Kunstaktion in Wiesbaden:Der Sturz des goldenen Erdoğan

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Immerhin wurde viel geredet in Wiesbaden - über die Statue, über Kunst und Kunstfreiheit. (Foto: Ralph Orlowski/Reuters)
  • Anfangs wollte Wiesbaden das Kunstwerk eines goldenen Recep Tayipp Erdoğans im Sinne der Kunstfreiheit "aushalten".
  • Das Kalkül, mit der Statue für Tumult und Aufregung zu sorgen, ging auf. Nun wurde sie doch aus Sicherheitsgründen entfernt.
  • Kunst wie diese hat nur Sinn, wenn die jetzt aufkeimende Diskussion weitergeführt wird. Andernfalls bleibt der goldene Erdoğan ein weiteres goldenes Kalb einer feixenden Kunstgemeinde, die Lust an Provokationsshows hat.

Von Till Briegleb

Es war ein kurzer Staatsbesuch des goldenen Autokraten auf dem Platz der Deutschen Einheit. Die heimlich mitten in Wiesbaden platzierte Monumentalstatue des türkischen Präsidenten Erdoğan, vier Meter hoch und mit dem Zeigefinger in den Himmel weisend, wurde nach zwei Tagen nachts mit einem Feuerwehrkran wieder entfernt. Dazwischen lagen zwei Tage Traumerfüllung eines anonymen Kunstprovokateurs, der im Rahmen der gerade laufenden Wiesbaden-Biennale das goldene Standbild genau da aufgestellt hatte, wo die migrantisch geprägte Kultur der hessischen Hauptstadt zu Hause ist.

Denn das Kalkül, mit dieser Aktion tumultartige Aufregung unter Menschen zu stiften, die mit Kunst sonst eher fremdeln, ging auf. Kurden und Türken entzündeten sich in heißen Debatten bis hin zu Handgreiflichkeiten. Es wurden "Fuck You" und ein grüner Penis auf das Denkmal gesprüht und von Verteidigern wieder übersprüht. Äpfel und Eier flogen, der goldene Pascha wurde bespuckt, als "Hurensohn" angeschrien, doch auch Özil-T-Shirts wurden in die Luft gereckt. Und die Medien hatten ein Freudenfest des Kommentarsammelns bei aufgeregten und verständnislosen Bürgern aller Provenienz.

Kunstaktion
:Goldener Erdoğan mitten in Wiesbaden

Eine vier Meter große Statue des türkischen Präsidenten sorgt für Aufregung in der hessischen Landeshauptstadt.

Das wurde der Staatsmacht, die zuerst verlauten ließ, dass man die Provokation als Kunstwerk "aushalten" müsse, schnell zu bunt. Der Bürgermeister sah, wohl auch in Reaktion auf die Chemnitz-Krawalle, die öffentliche Sicherheit gefährdet und befahl seiner Polizei, Erdoğan zu stürzen und ihm Asyl in der Asservatenkammer zu geben. Mehr war wirklich nicht zu erreichen mit einer Kunstaktion, die schwelende Konflikte sichtbar machen will. Nur das Umstürzen des Monuments durch empörtes Volk wie in einer richtigen Revolution hätte noch mehr Bildkraft erzeugt.

Aber ist diese Sichtbarmachung aggressiver Gegnerschaft in der bereits aufgeheizten Stimmung des deutschen Identitätenstreits auch wirklich produktiv? Sie erinnert natürlich an die nackte Türkin mit Kopftuch, die Olaf Metzel 2007 als "Turkish Delight" in Wien aufgestellt hatte und die mehrmals zerstört wurde. Oder an die Arbeiten des Schweizer Künstlers Christoph Büchel, der 2015 die Venezianer gegen sich aufbrachte, indem er eine Moschee in eine Kirche baute.

Auch bei diesen Arbeiten stellte sich die Frage, ob das Verletzen der Würde und das Eskalierenlassen von Emotionen etwas an der Gesinnung von Menschen ändert. In Wiesbaden wurde zumindest extrem viel öffentlich geredet. Wenn diese Gespräche jetzt nicht moderiert weitergeführt werden, dann war der goldene Erdoğan nur das nächste goldene Kalb einer feixenden Kunstgemeinde, die sich an Provokationsshows erfreut und zum nächsten Event weiterzieht.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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