Und jetzt?:"Die Kirche lügt sich in die Tasche"

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Priester stünden unter Gewissensdruck, sagt Anselm Bilgri. (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Der frühere Mönch Anselm Bilgri stellt ein Buch vor und fordert, den Zölibat abzuschaffen

Interview von Britta Schultejans/dpa, München

Vor fast 15 Jahren machte Anselm Bilgri Schlagzeilen, weil er das Kloster Andechs verließ und aus dem Benediktinerorden austrat. Ein Grund dafür, dass er kein Mönch mehr sein wollte, so sagt er heute, sei auch der Zölibat gewesen. In seinem neuen Buch "Bei aller Liebe" (Piper-Verlag), das Bilgri am Mittwoch vorstellte, fordert der 64-Jährige die Abschaffung der erzwungenen Ehelosigkeit für katholische Priester. Er schreibt auch über das Thema Missbrauch, den größten Teil aber widmet Bilgri der heimlichen Liebe der Priester: Ein schwuler Pater kommt zu Wort, der sein ganzes Ordensleben lang immer wieder Sex mit Männern hat. Priester berichten von langjährigen Beziehungen zu ihrer großen Liebe.

Herr Bilgri, warum haben Sie dieses Buch geschrieben?

Anselm Bilgri: Anlass sind zwei anstehende Synoden in Rom. Im Herbst geht es bei der Bischofssynode um die Jugendarbeit der Kirche. Und da muss man aus meiner Sicht das Thema kirchliche Berufe, Zölibat und Nachwuchssorgen schon ansprechen. Im nächsten Frühjahr findet die sogenannte Amazonas-Synode statt, bei der die Bischöfe aus dem Amazonasgebiet zusammenkommen und dem Papst hoffentlich mutige Vorschläge machen. Franziskus ermuntert die Bischöfe, kreative und mutige Vorschläge zu machen, - und ich dachte, vielleicht kann man die Bischöfe mit so einem Buch ebenfalls ermuntern. Das ist aber natürlich utopisch.

Was ist das Problem am Zölibat?

Die Kirche lügt sich selbst in die Tasche, indem sie eine Forderung aufstellt, die immer schon schwierig einzuhalten war. Und heute, in unserer Zeit, in der Sexualität kein Tabu-Thema mehr ist, ist es noch schwieriger. Der Zölibat soll ein Zeichen sein, das auf das Jenseits verweist, wo es keine Ehe mehr gibt. Aber dieses Zeichen wird heute auf keinen Fall mehr von den Menschen verstanden - ganz im Gegenteil, weil man viele Priester dazu zwingt, ihre sexuellen Empfindungen heimlich zu leben.

Wie viele Priester schaffen es denn tatsächlich, durchzuhalten?

Es gibt eine Schätzung, die davon ausgeht, ein Drittel der Priester ist heterosexuell aktiv, ein Drittel homosexuell und ein Drittel versucht es redlich, sich daran zu halten. Dabei sind es gerade die Konservativen, die besonders streng mit sich sind, die irgendwann merken, dass es nicht klappt. Und das macht dann oft noch verbitterter, weil man unter einem ständigen Gewissensdruck steht.

Ist der Zölibat schuld am Priestermangel?

Auch. Als Joseph Ratzinger zum Priester geweiht wurde, wurden mit ihm noch 40, 50 Priester in Freising geweiht - in diesem Jahr waren es drei. Das liegt sicher an unserer säkularisierten Gesellschaft, aber eben auch an der Familienpolitik der Kirche der vergangenen 50 Jahre. Diejenigen, die heute noch Priester werden, wollen ein katholisches Milieu, das es so gar nicht mehr gibt. Darum sind die jungen Priester heute insgesamt sehr konservativ.

Sie haben festgestellt, dass der Zölibat nichts für Sie ist und verließen das Kloster. Haben Sie das jemals bereut?

Nein. Aber die 30 Jahre im Kloster waren auch eine schöne Zeit. Ich habe weder den Eintritt bereut noch den Austritt.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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