Games und Sport: Wie eSport eine echte Sportart werden will

  • In ihren Koalitionspapieren versprach die Bundesregierung, eSport künftig vollständig anzuerkennen.
  • Ein wichtiger Akteur im Anerkennungs-Prozess ist der Deutsche Olympische Sportbund, bei dem nach wie vor unklar ist, ob er eSport ebenfalls als Sport akzeptiert.
  • In den Verbänden gibt es keine einheitliche Linie, wie man digitalen Sport in Deutschland aufbauen will.

Von Leon Wohlleben

Mesut Özil baut sich zurzeit sein "Team Özil". Eine eSport-Truppe, in der junge, begabte Gamer an internationalen Wettbewerben der Fifa-Videospielreihe teilnehmen sollen - Zocken im Namen von Mentor Mesut, so hat es der zurückgetretene Nationalspieler seinen 31 Millionen Fans auf Facebook angekündigt. Er ist nicht einzige bekannte Profi mit Herz für die Konsole: Auch Barcelonas Verteidiger Gerard Piqué beteiligt sich an dem Geschäft, er ist sogar Firmengründer in der eSports-Szene. Mittlerweile ist das kompetitive Gaming so tragend, dass selbst die bekanntesten Kicker der Welt mitreden wollen. Drei Millionen Deutsche zocken laut dem Verband der deutschen Games Branche regelmäßig bei eSports-Events.

Auch die User würden gerne mitreden, mitgestalten, wenn es darum geht, wie man das definiert, was sie tun. Ist das Sport? Oder doch nur Zocken auf der Playstation oder dem Computer. Politik und Verbände tun sich in Deutschland immer noch schwer mit dem Sport vor dem Bildschirm, dem Kampf an der Konsole. Der Entwicklung des eSport stehen zahlreiche Hürden zur vollständigen Anerkennung im Weg - die Anerkennung als wahrer, echter Sport. Konkret geht es um die Frage: Wann ist Gaming in seiner Vielfalt und Tiefe als Disziplin endlich akzeptiert wie etwa Handball, Judo oder Wildwasser-Kanu?

Große Hoffnungen auf eine schnelle Akzeptanz

Positive Signale zur Aufnahme in die landesweite Sportarten-Familie gab es bereits. Die große Koalition hat eSport zwar erst im vergangenen Winter entdeckt, als sie am Koalitionsvertrag arbeitete. Aber sie gab sich Mühe, das Thema ernst zu nehmen - wohl auch mit Blick auf das Jungwähler-Potenzial an den Controllern. "Ich meine in so manchem Gesicht gesehen zu haben, dass man nicht genau wusste, wovon die jungen Leute reden", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, 40, vergangene Woche auf der Gamescom in Köln. Das klang einigermaßen interessiert, doch so ganz warm ist die Politik nicht mit der Materie.

Immerhin hat es der folgende Satz in die Koalitionspapiere geschafft: Die Bundesregierung will "E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen." Dieser Satz schlug ein. Tauchte das Thema bisher nur dezent in der Debattenkultur der Bundestagsparteien auf, legten sich CDU, CSU und SPD damit direkt fest: eSport soll - auch mit Hilfe des Bundes - ein ganz normaler Sport werden. Die Community war erstaunt. Die Erwartungen, dass sich etwas tut, sind seither gestiegen, bestätigt der Präsident des eSport-Bundes Deutschland (ESBD), Hans Jagnow: "Wir hoffen, dass wir in diesem Jahr noch die politische, rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung als Sportart erleben."

Bei der Gamescom klangen viele Politiker wie Beschwörer einer goldenen Gamer-Zeit. Wer ihnen zuhörte, bekam das Gefühl, dass eigentlich alles bereit sei und nur noch ein paar Absprachen fehlen. "Die Debatte ist rum. Ich glaube, nächstes Jahr brauchen wir über die eSport-Anerkennung gar nicht mehr reden", erklärte Oppositionspolitiker Michael Kellner, politischer Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen.

Wer aber im Spätsommer 2018 nach der konkreten Umsetzung solcher Schwärmereien sucht, findet erst einmal: nichts. Es fehlt eine klare Linie für den Aufbau von eSport, es fehlt an Strukturen, Zusammenarbeit und einheitlicher Organisation. Symptomatisch dafür ist die schwerfällige Diskussion im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), dessen riesigem Apparat das Gespür für eine Sportart aus der digitalen Welt fehlt.

