, in der Fehler willkommen sind und gemeinsam an ihnen gearbeitet wird. Lehrerbildung muss stärker diesen Teamgedanken fordern und fördern. Bereits an den Universitäten müssen Lehr- und Prüfungskonzepte implementiert werden, die diese Zusammenarbeit anbahnen.

In der zweiten Phase müssen Prüfungsformate hinzukommen, in denen es nicht nur um die Einzelleistung geht, sondern auch um das Kollektiv, nicht nur um fehlerfreie Stunden, sondern auch um den Umgang mit Fehlern in den Stunden. Denn es gibt keinen Unterricht, in dem alles perfekt läuft.

Der Lehrerberuf braucht im Sinne eines lebenslangen Lernens eine dritte Phase, die von Austausch und Kooperation geprägt ist. Netzwerke, in denen Lehrer zusammenarbeiten, Koalitionen von Experten im kleinen Kreis, aber auch auf Landes- und Bundesebene, können diese Gedanken weitertragen.

Der Lehrerberuf ist nicht nur Beruf, sondern auch Berufung

Zweitens: Weg von Moden, hin zu Evidenz. Kaum ein gesellschaftliches Feld unterliegt so vielen Moden und Mythen wie die Schule. Waren es gestern architektonische Spielereien, sind es heute digitale Medien, mit denen Bildungsrevolutionen versprochen werden. Meistens müssen wir aber erkennen, dass es diese Revolutionen nicht gibt. Empirische Studien zeigen, dass gewisse Grundprinzipien des Lernens und Lehrens überdauern: Lernen braucht eine positive Lehrer-Schüler-Beziehung, eine Kultur des Fehlers, herausfordernde Ziele, die nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer sind, Phasen der Übung und Vertiefung sowie Einsatz und Anstrengung bei allen Bildungswegen. Diese verlaufen nicht immer geradlinig, sondern immer wieder über Um- und Irrwege.

Drittens: Weg vom Wissensvermittler oder Lerncoach, hin zum Bildungsagenten. Immer wieder tauchen pädagogische Kampfbegriffe auf, mit denen versucht wird, das Alte über Bord zu werfen und das Neue anzupreisen. So wichtig diese Diskussionen sind, in ihrer Ausschließlichkeit verkennen sie den Kern des Pädagogischen: Lehrer sind Bildungsagenten. Ihre Aufgabe ist es nicht, bloßes Wissen zu vermitteln oder nur Begleiter für Lernprozesse zu sein. Vielmehr geht es um Bildung und damit um den Menschen mit seinen Möglichkeiten und Grenzen. Dieses Bewusstsein zu wecken, ist zentrale Aufgabe einer zukünftigen Lehrerbildung. Dafür reicht es nicht aus, Lehrern Fachkompetenz zu vermitteln. So wichtig diese ist, es braucht ebenso viel pädagogische und didaktische Kompetenz. Alle drei Kompetenzen benötigen als Basis eine professionelle Haltung, die sich als roter Faden durch die Phasen der Lehrerbildung ziehen sollte.

Klaus Zierer

Klaus Zierer, 42, ist Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg.

(Foto: Uni Augsburg/OH)

Der Lehrerberuf ist nicht nur Beruf, sondern auch Berufung, bei der es um normative Fragen, Werte, ethische Entscheidungen geht. Die damit verbundenen Gründe offenzulegen und mit Erkenntnissen aus der Forschung immer wieder zu reflektieren, ist Gegenstand einer Lehrerbildung, die Schlüsselprobleme nicht nur als etwas Gegebenes sieht, sondern auch als Herausforderung wahrnimmt. Nachhaltigkeit ist hierfür erneut ein überzeugendes Beispiel. Sie erfordert nicht nur Wissen und Können, sondern auch Herz und Charakter - nicht nur von den Lernenden, sondern auch und vor allem von den Lehrenden. Diese stehen für etwas, haben eine Haltung, die vorbildgebend ist und auch sein muss.

Angesichts der dargestellten Überlegungen werden mehr denn je Lehrerinnen und Lehrer gebraucht, die hinter ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag stehen. Mehr denn je bedarf es des Nachdenkens über Bildung und Erziehung, über Pädagogik und Didaktik, um dem Tempo der Welt nicht zu erliegen, sondern die damit verbundenen Herausforderungen meistern zu können. Mehr denn je bedarf es einer Fokussierung auf die Menschen, anstelle immerzu wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund von Bildung zu stellen. Folglich sind Umdenken und Neuausrichtung in der Lehrerbildung notwendig.

Dies gilt nicht zuletzt für die zahlreichen Crashkurse, die in den nächsten Wochen und Monaten stattfinden werden, um Quereinsteiger auf den Lehrerberuf vorzubereiten. Wenn hier die Weichen falsch gestellt werden, leiden nicht nur die Quereinsteiger darunter, sondern auch und vor allem die Kinder und Jugendlichen. Der derzeitige Lehrermangel könnte folglich helfen, Lehrerbildung neu zu denken: mehr Mut zu Professionalisierung und Haltung.

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