SZ-Serie, Die Umsteiger, Folge 16 und Schluss:Schockverliebt in einen Bus

Lesezeit: 3 min

Marie-Therese Geetz macht Karriere als Produktmanagerin, bis ihre Stelle nach 14 Jahren wegrationalisiert wird. Erst dann fasst sie Mut und hört auf ihr Herz: Sie kauft einen Oldtimer-Bulli und tingelt seitdem mit einer mobilen Bar durch die Lande

Von Annette Jäger

Manchmal ist eine große Enttäuschung genau das, was einem weiterhilft. Bei Marie-Therese Geetz bot sie die Chance, endlich das zu machen, wovon sie immer geträumt, sich zuvor aber mit der Umsetzung nicht so recht getraut hatte. So sagt sie es rückblickend. Vorher, das war ihr Beruf als Produktmanagerin eines Sportartikelherstellers, die Enttäuschung war die Kündigung nach 14 Jahren, und die Chance war und ist ihr Oldtimer-VW-Bus, der Bulli, den sie zur mobilen Bar umgebaut hat und mit dem sie nun durch die Lande kutschiert, um Kaffee, Getränke, Süßigkeiten und Snacks zu verkaufen. Der Weg vom Vorher zum Nachher war gepflastert mit etlichen Stolpersteinen, auch mit Tiefschlägen, Frust, manchmal mit Tränen und Zweifeln. Aber auch mit viel positiver Energie, Ausdauer und Beharrlichkeit.

Wie ein guter Kumpel steht der Bulli, Baujahr 1978, in der Einfahrt im Garten. Der Schriftzug "Bullicious - coffee & bar", für Bulli und "delicious" (köstlich), prangt auf dem glänzend türkisfarbenen Lack. Eine Theke lässt sich seitlich ausklappen, frische Blumen stehen immer darauf, daneben ein großes Glas mit rosa Schaumherzen. Die Getränkekarte lässt sich in das geöffnete Fenster der Fahrerseite einhaken. Der Beifahrersitz ist ausgebaut, stattdessen ist eine Arbeitsfläche installiert, auf der ein Waffeleisen oder ein kleiner Grill Platz finden. Zwei Kühlschränke passen genau unter die Arbeitsplatte, auf der die Kaffeemaschine steht, das Herzstück des Bulli, denn der Verkauf von Kaffee einer kleinen Garmischer Rösterei steht im Mittelpunkt ihres Angebots. Seit Mai ist Marie-Therese Geetz mit dem Nostalgiebus unterwegs. In diesem Sommer stand sie schon vier Tage pro Woche auf der Liegewiese Am Anger in Gräfelfing und hat Süßigkeiten, Kaffee und selbstgemachte Limonade verkauft, sie hat bei einer standesamtlichen Hochzeit vor dem Rathaus Prosecco ausgeschenkt und sie wurde bei einem Firmen-Event gebucht, um den Gästen Bier und Drinks anzubieten. Demnächst will sie zwei Vormittage auf dem Germeringer Wochenmarkt die Theke ausklappen. "Es ist das Richtige für mich", sagt sie.

1 / 3
(Foto: Catherina Hess)

Vom Espresso bis zum Prosecco: Marie-Therese Geetz hat sich nach der Kündigung selbständig gemacht und an frühere Erfahrungen in der Gastronomie angeknüpft.

2 / 3
(Foto: Catherina Hess)

Mit ihrem "Bullicious"-Oldtimer bringt Marie-Therese Geetz Snacks...

3 / 3
(Foto: Catherina Hess)

...und Getränke an den Kunden, derzeit vor allem im Münchner Westen.