Wie es sich für einen Verband wie den DOSB gehört, gründete man Ende 2017 die "AG eSport", eine Arbeitsgruppe mit eher vorsichtigen Zielen. Es ging darum, sich überhaupt erst einmal in Sachen eSports zu positionieren. Im Verband holte man sich Input von Gamern und Wissenschaftlern, erarbeitete Empfehlungen und erörterte die Frage, nach welchen Parametern eSport zugelassen werden könnte im Konzert der anderen Sportarten. So schnell und überstürzt wie die Groko wollten die Funktonäre sich aber nicht festlegen. Tatsächlich sah sich der DOSB von den Plänen der Bundesregierung hintergangen und nannte sie in einem Statement einen "klaren Angriff der Fachpolitiker im Bereich Digitales auf die Autonomie des Sports."

Bekommt eSport Zuspruch im DOSB?

Wessen Wort zählt also am meisten in der Debatte, wann etwas eine Sportart wird? Diese Frage hält nun eine Fortentwicklung des eSports auf. Beim DOSB soll Ende 2018 bei der Jahreshauptversammlung stellvertretend für die circa 27,4 Millionen Mitglieder über die Positionierung abgestimmt werden. Bekäme eSport den Zuspruch durch den Verband, hätte er einen wichtigen Partner, der in der Lage ist, jede kleinste Sportvereinigung ins Establishmeht zu überführen. Die Stimmung im DOSB ist so gespalten, dass mit einem komplett offenen Ergebnis zu rechnen ist - wie viel Unterstützung eSport vom DOSB bekommt, ist demnach völlig offen.

Ein Beispiel: Schon der Verband mit den meisten Mitgliedern im DOSB, der Deutsche Fußballbund (DFB), kann sich zu keiner eindeutigen Haltung durchringen. Zu Beginn des Jahres bezeichnete DFB-Präsident Reinhard Grindel eSport als "absolute Verarmung" und musste nach heftiger Kritik zurückrudern. Aufzuhalten ist die Welle des eSport im Fußball aber nicht. Auf Länderebene gibt es schon vereinzelte Projekte, bei denen Landessportverbände des DFB sich im "eSoccer" ausprobieren.

Viele Unklarheiten bei der Anerkennung

So veranstaltete der Bayerische Fußballverband Mitte des Jahres seinen eigenen "BFV eSports Cup". Solche Vorstöße sind allerdings Ausnahmen. Bisher zeigen die Verbände bundesweit unterschiedlich ausgeprägtes Engagement. Entsprechend lange brauchen sie, um ein einheitliches Sport-System aufzubauen. Ein weiteres Problem in Sachen Anerkennung: Politik und Verbände planen derzeit ausschließlich mit Spielen, in denen Gewalt kein Thema ist. Die wirklich erfolgreichen eSport-Titel wie "Fortnite" und "League of Legends" (in denen Figuren gegeneinander kämpfen) sind ausgeklammert und damit auch ein Großteil der Games-Community.

So hat sich der rasante Aufstieg von eSports aktuell verlangsamt. Wegen der schleppenden Entwicklung ist die Euphorie aus dem Frühjahr verflogen. "Die Fachebene in der Sportpolitik lässt schon seit einiger Zeit durchblicken, dass es noch einige offene Fragen gibt, die vor weiteren Maßnahmen geklärt werden müssen", sagt ESBD-Präsident Hans Jagnow. "Dazu kommt, dass der organisierte Sport und die Politik weiterhin die Verantwortung hin- und herschieben."

Die seit einigen Jahren vom Jugendschwund gebeutelten Sportverbände haben gemerkt, dass sie eSport zu lang ignoriert haben. Zwar gab es 2017 wieder einen leichten Mitgliederanstieg in der Altersklasse unter 20. Es herrscht allerdings nach wie vor die Angst, einen Großteil dieser Generation zu verlieren, die im virtuellen Sport viel eher ihre Heimat sucht, als auf dem Fußballplatz im Viertel. Das stimmt vermutlich selbst den gebürtigen Straßenfußballer Mesut Özil traurig.

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