Rechtsextremismus in Deutschland:"Höchste Zeit, die Gangart zu wechseln"

Versammlungen in Dresden

Sachsens Polizei war in Chemnitz überfordert. In solchen Fälle müsse Hilfe vom Bund zugelassen werden, fordert CDU-Politiker Schuster.

(Foto: dpa)

Der CDU-Innenexperte Armin Schuster plädiert dafür, dass Sachsen mehr Unterstützung vom Bund zulässt. Das Treiben rechter Gruppen müsse genauer beobachtet werden - darunter auch das der AfD.

Interview von Stefan Braun, Berlin

Armin Schuster ist CDU-Innenexperte und ehemaliger Direktor der Bundespolizei. Seit 2009 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages.

SZ: Wenn Sie auf die gewalttätigen Ausschreitungen rechtsextremer Demonstranten in Sachsen schauen, die offenkundig versuchen, die Herrschaft über die Straße zu erobern - was geht Ihnen als ehemaligem Polizisten da durch den Kopf?

Armin Schuster: Hier werden unter dem Deckmantel eines vermeintlichen bürgerlichen Widerstands rechtsextreme Phantasien von Bürgerwehren und Selbstjustiz ausgelebt. Da wird es für Politik, Justiz und Polizei höchste Zeit, die Gangart zu wechseln. Sonst schwindet bei der Bevölkerung das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unseres Staates und das bringt ungewollten Zulauf für die Rechten.

Haben Sie die Sorge, dass AfD-Strukturen und Polizeistrukturen verschmelzen könnten?

Nein, bestimmt nicht. Allerdings muss dringend geklärt werden, welche Rolle die AfD hinter den Kulissen spielt. Es ist ja kein Einzelfall mehr, wie Äußerungen aus der AfD heraus Ressentiments schüren und gleichzeitig Hass und Gewaltausbrüche verharmlosen. Dass sich die AfD-Vorsitzenden Weidel und Gauland anschließend in schöner Regelmäßigkeit distanzieren oder Aussagen relativieren, kann Methode sein. Auch die Beteiligung an Versammlungen in Sachsen sollte man beobachten, hier ist der Verfassungsschutz gefragt.

Am Donnerstag ist bekannt geworden, dass ein Bundespolizist, der gleichzeitig für eine rechte Bewegung aktiv ist, den Haftbefehl gegen den Täter von Chemnitz verbreitet hat. Was bedeutet das für die Bundespolizei?

Es handelt sich meines Wissens um einen Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft, dessen Dienstverhältnis zur Bundespolizei derzeit ruht. Die aktiven Beamten kennen das politische Mäßigungsgebot gut genug. Deshalb gilt auch hier: Wir müssen das Treiben rechter Parteien und Gruppierungen aus unseren Parlamenten heraus genauer unter die Lupe zu nehmen.

1. Untersuchungsausschuss Anis Amri

Früher Direktor der Bundespolizei, jetzt Innenpolitiker im Bundestag.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Die Polizei in Sachsen schien überfordert mit den Ereignissen. Kommt es angesichts dessen zu spät, dass sie erst für die Veranstaltungen am Donnerstagabend Unterstützung vom Bund angefordert hat?

Bei einem solchen Einsatz zunächst deeskalierend zu agieren und auf ein martialisches Kräfteaufgebot zu verzichten, kann funktionieren. Ich persönlich habe bei solchen Demos aber andere Erfahrungen gesammelt. Wichtig ist die Entscheidung, dass Sachsen jetzt mit Unterstützung des Bundes sofort umschaltet.

Was muss ihrer Ansicht nach geschehen?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat wahrlich keine leichte Aufgabe vor sich. Die Zeiten sind ungemütlich, deshalb sollte sich alsbald die Erkenntnis durchsetzen, dass Deeskalationsstrategien bei Chaoten und Extremisten von links wie rechts kaum oder keine Wirkung zeigen.

Das heißt konkret?

Ich erinnere mich gut an das Phänomen der Republikaner in den 90er Jahren in Baden-Württemberg. Auch hier brauchte es eine Lernkurve bis schließlich eine absolute polizeiliche "Null-Toleranz"-Strategie erfolgreich gefahren wurde. Jede Handlung, jeder Auftritt der Rechten wurde mit rechtsstaatlichen Mitteln konsequent überwacht, verdeckt und offen. Jeder Regelverstoß wurde auf dem Fuß geahndet, es gab über lange Zeit keinen Millimeter Freiraum für die Angehörigen und Mitläufer rechter Gruppierungen. Sie konnten keinen Fuß mehr vor den anderen setzen, ohne dass der Staat dabei war. Das war ungemütlich, aber wirkungsvoll.

Kann Sachsen das alleine bewerkstelligen?

Das muss es gar nicht. Es wäre klug und vernünftig, wenn sich das Land und der Bund auf eine enge Kooperation verständigen.

In der Vergangenheit haben Länder es stets als Zeichen eigener Schwäche gewertet, wenn die Frage nach Hilferufen aufkam. Haben Sie dafür Verständnis?

Nein, eigentlich nicht mehr. Die Zeiten, in denen das so gesehen wurde, sind nach den vielen, auch schwierigen Großeinsätzen wie jenem am Rande des G-20-Treffens in Hamburg vorbei. Kein Land kann die Kräfte alleine vorhalten, die man dafür braucht. Schwer wird es, wenn etwas wie in Chemnitz einigermaßen überraschend kommt und man schnell und flexibel reagieren muss. Aber auch für diese Fälle wächst die Einsicht, dass die Vernetzung und schnelle Absprachemöglichkeiten unverzichtbar geworden sind.

Ist es rechtlich möglich, dass der Bund auch selbst eingreift, wenn man sieht, dass die Rechtsextremen versuchen, immer mehr Straßenzüge, Stadtviertel, Ortschaften, auch ganze Regionen durch offene Gewalt zu beherrschen?

Es gibt die Möglichkeit, dass das Bundeskriminalamt (BKA) als Bundesbehörde die Aufgabe der Strafverfolgung an sich zieht. Aber das ist nur für überregional bedeutsame besondere Lagen gedacht, wie wir sie beim NSU-Terror oder jetzt im Fall des Anschlags auf den Breitscheidplatz gesehen haben. Diese Dimension ist aus meiner Sicht in Sachsen nicht erreicht. Situationen wie die in Chemnitz zeigen allerdings, wie wichtig es ist, dass der Bund neben der Bundespolizei auch die finanzielle und materielle Unterstützung für die Bereitschaftspolizeien der Länder hoch hält.

Nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie wurde heftig diskutiert, warum das BKA den Fall nicht an sich gezogen hatte, obwohl es das hätte können.

Die Länder reagieren seit jeher politisch äußerst sensibel, wenn es um die Übertragung von Aufgaben an den Bund geht. Und so würden sie auch reagieren, wenn der Bund einen konkreten Fall an sich ziehen wollte. Leider führte das in der Vergangenheit immer wieder zu fragwürdigen Abläufen. Während der NSU-Mordserie war das Bundeskriminalamt zunächst bereit, den Fall an sich zu ziehen, aber das wollten die Länder nicht. Als später die Länder doch einlenkten, lehnte das BKA ab. Wer führt? Das ist in einem föderalen System die Schlüsselfrage, die wir nicht ausreichend geklärt haben. Wir könnten in einem Staatsvertrag durchaus regeln, wie und dass der Bund oder ein Land führt.

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