Wäre man immer ganz und gar ehrlich mit sich, wüsste man manchmal vielleicht schon zu einem frühen Zeitpunkt im Leben, wofür das Herz wirklich schlägt. Aber oft sind Umwege zu nehmen, bis man da landet, wo man hingehört. Bei Marie-Therese Geetz begann der Umweg mit einem Jurastudium in Bayreuth, das sie sich durch Jobben in der Gastronomie verdiente. Das Jurastudium "war nicht meins", sagt sie. Das Arbeiten in einer Großdiskothek an der Bar schon. Bald leitete sie die Bar, war in die Personalleitung involviert und managte das Warenlager. Schließlich arbeitete sie Vollzeit - bis zwei Wochen vor dem Staatsexamen. Möglicherweise sei das auch der Grund gewesen, warum sie knapp durchs Erste Staatsexamen gefallen sei, gibt sie heute zu.

Es folgte der Umzug mit ihrem Mann nach München, parallel zum zweiten Examensversuch begann sie bei einem Sportartikelhersteller im Nebenjob zu arbeiten. Bevor es zur Juraprüfung kam, erhielt sie dort ein festes Jobangebot und nahm an. Als Produktmanagerin entwickelte sie 14 Jahre lang die Kollektion mit, beschäftigte sich mit Wettbewerbs- und Trendanalysen, mit Preislagen, Farbpaletten und abverkaufsstarken Artikeln. Der Job machte Spaß, trotzdem flackerte da schon mal kurz der Gedanke auf, am Viktualienmarkt einen Stand mit Kaffee und Kuchen zu betreiben. Doch sie verwarf ihn wieder, es fehlte ihr der Mut, die Sicherheit der Festanstellung aufzugeben.

Der Mut kam mit der Kündigung - ihr Job wurde nach 14 Jahren wegrationalisiert. "Ich bin in ein Loch gefallen, eine Kündigung ist für's Ego eine harte Nuss." Inzwischen hatte sie zwei Kinder und sah keine Chance, in der sich stark wandelnden, immer globaler agierenden Branche wieder eine vergleichbare Stelle in Teilzeit zu finden. Sie nahm sich Zeit, verstand den Tiefschlag als Chance, um herauszufinden, in welche Richtung es jetzt gehen sollte. Die Gastronomie-Idee kam wieder auf, besiegelt war sie, als sie die Bulli-Anzeige las. "Ich war schockverliebt" - der Bus musste es sein.

Das Konzept wuchs dann erst, als der Bulli schon in der Einfahrt stand. Es folgten Tage am Telefon und Nächte am Tablet mit Recherchen, sie machte Weiterbildungen in Buchhaltung und Steuerrecht, sie erfuhr, dass der Kuchenverkauf eine Schnapsidee war, weil sie dafür eine separate Gastronomieküche benötigen würde. Und sie lernte, dass das Ordnungsamt warmes Wasser im Bus verlangte. Der Ausbau des Wagens war zum Wahnsinnigwerden: Kein einziges Standardmaß passte, nichts klappte auf Anhieb, das fing schon direkt nach dem Kauf an, als der Oldtimer nach gerade einmal 100 Kilometern auf der Autobahn mit defekter Lichtmaschine liegen blieb. Es stellten sich Zweifel ein, manchmal auch Frust, und da waren zunehmend nörgelnde Kinder, zehn und fünf Jahre alt, weil die Eltern jedes Wochenende am Bulli schraubten. Aber da war auch ein unterstützender Ehemann, Familienmitglieder und gute Freunde an ihrer Seite, und sie lernte andere Existenzgründer über soziale Medien und Weiterbildungen kennen. Das machte Mut und gab ihr die Kraft, weiterzumachen.

Und jetzt? Der Bulli rollt, und Marie-Therese Geetz strahlt. "Ich bin mein eigener Chef." Weniger Arbeit als im alten Job hat sie nicht. Aber es sei etwas Eigenes. Sie hat das Gefühl, sie ruhe mehr in sich und sei nicht mehr so am Herumhetzen zwischen Beruf und Familie. Der Bulli freilich, der verlangt weiter Aufmerksamkeit. Er ist quasi zum Familienmitglied geworden. Gerade erst hat sie eine Lichtschiene installiert. Die Tage werden kürzer, sie steht beim nächsten Kaffeeausschank sonst im Dunklen.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: