Doping in der DDR:Denn sie wussten, was sie schluckten

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Christian Schenk hat Doping zugegeben. (Foto: Norbert Schmidt/imago)

Früher machte der Olympiasieger Christian Schenk Dopingaufklärer nieder, jetzt gibt er Doping zu. Das zeigt den Widerspruch, der den deutschen Sport bis heute begleitet.

Kommentar von Johannes Knuth

Jetzt also auch Christian Schenk. Der ehemalige Zehnkämpfer war einst in den per Staatsplan verseuchten DDR-Sport eingespannt, er wusste damals schon über den Pharmamissbrauch Bescheid, wie er jetzt zugegeben hat. Er war sogar ein bisschen stolz, dass bei den Mahlzeiten irgendwann die Oral-Turinabol-Pillen auf seinem Teller lagen, die er wie Smarties futterte, denn: "Das bedeutete, dass ich in den Kader aufgenommen war, von dem besondere Leistung erwartet wurde." Und diese Leistung schaffte er dann auch, er wurde 1988 in Seoul Olympiasieger im Zehnkampf. Später gewann er EM-Gold und WM-Bronze für das wiedervereinigte Land; letztere Meriten habe er sauber errungen, beteuert Schenk. Gut, die Wirkung von Anabolika wie Turinabol, der klassische Schnellmacher des DDR-Sports, hält oft Jahre später an, das ist wissenschaftlich verbrieft. Aber mit solchen Kleinigkeiten hat sich der deutsche Sport nach der Wende nie großartig aufgehalten. Solange die Leistung stimmte, war alles gut. Und jetzt?

Dass Schenk ebenfalls von den DDR-Muskelmachern profitierte, überrascht wenig. Erhellender ist schon, wie er das Bild des Betrugs stützt. Zum Beispiel mit der Bekräftigung, dass viele Sportler, entgegen manch anderslautender Schilderung von früheren Aktiven, recht genau wussten, was sie da schluckten. Sie hatten schon damals einen Spitznamen für die Pillen ("blauer Blitz"), viele Athleten lagerten sie im Zahnputzbecher, das ist aus anderen Erzählungen bekannt. Manche lugten abends in den Becher des Zimmerkollegen, um die Dosis zu vergleichen, es ging ja auch um die interne Qualifikation: Wer fährt zu Olympia, wer darf ein bisschen Reisefreiheit genießen?

Leichtathletik
:Olympiasieger Schenk gibt Doping zu

1988 wurde Christian Schenk Zehnkampf-Olympiasieger, nun gibt er erstmals zu, wissentlich gedopt zu haben. Er spricht auch über eine bipolare Störung und dass er sich für Anis Amri gehalten habe.

Zum anderen schaffen Schenks Erinnerungen ein weiteres Forum für Aufarbeitung. Für die Spätfolgen des chemischen Missbrauchs etwa, die oft erst jetzt sichtbar werden, bei Kindern von Dopingopfern in der zweiten und dritten Generation. Viele Körper sind kaputt, viele Seelen zerstört, auch wenn Schenk einen Zusammenhang zwischen seinen späteren Depressionen und dem Anabolikakonsum nicht knüpfen kann (oder will). Der Graben zwischen Mythos und Realität ist jedenfalls noch immer ein mächtiger im deutschen Sport. Auch viele Kollegen im Westen haben ihre Dopinghistorie nie schlüssig aufgearbeitet. Stattdessen hievte der Deutsche Leichtathletik-Verband ausgewiesene Fachdoper in Chefpositionen (Bernd Schubert), kürte verurteilte Minderjährigen-Doper zum Trainer des Jahres (Thomas Springstein), beschäftigt bis heute Trainer mit DDR-Historie und leistet sich Lücken im Anti-Doping-Netz.

Das ist bis heute der große Widerspruch: Dass der deutsche Sport emsig an seiner Zukunft bastelt, mehr Medaillen fordert, die nicht selten nur mit chemischer Kraft zu holen sind - und dass er die vergiftete Vergangenheit bewältigt, indem er sie schlicht für vergangen erklärt. Schenk, der Dopingaufklärer wie Werner Franke einst niedermachte, erinnert jetzt auch an diesen Zwiespalt. Endlich!

© SZ vom 29.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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