Unabhängige Medien:Dürfen Journalisten ein Parteibuch haben?

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Unterwegs für Buten un Binnen: Hinrich Lührssen. (Foto: Radio Bremen)
  • Hinrich Lührssen engagiert sich im AfD-Landesvorstand, ist aber eigentlich freier Journalist bei Radio Bremen.
  • Der Sender will ihm keine Aufträge mehr geben, da Journalisten frei berichten sollen. Und ein Parteibuch zu haben sei etwas anderes als ein Funktionärsposten.
  • Lührssen ist überrascht vom Wirbel um sein AfD-Engagement.

Von Thomas Hahn

Der Dienstag war spannend für den freien Journalisten Hinrich Lührssen. Nachmittags hatte er nämlich das nächste Gespräch in der Chefetage bei Radio Bremen über seinen jüngsten Aufstieg in den Bremer Landesvorstand der AfD. Es ging um die Frage, ob er, Lührssen, 59, als Parteifunktionär weiter seine unterhaltsamen Beiträge für das Regionalmagazin Buten un Binnen verfassen dürfe.

Das erste Gespräch vergangene Woche fand Lührssen "total fair", er war guter Hoffnung, dass der öffentlich-rechtliche Sender ihm die Trennung von Amt und journalistischer Arbeit zutrauen würde, zumal er ja nicht für die Politikredaktion arbeite. Aber so kommt es jetzt nicht. Solange er im Parteiamt ist, wird er als freier Journalist keine Aufträge mehr von Radio Bremen bekommen. In einer Mitteilung stellte der Sender klar, dass man das generell so handhabe, dass er also "keine journalistischen Auftritte von Funktionären politischer Parteien" zulasse: "Dies gilt für alle politischen Parteien gleichermaßen." Lührssen sagt zu der Entscheidung: "Ich bedaure das natürlich."

Parteibuch oder Funktionärsposten?

Der Anspruch, frei und unabhängig zu sein, macht den Journalismus relevant und schwierig. Wer den Beruf liebt, bekennt sich deshalb zu der Vorgabe der meisten Redaktionen, dass Parteiposten und Journalismus nicht vereinbar sind. Parteilichkeit stört beim Versuch, Themen in ihrer Tiefe zu durchdringen, weil sie den Blick auf andere Positionen verstellt. Immerhin, einfacher ist es, nicht objektiv sein zu müssen. Insofern wird mancher Journalist vielleicht auch deshalb Parteifunktionär oder Pressesprecher, weil er weg will von der Jagd nach Ausgewogenheit: Endlich frei sein von der Freiheit, in alle Richtungen zu schauen. Sich fallen lassen können in eine bequeme Einseitigkeit.

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Dass Journalisten wie der Bremer Lührssen einen Posten in der erzkonservativen AfD übernehmen, wirkt dabei wie ein besonders harter Schritt. Klar, die Partei gewinnt ihre Wähler mit relativ schlichten Parolen. Die komplexe Menschenrechtsgesellschaft interessiert hier nicht sehr. Allerdings ist die AfD Journalisten gegenüber derart negativ eingestellt, dass Journalisten sie eigentlich meiden müssten. Erst nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz hat der Deutsche Journalisten-Verband wegen der AfD nach dem Verfassungsschutz gerufen, weil die Fraktion im Hochtaunuskreis auf Facebook geschrieben hatte: "Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät!"

Seit Jahren kritisieren AfD-Mitglieder die Berichterstattung der "Mainstream-Medien" in Flüchtlings- und Ausländerfragen als einseitig. Erstaunlich also, dass Lührssen nur das jüngste Beispiel eines zur AfD konvertierten Journalisten ist. Der Bundestagsabgeordnete Armin-Paul Hampel war mal ARD-Korrespondent, der Bundestagsabgeordnete Leif-Erik Holm Radiomoderator. Lührssen sagt, er sei ein Konservativer, der sich als Wähler von der CDU entfernt habe. Seit Juni ist er Mitglied. Er teilt nicht alle Positionen seiner Partei. Aber seine Haltung zu den Medien allgemein ist klassisch für einen Erzkonservativen: "Der Vorwurf der Lügenpresse hat seine Gründe", sagt er, "es ist zu häufig gewesen, dass im Zusammenhang mit Kriminalität von den Medien alles getan wurde, um rauszuhalten, dass es Ausländer waren."

Nach Silvester 2015/16, als in Köln und anderen Städten zahlreiche Nordafrikanern Frauen sexuell missbrauchten, hinterfragten viele Journalisten, ob an dem Vorwurf etwas dran ist. Ergebnis, grob gesagt: Im Bemühen darum, keine populistische Angstmacherei zu fördern, gab es Fehler. Mit Parteilichkeit ändert man daran allerdings nichts. Deshalb ist Lührssen jetzt bei Radio Bremen im Abseits - so wie zum Beispiel auch Moderator Helmut Markwort beim Bayerischen Rundfunk wegen einer Landtags-Kandidatur für die FDP.

"Unmittelbare Interessenkonflikte"

Der Bremer Politikwissenschaftler Andreas Klee sagte im Weserkurier: "Wenn ein Journalist (...) Mitglied im Vorstand wird, ist er auch maßgeblich für die Richtlinien dieser Partei, für ihre Politik verantwortlich. Da kommt es zu unmittelbaren Interessenkonflikten." So argumentiert auch Radio Bremen. "Für unser Publikum soll immer klar sein, dass Radio Bremen seine redaktionellen Entscheidungen jenseits aller Parteipolitik trifft", sagt Programmdirektor Jan Weyrauch. "Journalisten sollten eher nicht in Parteien sein", glaubt selbst Matthias Matussek, einst preisgekrönter Spiegel-Reporter, heute wegen seiner rechtslastigen Journalismus-Auslegung eine Reizfigur. Avancen der AfD habe er bisher abgelehnt, für seine Unabhängigkeit, sagt er. Aber er habe nichts dagegen, wenn sich jemand auf eine Gesinnung festlegt. Er tut das, wenn er zum Beispiel sympathisierende Reportagen über völkisch orientierte Bewegungen für die Weltwoche  schreibt.

Die Journalisten in den AfD-Ämtern zeigen ein gewisses Verständnis für den Anspruch der Medienhäuser, keine aktiven Politiker in die Berichterstattung einzubinden. Leif-Erik Holm nahm seine Kündigung bei Antenne MV hin, als er 2013 Spitzenkandidat der AfD Mecklenburg-Vorpommern im Bundestagswahlkampf wurde. "Aber ich hätte mir gewünscht, dass man sagt, nach der Wahl machen wir normal weiter", sagt er, "jemanden nur vor die Tür zu setzen wegen des politischen Engagements, das geht natürlich nicht." Aber wie soll man wertfrei eine Radiosendung moderieren, wenn man sich vorher als Partei-Aktivist einen Namen gemacht hat? Als er nicht mehr zum Radio zurückkonnte, lebte Holm zunächst vom Ersparten. Dann machte er Karriere als Abgeordneter.

Lührssen könnte ebenso weich fallen im politischen Betrieb. Nach Radio Bremens Entscheidung sagt er aber erstmal: "Ich muss mir neue Kunden suchen, und das wird bei der Hysterie, die momentan gegenüber der AfD herrscht, auch nicht so einfach." Austreten wird er nicht - bestimmt zur Freude seiner Bremer Parteifreunde, von denen viele als besonders radikal gelten. Sie können ihren Hinrich jetzt als eine Art Held der AfD-Parteilichkeit feiern.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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