Pop:Yeah, yeah, yeah!

Paul McCartney (c) Universal Music

Paul McCartney 2018 bei der Studioarbeit mit seiner Höfner Bassgitarre 500/1, die er sich erstmals 1961 auf dem Jungfernstieg in Hamburg gekauft hat.

(Foto: MJ KIM/MPL Communications)

Paul McCartney hat sein 25. Solo-Album aufgenommen. Und beweist, dass man ihn durchaus an seiner Zeit als Beatle messen kann. Weil das Songschreiben beherrscht er wie kaum ein anderer.

Von Jan Kedves

Es grenzt an ein Wunder: Da steht also Paul McCartney, dieser superfitte 76-jährige Großvater des Pop, ganz hibbelig und voller Vorfreude in der Gesangskabine, weil er jetzt endlich seinen circa zweitausendfünfhundertdreizehnten Ohrwurm aufnehmen darf. Kerrbäng-schabumm-dädä. So oder ähnlich wird es gewesen sein, als McCartney kürzlich "Fuh You" einsang, einen Song, der gerade die Kritikergemeinde spaltet, weil McCartney sich darin mit angetäuschten Hip-Hop-Beats, einer leiernden Kirmesorgel und jeder Menge zerschnipselten Samples im Hintergrund recht stark am Sound aktueller Charts-Hits orientiert. Wobei man es aber doch auch toll finden könnte, wenn McCartney mal etwas ausprobiert? Er wird doch sonst ohnehin immer an "Eleanor Rigby", "Let It Be" und den anderen Beatles-Klassikern gemessen.

Besagter Song findet sich auf "Egypt Station" (Capitol), dem beinahe rundum gelungenen neuen Album jenes Mannes, den man "Macca" nennen darf, aber auch "Sir Paul" - weil er sich durch all die Jahrzehnte einerseits noch etwas von dem Proletariersohn bewahrt hat, den man ruhig auch mal ankumpeln kann, der andererseits aber eben auch ein von höchsten königlichen Gnaden geadelter Pop-Sir ist. "Egypt Station" ist sein erstes neues Album seit fünf Jahren, sein 25. Soloalbum nach der Beatles-Zeit. Wobei manche vorrechnen, es sei erst sein 17. Soloalbum. Herrje, was sind Zahlen schon bei Paul McCartney?! Vor allem, wenn man wirklich erst einmal mit den Ohren schlackern muss: Doch, dieser Mann kann es noch.

Auf "Egypt Station" gibt McCartney den verliebten Ehemann ("Happy with You"), dann ist er der ewige Zweifler ("I Don't Know") und die beleidigte Leberwurst ("Who Cares"), um dann im Refrain des erwähnten Songs "Fuh You" genau dieses "Youuuuuu" so lange und hoch herauszuheulen wie ein Wolf, der seit fünf Jahren keinen Sex hatte. Ja, man soll sich hier eben nicht ganz sicher sein, ob mit dem Titel "For You" oder "Fuck You" gemeint ist. McCartney hat das nette Liedchen als "raunchy love song" bezeichnet, was man gar nicht übersetzen muss, wenn man weiß, dass "raunchy" schmutzig bedeutet. Wann hat man das zuletzt erlebt, dass ein 76-jähriger Mann einem, ganz ohne schmierig dazustehen, vorführt, was im Pop die höhere Schule des sympathischen Schürzenjägersongs ist?

Es gibt die McCartney-Songs, deren Melodie einem sofort in den Kopf schießt

In aller Munde war Paul McCartney auch kürzlich schon. Ende Juni nämlich, als die Folge von "Carpool Karaoke" mit ihm als Gast zum viralen Hit wurde. Darin fährt er mit dem britischen Comedian und Showmaster James Corden ("The Late Late Show") durch seine Heimatstadt Liverpool und besucht die Orte seiner Kindheit und der frühen Beatles-Tage. Zwei Männer, die Vater und Sohn oder Opa und Enkel sein könnten, cruisen also im Landrover durch die Penny Lane, und McCartney erinnert sich an den allerersten Song, den er mit 14 schrieb: "I Lost My Little Girl". Er kann ihn immer noch auswendig. Sie kommen an der St.-Barnabas-Kirche vorbei, in der er als Kind im Kirchenchor sang, und sie gehen in den Friseurladen, der im Song "Penny Lane" erwähnt wird. Dessen Betreiberin kriegt sich gar nicht mehr ein vor Freude und Schock darüber, dass hier wirklich der echte Paul McCartney steht.

Das Video ist auf Youtube 32 Millionen Mal angesehen worden, weil es so unfassbar gute Laune macht. Die Menschen sind hier so nett und lieb zueinander. Und es ist ja auch eine schöne Vorstellung, dass diese jahrzehntealten Beatles-Melodien, die jeder Mensch auf der Welt spontan mitpfeifen kann, an diese sehr spezifischen Orte hier in dieser Stadt im Nordwesten Englands gebunden sind. Vielleicht könnte einen das Video sogar daran zweifeln lassen, dass es so etwas wie Zeit überhaupt gibt? Jedenfalls lässt es einen vergessen, dass "Carpool Karaoke" natürlich vor allem ein geniales PR-Werkzeug ist. Fast jeder größere Popstar, der heute ein neues Album zu bewerben hat, lässt sich mit diesem Landrover herumkutschieren und singt mit James Corden ein paar Liedchen, bevor das Album erscheint.

