Fernsehfilm zum Fall Mollath:"Ich bin in eine absolut unglaubliche Geschichte geraten"

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"Es ist, als hätte ich nie gelebt": Jan Josef Liefers (Mitte) als Justizopfer Sebastian Kronach. (Foto: ZDF und Jürgen Olczyk)
  • In seinem Fernsehfilm "Gefangen - Der Fall K." erzählt Hans Steinbichler die Geschichte des deutschen Justizopfers Gustl Mollath, der sieben Jahre lang unschuldig in der geschlossenen Psychiatrie saß.
  • Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen schrammen die Details des Films alle haarscharf am echten Fall vorbei.

Von David Denk

Der Vogel im Nato-Draht ist tot, offenbar länger schon, aber niemand hat sich die Mühe gemacht, ihn da rauszuholen. Letzteres gilt auch für den Mann, der nun den hoch umzäunten Hof betritt. Er lebt zwar, macht aber einen apathischen Eindruck, wie er mit Trippelschritten ins Sonnenlicht schlurft. Größere Schritte lassen die zerschlissenen Latschen, aber vor allem die Fesseln an seinen Füßen nicht zu. "Guten Tag, ich darf mich vorstellen", sagt eine Stimme aus dem Off, "mein Name ist Sebastian Kronach und ich bin in eine absolut unglaubliche Geschichte geraten." So beginnt Gefangen - Der Fall K., Hans Steinbichlers Film über einen Justizskandal, der seine Existenz "ausradiert" habe, wie der Mann es in seinem Monolog ausdrückt. "Es ist, als hätte ich nie gelebt."

Als die Kamera von den Schlappen hochschwenkt, über die Bluejeans, das speckige Sweatshirt, unter dem ein Polohemdkragen hervorguckt, bis in ein von Grauhaar umrahmtes Gesicht mit Schnauzbart, ist für den Zuschauer alles klar, auch wenn der Name nicht ein einziges Mal im Film fällt: Erzählt wird hier in fiktionalisierter Form (Buch: Kit Hopkins, Hans Steinbichler, nach einer Vorlage von Henriette Piper) die unglaubliche Geschichte des Gustl Mollath, der mehr als sieben Jahre zu Unrecht in der geschlossenen Psychiatrie saß, eines der bekanntesten deutschen Justizopfer.

Alles schrammt haarscharf am echten Fall vorbei: Mollaths Oldtimer-Werkstatt hieß "Augusto M", die im Film heißt "Sebastiano K"; Mollath päppelte in der Psychiatrie eine Dattelpalme hoch, im Film gibt es ein Apfelbäumchen. Produzent Michael Souvignier spricht immer nur von "dem Menschen, von dem wir reden", wenn es um den Protagonisten geht, er nennt es eine "Abwägungssache" mit dem jeweiligen Sender, wie unmittelbar sich eine fiktionale Produktion auf die Wirklichkeit beziehen kann. "Jeder Sender möchte gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden", sagt Souvignier. "Und doch muss ich ihn als Produzent dazu bringen, ein Projekt allen Risiken zum Trotz unbedingt machen zu wollen." Wenn sich eine Produktionsfirma mit Persönlichkeitsrecht auskenne, dann seine Zeitsprung, sagt Souvignier und spricht von leidvoller Erfahrung, die ihn gut auf spätere Projekte vorbereitet habe, viele davon preisgekrönt.

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Den Weg zur Ausstrahlung des von ihm produzierten Contergan-Zweiteilers ebnete nach Klagen der Pharmafirma Grünenthal und eines früheren Opferanwalts 2007 erst das Bundesverfassungsgericht. "Filme, die auf realen Begebenheiten beruhen, sind das Geschäftsmodell seiner Firma", schrieb der Spiegel. Ein mühsames Geschäft. "Ich denke manchmal, ich bin verrückt", sagt der Kölner Souvignier salopp. "Warum tue ich mir den ganzen Stress an?" Ja, warum eigentlich? "Das entspricht meinem Charakter. Der einfache Weg ist nicht meiner." Souvignier, 59, ist ein Veteran, er hat sogar eine Insolvenz überstanden.

Überzeugungsarbeit ist ein elementarer Teil seines Jobs, denn der Wettbewerb um die "heißen Themen", wie Souvignier das nennt, ist hart: "Bei jeder zweiten Idee, die du hast, gibt es schon ein Parallelprojekt." Bei der Adidas-Puma-Gründergeschichte Duell der Brüder etwa ist Souvignier trotz der Konkurrenzproduktion Die Dasslers drangeblieben, ein Projekt über Uli Hoeneß hat er angesichts der Sat-1-Satire Die Udo-Honig-Story instinktiv verworfen.

Emotionalität hilft bei dem harten Stoff

Den Anstoß zu Gefangen - Der Fall K. gab 2013 der Auftritt einer Psychiaterin in einer ARD-Talkshow, die sinngemäß sagte, dass es in Deutschland zu wenige psychiatrische Gutachter gebe, die zudem alle voneinander abschrieben. "Da wurde mir klar: Wir leben in einer Bananenrepublik", sagt Souvignier. "Was dem Menschen, von dem wir reden, widerfahren ist, könnte Ihnen oder mir genauso gut passieren." Als politischen Produzenten würde sich der Günter-Wallraff-Fan trotzdem nicht unbedingt bezeichnen: "Ich weise auf Missstände hin. Ist das schon politisch?"

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Wer Gustl Mollath gesehen hat, wird sich über die Besetzung mit Jan Josef Liefers wundern; im Kontext der filmischen Erzählung funktioniert sie allerdings ganz wunderbar, weil man Liefers den Lebemann im Porsche, der Kronach offenbar mal war, ohne Weiteres abnimmt. Gemeinsam mit Julia Koschitz verkörpert er ein den schönen Dingen des Lebens zugeneigtes Aufsteigerpärchen, das seine ehemals große Liebe vor die Wand fährt.

"Ich wollte, dass der Film populär wird, und Jan Josef ist populär", sagt Souvignier, "insofern war das eine Traumbesetzung." Liefers macht die sperrige Figur nahbar. "Mein ganzes Sinnen und Trachten ist es, einen Film emotional zu machen, denn nur so kann ich den Zuschauer mit einem dermaßen harten Stoff erreichen." Gefangen - Der Fall K. ist ein eindringlicher Film, der aber bedauerlicherweise auf Geschmacksverstärker nicht verzichten mag, etwa wenn Kronachs Ausradiert-Monolog mit einer seifigen Pianoversion von "Über sieben Brücken musst du geh'n" unterlegt ist.

Michael Souvignier beschäftigt sich derweil schon wieder mit ganz anderen Projekten, 50 bis 70, wie er sagt, in unterschiedlichen Stadien. Es ist ein Spiel gegen die Zeit: Bei einem AfD-Projekt, Arbeitstitel "Neues Deutschland", habe die mittlerweile ehemalige Parteichefin Frauke Petry im Mittelpunkt gestanden. "Da wurde die Entwicklung des Drehbuchs von der Realität überholt", sagt Souvignier. Abgehakt, weiter geht's, es gibt so viele andere erzählenswerte Geschichten aus und über Deutschland. "Ich brenne für meine Arbeit, immer noch", sagt er.

Gefangen - Der Fall K. , ZDF, 20.15 Uhr

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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