Krieg in Syrien:Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit

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Idlib im Norden Syriens ist die letzte von Rebellen gehaltene Stadt. (Foto: AFP)

Es ist nun an den Garantiemächten Russland und der Türkei, in Idlib ein Massaker und eine Massenflucht von ungekannten Ausmaßen abzuwenden. Wenn es zur Schlacht kommt, wird sie brutal wie nichts zuvor.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Was sich gut anhört, ist es nicht: Das Wort Deeskalationszone ist einer der übelsten Euphemismen des Krieges in Syrien. Es klingt nach einer Reduzierung der Gewalt, war aber nichts anderes als eine vom Kreml erdachte Strategie, die es der geschwächten Armee von Präsident Baschar al-Assad ermöglichen sollte, ihre Kräfte jeweils an einem Schauplatz zusammenzuziehen. Mit Hilfe schiitischer Milizen, die von iranischen Revolutionsgardisten befehligt werden, und der überlegenen Feuerkraft der russischen Luftwaffe wurden diese Zonen dann eine nach der anderen so lange bombardiert, bis die Rebellen kapitulierten.

Drei der vier Zonen hat das Regime so zurückerobert. Anfang des Jahres fiel Ost-Ghouta, danach fielen die Gebiete um Deraa und eine Rebellen-Enklave zwischen Homs und Hama. Rücksicht auf Zivilisten nahmen dabei weder Assads Truppen noch seine Unterstützer, und oft auch nicht die Rebellen. Das Maß an Gewalt übertraf in der Ghouta den Sturm auf Aleppo, die Zivilbevölkerung wurde Opfer systematischen Beschusses ihrer Wohngebiete. Rebellenkämpfer und Zivilisten, die nicht unter Assads Herrschaft leben wollten, schickte Russland gleichermaßen nach Idlib, schon zuvor Ziel solcher Vertreibungs- und Säuberungsoperationen.

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"Hunderttausende Menschen könnten getötet werden", schreibt der US-Präsident. Russland und Iran würden einen schweren Fehler begehen, wenn sie eingreifen.

Idlib ist nun die letzte der Deeskalationszonen. Das Schicksal der Menschen dort scheint besiegelt zu sein. Assad, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er jeden Quadratzentimeter syrischen Bodens militärisch zurückerobern will, rüstet zur Großoffensive. Tatsächlich werden auch diese Gebiete im Norden des Landes unweigerlich wieder unter die Kontrolle des Regimes kommen. Es ist allerdings nicht zwingend, dass dies nach demselben Muster geschieht wie in Aleppo oder der Ghouta - das ist nicht einmal möglich.

Ein Omen für die Zukunft Syriens

Denn es gibt kein zweites Idlib, in das Rebellen oder Zivilisten ausweichen könnten. Auswegloser macht die Lage noch, dass die militärisch dominierende Kraft dort Hayat Tahrir al-Scham ist, Nachfolge-organisation des offiziellen Ablegers des Terrornetzwerks al-Qaida in Syrien. Wenn es zur Schlacht kommt, wird sie brutal wie nichts zuvor. Es ist an den Garantiemächten Russland und der Türkei, ein Massaker und eine Massenflucht von ungekannten Ausmaßen abzuwenden.

Russland müsste dafür seinen ganzen Einfluss in Damaskus einsetzen: seine Luftunterstützung. Die Türkei müsste zugleich die einst in die Vereinbarungen mit Moskau einbezogenen Rebellen dazu bringen, eine Rückkehr des Regimes nach Idlib zu akzeptieren. Gemeinsam müssten sie gegen Hayat Tahrir al-Scham kämpfen. Das Gipfeltreffen von Russland und der Türkei mit Iran, der dritten Garantiemacht, bietet Gelegenheit zu solchen Vereinbarungen.

Russland hat ein Interesse daran, dass sich der Krieg nicht noch Jahre zieht und ein weiteres Massaker eine Aussöhnung und jeden politischen Ausgleich ebenso unmöglich macht wie Unterstützung für den Wiederaufbau Syriens durch europäische Staaten, um die Moskau heftig buhlt. Die Türkei hat ein Interesse, einen neuen Ansturm von Flüchtlingen auf ihre Grenze zu vermeiden und mehr noch ein Einsickern dschihadistischer Kämpfer. Ankara und Moskau brauchen einander in Syrien. Bislang aber haben sie das Problem Idlib zugunsten taktischer Kooperation auf die lange Bank geschoben. Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit. Und sie wird ein Omen sein für die Zukunft Syriens.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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