Songschreiben ist für ihn wie für andere das Duschen. Es muss einfach sein

Es ist noch etwas anderes toll in dem Video. Wie McCartney darin Einblicke ins Beatles-Songwriting gibt. Bevor er in einem Pub ein Überraschungskonzert für seine Liverpudlians spielt - "Cheers!" -, besucht er noch die 20 Forthlin Road, jenes Backsteinreihenhaus, in dem er von seinem zwölften Lebensjahr an aufwuchs. Es gehört heute dem National Trust, man kann es besichtigen. Welt-Pop-Kulturerbe, sozusagen. McCartney war hier nicht mehr, seit er mit 20 ausgezogen ist. In diesem Zimmer hätten John und er "She Loves You" geschrieben, erzählt er sichtlich gerührt. Pauls Vater, selbst Musiker, habe sich den Song angehört und gesagt: "Sehr schön. Aber Sohn, ich finde, es gibt längst zu viele von diesen Amerikanismen (womit er den "Yeah yeah yeah"-Refrain meinte). Könntet ihr nicht singen: She loves you, yes yes yes?" Konnten sie natürlich nicht. Sonst würde Paul McCartney jetzt ja auch gar nicht hier in dieser Küche stehen. "Wow, wie lange meine Reise schon geht!", sagt er. Ist er den Tränen nahe?

Man versteht hier jedenfalls wirklich, dass Songs zu schreiben, sie zu singen, aufzunehmen und live zu spielen für McCartney so etwas ist wie für andere Menschen morgens das Duschen oder Kaffeekochen. Er kann einfach nicht ohne. Es muss sein. Weswegen es auch gar nicht so lustig ist, wie es wohl gemeint ist, wenn in dem begleitenden Promoschreiben zu "Egypt Station" steht, McCartney hätte doch, statt ein neues Album aufzunehmen, genauso auch "mit den Enkelkindern zum Skifahren nach St. Moritz fahren können". Hätte er eben nicht.

Interessant ist wie immer, wie unterschiedlich das Songwriting bei ihm ausfallen kann. Es gibt ja die McCartney-Songs, deren Melodien einem sofort in den Kopf schießen, sobald man ihre Titel liest - "She Loves You" gehört dazu, "Fuh You" könnte wohl auch bald dazugehören. Und es gibt jene Songs - man würde sie heute als "deep cuts" bezeichnen -, die wunderbar komponiert, aber nicht auf Anhieb eingängig sind. Der R&B-Song "Arrow Through Me" von 1979 gehört dazu, er wurde vor einigen Jahren von der R&B-Ikone Erykah Badu gesampelt. Oder "Temporary Secretary", ein Stück, das bis heute in der Welt der elektronischen Musik bestaunt wird, weil es mit seinem nervösen Synthesizer-Gefiepse beinahe nach Detroit-Techno klingt, obwohl es Detroit-Techno im Jahr 1980 noch lange nicht gab.

Kurz: McCartney ist immer gut für Überraschungen. Die gibt es auch auf "Egypt Station", am deutlichsten wohl ganz hinten bei dem locker geschrammelten Triptychon "Hunt You Down/Naked/C-Link". Drei Songs in einem, sechseinhalb Minuten, mit diversen Tempi-Wechseln. Hier erinnert das neue Album vielleicht am stärksten an das legendäre Beatles-Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" von 1967. Mit ihm setzte sich McCartney dem Vernehmen nach noch einmal intensiv auseinander, als im vergangenen Jahr die 50-Jahre-Jubiläumsedition erschien.

"Die Alben aktueller Stars wie Kendrick Lamar, Taylor Swift oder Beyoncé klingen wie eine Aneinanderreihung großartiger Singles, ihnen fehlt aber der dramaturgische Bogen, wie man ihn von Pink-Floyd-Alben oder denen der Beatles kennt", lässt er sich zum neuen Album zitieren. Da möchte man ihn dann aber schon ein bisschen bremsen. "Egypt Station" ist eine runde Sache, ja. Aber Kendrick Lamar, der dieses Jahr als erster Rapper mit dem Pulitzerpreis für Musik ausgezeichnet wurde, versteht sich auch ganz ausgezeichnet darauf, seine Alben als großes Ganzes zu konzipieren. Merkwürdig eigentlich, dass McCartney den Hip-Hop nicht ganz versteht, obwohl er selbst doch schon mit Rappern - jedenfalls mit Kanye West - zusammengearbeitet hat.

Egal. Auch Paul McCartney kann ja nicht alles können. So wie er zum Beispiel niemals mit den Enkeln zum Skifahren nach St. Moritz fahren könnte, wenn es noch ein paar Songs zu schreiben gibt.

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