Klima:Am Schmelzgrat

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Die Hitzewelle verändert die Alpen - mit Folgen für Bergsteiger.

Von Titus Arnu

Der Biancograt ist in diesem Sommer eher ein Blankograt. Die Route gehört zu den schönsten Hochtouren der Alpen, sie führt über eine formschöne Firnschneide auf den 4049 Meter hohen Piz Bernina. Auf dieser Himmelsleiter kommt es an Schlüsselstellen bisweilen zu Staus mit Wartezeiten. Zu viele Sprossen der Leiter sind weggeschmolzen. Wo es sonst Trittspuren im weichen Schnee gibt, glänzt blankes Eis. Bergsteiger müssen längere Passagen mit Eisschrauben sichern.

Für 2018 verzeichnete die österreichische Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik einen Bergwetter-Rekord nach dem anderen. Der Juni war der heißeste der bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Messreihe. Auch Juli und August waren überdurchschnittlich warm. Das wirkt sich nicht nur auf die Gletscher aus, sondern auch auf die Art des Bergsteigens. Einerseits waren die Hütten wegen des sonnigen Wetters so gut gebucht wie seit Jahren nicht mehr, wie der Alpenverein in seiner Sommerbilanz feststellt. Andererseits berichten Bergführer und Profi-Alpinisten von drastischen Veränderungen in der Natur, die das Klettern selbst verändern.

Routen auf Drei- und Viertausender müssen abgeändert werden, weil es neue Gefahrenstellen gibt. "Man muss sich sehr gut auskennen und wissen, wie man die Touren an die veränderten Bedingungen anpasst", sagt Gian Luck, Leiter der Bergsteigerschule Pontresina. Alpinisten müssen Umwege gehen, wenn Gletscher nicht mehr über die bisherige Route betreten werden können wie am Taschachferner in den Ötztaler Alpen. Eisbrücken, die über Gletscherspalten führen, werden labil oder schmelzen weg. Die Hitze hat außerdem den Klebstoff der Alpen verflüssigt - den Permafrost.

Wenn der normalerweise dauerhaft gefrorene Boden auftaut, kommen ganze Berge in Bewegung. Davon betroffen ist auch eine der populärsten Routen, der Normalweg auf den Montblanc. Mehr als 30 000 Bergsteiger versuchen sich jeden Sommer am höchsten Alpengipfel. Tauwetter in 4000 Meter Höhe hat für Dauer-steinschlag im Grand Couloir gesorgt, es kam zu mehreren Todesfällen an dieser Stelle. Ende Juli sperrten die Behörden den Zustieg aus Sicherheitsgründen für mehrere Wochen. Auch auf anderen viel frequentierten Kletterrouten wie dem Hörnligrat am Matterhorn verursacht die Klimaveränderung mehr Gefahr. Vor allem am Übergang zwischen Fels und Eis wird es vielerorts kritisch. Auf dem beliebten Höllental-Klettersteig zum Gipfel der Zugspitze konnte man vor einigen Jahren noch vom Gletscher aus direkt zum ersten Haken am Fels greifen. Mittlerweile muss man einen Meter in die Spalte absteigen und sich dann zehn Meter an einem Stahlseil bis zum Haken hochkämpfen - so viel Eis ist abgeschmolzen. Manch ein Hobby-Alpinist scheitert an dieser Stelle.

Aber auch Profis müssen umdenken: Der Schweizer Extrembergsteiger Stephan Siegrist berichtet, dass die Eiger-Nordwand früher vor allem im Sommer durchstiegen wurde, nun eher in der zweiten Jahreshälfte, wenn die Gefahr von Steinschlag nicht so groß ist. "Es gibt Touren, die werden in Zukunft im Sommer gar nicht mehr gehen, weil es zu gefährlich wird," meint Siegrist.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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