CDU in Sachsen:Wie ein anderes Land

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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ist bisher nicht als Mann der klaren Haltungen aufgefallen. (Foto: REUTERS)

Die Bundes-CDU tut sich zunehmend schwer mit den Unions-Kollegen in Sachsen: Die preisen "Leitkultur" und "nationale Identitäten" - davon profitiert bislang vor allem die AfD.

Von Constanze von Bullion und Robert Roßmann, Berlin

Sachsen war einmal ein Quell der Freude für die Bundes-CDU - zumindest, was die Wahlergebnisse anging. Bei allen Landtagswahlen seit der Wiedervereinigung wurde die CDU stärkste Partei, 1994 kam sie sogar auf 58,1 Prozent. Doch diese Übermacht geht zu Ende. In der jüngsten Umfrage steht die CDU nur noch bei 30 Prozent, auch weil die AfD bei 25 rangiert. Bei der Bundestagswahl haben die Rechtspopulisten die CDU sogar überholt. Schuld daran ist nach Ansicht vieler in der Bundes-CDU auch der Landesverband selbst.

Stanislaw Tillich hat als Ministerpräsident dem Aufstieg der AfD viel zu lange tatenlos zugesehen. Und auch sein Nachfolger Michael Kretschmer ist bisher nicht als Mann der klaren Haltungen aufgefallen, sondern eher als politisches Chamäleon. Er versuche, es allen recht zu machen, und mache es damit niemandem richtig recht, heißt es in Berlin. In der CDU-Spitze hat man den Eindruck, dass die Sachsen-CDU aus Angst vor der AfD erstarrt ist.

Man nimmt mit Befremden war, dass sich viele Christdemokraten im Freistaat eher frühere Verhältnisse wünschen. Die Wiedervereinigung und die Einführung der D-Mark habe man dort noch gut gefunden, heißt es. Aber dann gebe es einen Bruch. Der Euro, die Globalisierung, die Freizügigkeit in der EU, die Migration, die Digitalisierung und alles, was damit zusammenhänge, werden nicht nur wegen mancher Folgen, sondern auch prinzipiell mit Befremden aufgenommen. Die kulturelle Differenz zur Kanzlerin, die seit vielen Jahren vor allem mit diesen Themen zu tun hat, ist entsprechend groß.

Besonders deutlich hat sich diese Differenz im September 2016 gezeigt. Damals kamen Michael Kretschmer, zu der Zeit noch Generalsekretär der Landes-CDU, und Sachsens Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) nach Berlin, um zusammen mit CSU-Politikern einen "Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur" vorzustellen. In dem Aufruf wurden neben der "Leitkultur" auch "Heimat und Patriotismus" als "Kraftquellen" der Gesellschaft gepriesen - und der "Aufbau starker nationaler und regionaler Identitäten" verlangt. CDU-Chefin Merkel, die erst am Sonntag wieder erklärt hat, wie sehr ihr Europa am Herzen liege, würde derlei vermutlich nie über die Lippen kommen - auch aus den anderen CDU-Landesverbänden war damals niemand an dem Aufruf beteiligt.

Wie groß die Unterschiede sind, konnte Merkel auch bei einem Besuch der sächsischen CDU-Landtagsfraktion vor zwei Wochen erleben. Es ging im Großen sofort um die Asylpolitik und die AfD - und im Kleinen um das Schicksal von Lolek und Bolek, zwei Ziegen, die ein Wolf gerissen hatte. Wenigstens dafür machten die Abgeordneten Merkel nicht verantwortlich.

Das schlechte Krisenmanagement Kretschmers im Fall der Behinderung eines ZDF-Teams in Dresden sowie nach den Ausschreitungen in Chemnitz hat die Sorgen der Bundes-CDU um ihren Landesverband noch einmal vergrößert. Umso erleichterter war man, dass Kretschmer am Dienstag, wenn auch mit Verspätung, ein ordentlicher Auftritt gelang. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) rang sich am Dienstag doch noch zu einer Stellungnahme zu den Vorfällen in Sachsen durch. Schon vergangene Woche, nachdem die Polizei am Rande einer Demonstration von Pegida-Anhängern das ZDF-Team 45 Minuten lang festgesetzt hatte, war Seehofer um Stellungnahme gebeten worden. Doch der lehnte ab. "Ich habe urlaubsbedingt keine direkten Informationen zu dem Fall. Ich kann mich daher beim besten Willen dazu nicht äußern", sagte er der SZ am Donnerstag.

Zwei Tage später, beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung, hakte ein Bürger nach: Warum der Innenminister denn nichts zum Rechtstrend in den Sicherheitsbehörden sage? Wieder winkte Seehofer ab. Er wolle nicht "aus der Hüfte schießen". Er schwieg auch noch, als Neonazis in Chemnitz auf Ausländerjagd gingen. Er wolle "zunächst einen authentischen Bericht der Verantwortlichen", sagte er am Montag. Am Dienstag dann und nach lauter werdender Kritik äußerte Seehofer "tiefes Mitgefühl" für die Angehörigen des in Chemnitz getöteten Mannes. "Die Betroffenheit der Bevölkerung hierüber ist verständlich", sagte er. Allerdings könne die Messerattacke "unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen" rechtfertigen. Sachsens Polizei sei "in einer schwierigen Situation". Sofern dies erwünscht sei, stehe deshalb auch die Bundespolizei "mit polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung"

© SZ vom 29.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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