Zeitungen in den USA:Eine Stimme verstummt

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Die roten Kästen der Village Voice werden jetzt endgültig Sperrmüll. (Foto: Mark Lennihan/AP)

Ende der Sechzigerjahre war die "Village Voice" die meistverkaufte Wochenzeitung der Vereinigten Staaten. Schon seit einem Jahr erschien sie nur noch online, jetzt hat der Verleger das endgültige Aus des Magazins verkündet.

Von Nikolaus Piper

Wer in den vergangenen Jahren durch die Straßen Manhattans oder Brooklyns ging, der konnte das Ende schon ahnen. Die stummen Verkäufer der Village Voice, große rote Kästen, standen unbeachtet, oft leer und nutzlos auf den Gehwegen herum, wie Sperrmüll, den irgend jemand vergessen hat. Die "Voice", die älteste Alternativzeitung Amerikas, Symbol der Gegenkultur aus dem Greenwich Village - niemand brauchte sie mehr. Vor knapp einem Jahr, am 21. September 2017, erschien die letzte Druckausgabe, ausgerechnet mit einem Jugendfoto von Bob Dylan, dessen Aufstieg die Voice seit den 1960er Jahren begleitet hatte. Und nun das endgültige Aus, auch online. Am vorigen Freitag kündigte der Eigentümer Peter Barbey die von vielen Mitarbeitern schon lange befürchtete Entscheidung an, mit Euphemismen, die es verdienen, festgehalten zu werden: "Wie viele im Verlagsgeschäft waren wir optimistisch, dass hinter der nächsten Ecke Rettung naht. Wir wissen noch nicht, wo es Stabilität für unser Geschäft geben wird. Klar ist jetzt nur, dass wir den Punkt noch nicht erreicht haben." Die Hälfte der verbliebenen Mitarbeiter, etwa 15 bis 20 an der Zahl werden weiterbeschäftigt, um das Archiv der Voice zu digitalisieren, der Rest ist entlassen.

Die Village Voice wurde 1955 von den beiden Journalisten Ed Fancher und Dan Wolf und dem Schriftsteller Norman Mailer gegründet. Sie war anfangs tatsächlich nur ein Blatt für das Greenwich Village, einem heute sehr angesagten und teuren Teil Manhattans. Damals war das Viertel berühmt wegen seiner lebendigen Kulturszene. In den Cafés konnte man Dylan ebenso treffen wie die Dichter der Beat Generation Allan Ginsburg und Jack Kerouac. Auch die dezidiert linke New School of Social Research liegt im Village. Die Journalisten der Voice erlangten Ruhm mit ihren Theater- und Musikkritiken und ihrer aggressiven Berichterstattung über die New Yorker Stadtpolitik. Viele Schriftsteller gehörten zu den Autoren: James Baldwin, Henry Miller, Ezra Pound und andere. Und dann gab es noch Wayne Barrett, den "ersten Reporter, der Donald Trump ernst nahm", wie Politico schrieb. Barrett recherchierte jahrzehntelang über den Immobilienmogul und warnte vor ihm. Barrett starb am Tag, ehe Trump in sein Amt eingeführt wurde.

Die Voice fand schnell Leser jenseits ihres Kiezes. 1967 war sie die meistverkaufte Wochenzeitung der Vereinigten Staaten. Eine typische Ausgabe hatte damals 80 Seiten, zwei Drittel davon waren Kleinanzeigen. Der Niedergang der seit 1996 kostenlosen Voice begann mit dem Aufstieg des Internets. Gegenkultur hatte jetzt viele Foren, eine gedruckte Alternativzeitung erschien plötzlich sehr altmodisch. Den Garaus gemacht hat der Voice aber vermutlich der digitale Kleinanzeigenmarkt Craigslist, der hocheffizient ist, in seiner Einfachheit aber auch ein gegenkulturelles Flair pflegt und den Anzeigenmarkt für die Voice zerstörte. Das Blatt wechselte mehrmals den Verleger, darunter war auch kurze Zeit Rupert Murdoch. Der letzte unter ihnen, Peter Barbey, Erbe eines Bekleidungskonzerns aus North Carolina, musste jetzt das Ende verkünden.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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