Europäische Union:Die Europawahl wird zum politischen Charaktertest des Kontinents

Vor der Europawahl 2019

Die Stimmungslage in Europa lässt es kaum mehr zu, die politische Integration zum wichtigsten Arbeitsziel der Gemeinschaft zu erklären.

(Foto: dpa)

Ein halbes Jahr vor der Abstimmung braut sich ein politischer Orkan zusammen: Rechtspopulisten, das britische Austrittsdrama und baldiges Haushaltsgeschacher fordern die Gemeinschaft heraus. Die Union steht vor einer ernsten Prüfung der demokratischen Reife.

Kommentar von Stefan Kornelius

Emmanuel Macron, der französische Präsident, hat die schlimmste Woche seiner kurzen Amtszeit hinter sich gebracht. Zwei Minister mussten ausgewechselt werden, außerdem sein Sprecher und Image-Meister. Und dann gibt es die Umfragewerte: Macron steht schlechter da als sein tropfiger Vorgänger François Hollande im selben Vergleichszeitraum. Frankreichs Präsident ist im Tief, der Nimbus verblasst, Jupiter ist nicht länger Himmelsvater.

Das ist eine schlechte Nachricht nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland und Europa. Denn was dieses Europa jetzt am wenigsten gebrauchen kann, ist die nächste Krise seines vernunftgesteuerten Führungspersonals.

Der Rhythmus des politischen Betriebs in Frankreich wird von der Präsidentschaftswahl bestimmt. Weil die aber nur alle fünf Jahre stattfindet, kommt der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai eine besondere Bedeutung zu. Die findet, wie die US-Zwischenwahl, quasi zur Mitte der Regierungszeit statt und wird so zum Test für den Präsidenten. Macrons Tief zu Beginn des Europawahlkampfes ist also ein Menetekel.

Das Reformwerk des Präsidenten zeigt noch keine Wirkung, er selbst schimpft über sein Land und dessen Erstarrung, und es ist lediglich der paralysierten Opposition aus quakenden Linken, schnappatmenden Konservativen und den orientierungslosen Le-Pen-Rechten zu verdanken, dass Frankreich nicht längst wieder in einer veritablen innenpolitischen Krise steckt.

Bald geht es im Haushalt um die Verteilung von Milliarden

Gleichwohl stehen die Zeichen an der Wand: Frankreich ist und bleibt in seiner Instabilität ein Gradmesser für die Festigkeit ganz Europas. Und in diesem Europa werden gerade ein paar weitere Haltetaue gelöst und Sicherungsstreben abmontiert, was die Sorge über die Stabilität des gesamten Schiffs wachsen lässt. Jetzt, ein halbes Jahr vor der Europawahl, braut sich so etwas wie ein Orkan zusammen.

Erstens: Das britische Austrittsdrama strebt seinem hässlichen Finale entgegen; potenzielle Nachahmer studieren bereits Kosten und Risiken für die eigene Staatskasse. Zweitens: Die Europaverächter in Polen und vor allem in Ungarn müssen mit harten Repressionen rechnen, ihr Rechtsstaatsgebaren ist mit der regelbasierten Gemeinschaft der EU nicht mehr vereinbar. Schon nächste Woche tagt das Gericht zur Causa Orbán im EU-Parlament.

Drittens: Pünktlich zur Wahl wird der Kitt in den europäischen Fugen gelöst - der Haushalt wird verhandelt, es geht um die Verteilung von Milliarden, den Landwirtschaftsetat, Investitionsgelder, Nettogeber und Bruttobezieher. Und weil das alles noch nicht genug ist, werden viertens die Rechtspopulisten ihre Machtbasis ausdehnen. Vorgestern Ungarn und Polen, gestern Italien, morgen Schweden: Europa ist ihr Nährboden, das Migrationsthema der Dünger. Die Hysterie in der Tagespolitik hat in Ungarn oder selbst in Österreich groteske Züge angenommen, und auch im stets nervösen Deutschland gibt es kein Maßhalten mehr zwischen Kanzlerinnen-Hass und Untergangs-Dystopie.

Die EU befindet sich im permanenten Krisenmodus

Wie in einem flackernden Super-8-Film aus einer verblassenden Zeit hat in dieser Woche der CSU-Politiker Manfred Weber seine Absicht bekundet, Spitzenkandidat der Europäischen Christdemokraten (EVP) für die bevorstehende Wahl zu werden und damit einen Anspruch auf die Kommissionspräsidentschaft zu erheben. Das ist hübsch, zeugt aber von der Realitätsverweigerung des europäischen Betriebs.

Im Kraftfeld der europäischen Institutionen hatte das Parlament als Beweis seiner Macht die Rolle des Spitzenkandidaten kreiert. Für alle Europa-Enthusiasten war sie Beleg für den Abschied vom Nationalstaatsdenken. Aber das liegt ein paar Jahre zurück. Heute reduziert sich die EU im permanenten Krisenmodus auf die ordnende Kraft der Nationalstaaten und die eigentliche Währung der Realpolitiker: Wer zahlt, wer schafft an, wer verfügt über die größte Macht?

Weber ist ein Kind der alten Ständeordnung in der EU, sortiert nach Parteifarben: christlich, sozialistisch, liberal, grün. Diese Ordnung aber stirbt gerade, und Weber selbst ist Beleg für die Verstrickungen, mit denen sich die Parteifamilien erdrosseln. Was hat Orbáns Fidesz in der EVP zu suchen? Wo hat Macron mit seiner En-Marche-Bewegung seine Heimat? Was tun mit den EU-Gegnern, die bald - welch grässliche Ironie - die stärkste Gruppierung im Parlament der Europäer stellen könnten, verteilt auf einige Fraktionen?

Haushaltsgespräche werden zur Erpressung

Weber ist von allem etwas: ein bisschen Christdemokrat, aber auch ein bisschen Fidesz, ökonomisch nah an Macron und doch ein Bewahrer der Union der 28, kein Verfechter der französischen Avantgarde. Diese Widersprüche sind nur noch schwer zu ertragen. Allen wohl und keinem weh geht nicht mehr lange gut. Die nächsten Monate werden Bekenntnisse erfordern: Wer klagt die Regeln ein, wer bricht sie?

Die Stimmungslage in Europa lässt es kaum mehr zu, die politische Integration zum wichtigsten Arbeitsziel der Gemeinschaft zu erklären. Dazu ist die Rechtsverachtung der Populisten zu mächtig. Das Fundament der Gemeinschaft, die bedingungslose Unterwerfung unter das gemeinsame Recht, wird von ihnen fröhlich zertrümmert. Sie werden, wie Matteo Salvini in Italien zeigt, auch die Haushaltsgespräche für ihre Form der Erpressung nutzen. Wie ärgerlich, dass gerade die Kommission dem populistischen Irrsinn (ungewollt) Vorschub leistet, indem sie scheindemokratisch Online-Befragungen zur Abschaffung der Sommerzeit abhält. Der Applaus dafür ist nichts wert.

Die Europawahl wird so zum Test für den politischen Charakter des Kontinents, eine ernste Prüfung der demokratischen Reife. Umso wichtiger, dass die Rechtspopulisten jetzt den Preis für ihr Zerstörungswerk erfahren, und dass die Mauscheleien zum vermeintlichen Wohl Europas enden.

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