Bildung in Bayern:Hunderte Millionen Euro für Ruhe an den Schulen

Grundschule Schulbeginn in Bayern

115 000 Kinder kommen nächste Woche in die erste Klasse.

(Foto: Bernd Wüstneck/dpa)
  • Für 1,66 Millionen Schüler und 150 000 Lehrer beginnt am kommenden Dienstag wieder die Schule.
  • Die Staatsregierung investiert mehrere Hundert Millionen Euro in Stellen und die Digitalisierung.
  • Gewerkschaft und Opposition kritisieren indes die Staatsregierung wegen fehlendem Personal an Grundschulen und Konzeptlosigkeit beim G 9.

Von Anna Günther

Die Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn war in Bayern schon immer der Moment für den jeweiligen Minister, die bayerische Großartigkeit zu demonstrieren, gern in Abgrenzung zu anderen Bundesländern. Lehrermangel? In Bayern kein Thema. Stundenausfall? Quasi kein Thema.

Aber auf kaum einem Gebiet können so schnell Wogen hochschlagen wie in der Bildungspolitik. Und verärgerte Lehrer, Schüler und Eltern kann Schulminister Bernd Sibler gut fünf Wochen vor der Landtagswahl nicht brauchen. Am Abschneiden der CSU bei der Wahl am 14. Oktober könnte auch seine Zukunft hängen, entsprechend gab er am Mittwoch den Wünscheerfüller.

Für Ruhe an den Schulen investiert die Staatsregierung mehrere Hundert Millionen Euro in Lehrerstellen und die Digitalisierung. 4300 neue Lehrer stellt der Freistaat ein, die meisten ersetzen Kollegen. 850 Stellen werden zusätzlich geschaffen. "Die Schulfamilien können sich auf qualitätsvollen Unterricht verlassen", sagte Sibler.

Für 1,66 Millionen Schüler und 150 000 Lehrer beginnt am Dienstag wieder die Schule. 115 000 Mädchen und Buben kommen in die erste Klasse, drei Prozent mehr als 2017. Den größten Zuwachs melden München und Oberbayern, aber Sibler hält offenbar am Credo des früheren Ministerpräsidenten Horst Seehofer fest: Kleine Schulen mit sinkenden Schülerzahlen abseits der Ballungsräume sollen ein Budget bekommen, um Klassen oder gar den Betrieb aufrecht erhalten zu können.

Die Dauerdiskussionen ums G 8 befriedete Seehofer 2017. Eltern, Lehrer und Schüler bekommen ein Jahr mehr, die Schulen 1000 Stellen dazu und die CSU-Fraktion muss durch eine Überholspur das G 8 nicht ganz aufgeben. Rechtlich kehrte Bayern am 1. August zum neunjährigen Gymnasium zurück. Faktisch geht es am Dienstag für die Fünft- und Sechstklässler los. Sie werden nach 14 Jahren Streit als erste Schülergeneration regulär wieder in neun Jahren Abitur machen.

Dass Sibler einen anderen Ton pflegt als sein Vorgänger Ludwig Spaenle zeigt sich seit Monaten. Sibler sieht sich als Kümmerer, sucht Konsens und Gespräche. Entsprechend wichtig ist ihm neben der Digitalisierung mit einer Fortbildungsoffensive für Lehrer und 212 Millionen Euro für digitale Klassenzimmer seine Werte-Offensive. Erster Schwerpunkt sollen künstliche Intelligenz und Cybermobbing sein. Dabei nimmt Sibler besonders die Schüler in die Pflicht: Achtklässler aus allen Regierungsbezirken sollen sukzessive zu Werte-Botschaftern ausgebildet werden und ihre Mitschüler zu fairem Umgang anhalten.

Siblers Hang zum Zuhören kommt an

Vier Stunden Werteunterricht pro Woche bekommen auch die Schüler der 600 Übergangsklassen, die auf Wunsch von Ministerpräsident Markus Söder künftig Deutschklassen heißen. Statt halbtags werden Flüchtlinge an Grund-, Mittel- und Berufsschulen künftig ganztags unterrichtet.

In den Schulen kommt Siblers Hang zum Zuhören an, das zeigt auch der Schulversuch zur privaten Handynutzung, bei dem 135 Schulen selbst Regeln entwerfen. Zwei Jahre Ausprobieren ist für Schulen und Minister praktisch: Womöglich unpopuläre Entscheidungen müssen erst 2020 getroffen werden. Wo es dann doch hakt, gelobt Sibler persönlich Besserung, etwa bei Vertretungsstunden. Zwar fallen nur 1,6 Prozent der Stunden ganz aus, 91 Prozent des Unterrichts laufen planmäßig, betonte der Minister. Aber damit in den vertretenen Stunden nicht bloß betreut wird, will das Ministerium die Schulen "neu darüber informieren", dass sie sich sinnvolle Vertretungskonzepte zu überlegen haben.

Damit sich jeder Regierungsbezirk gewürdigt fühlt, wird Sibler auch in Franken, Schwaben und Niederbayern Pressekonferenzen abhalten. Das machte die Terminfindung schwierig. Dass Sibler so die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft düpierte, die den Termin für ihre Pressekonferenz bereits vor Wochen bekannt gab, sei keine Absicht, versicherte Siblers Sprecherin dem verschnupften GEW-Mann.

Die Gewerkschaft verschob und Sibler versuchte deren Thema als erstes abzuräumen: Lehrermangel sei genauso wenig ein Problem wie unqualifizierte Seiteneinsteiger. "In Bayern erhalten nur diejenigen Stellen beim Staat, die ihre Ausbildung vollständig abgeschlossen haben." Dass die Stellen an Grund-, Mittel- und Förderschulen nur besetzt werden, weil 1640 Realschul- und Gymnasiallehrer ohne Jobaussichten umschulen und 950 bereits an Volksschulen arbeiten, verkaufte er als "vorausschauende Maßnahmen". Weil die Geburtenzahlen steigen, werden zum Wintersemester 700 neue Studienplätze für Grundschullehrer eingerichtet.

Läuft alles in Bayern? "Das Gegenteil ist der Fall, gerade an den Grundschulen ist das Personal auf Kante genäht", sagte Thomas Gehring, der Bildungsexperte der Grünen. Er warnte vor Überlastung der Lehrer und forderte wie die GEW ein anderes Ausbildungssystem. Die Gewerkschaft wirft Sibler "Schönfärberei" sowie "gescheiterte Bildungspolitik" vor und fordert gleichen Lohn für alle Lehrer.

SPD-Bildungsexperte Martin Güll warnt vor einem "Fehlstart des G 9", bei dem er ein pädagogisches Gesamtkonzept und kreative Ideen vermisst. Auch Michael Piazolo (Freie Wähler) sieht die Regierung "in der Bringschuld": Schon jetzt müssten Lehrer eingestellt werden, nicht erst wenn die G-9-Schüler in die 13. Klasse kommen. Zudem müsse die Oberstufe endlich konzipiert werden, mit Leistungskursen und mehr Wahlfächern. Das Ministerium will dazu erst einmal in Ruhe alle Beteiligten anhören.

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