Buch "Das Ende der Diplomatie":Politik der dreckigen Deals

Ronan Farrow

Der Kronprinz des demokratischen Washingtons: der 30-jährige Ronan Farrow.

(Foto: picture alliance/Kay Nietfeld)
  • Ronan Farrows erstes Buch handelt vom sanften Tod der Diplomatie und tritt als eine Mischung aus außenpolitischem Thesenpapier und kreuzbraver Politikreportage auf.
  • Farrow ist der Sohn von Woody Allen und Mia Farrow, Absolvent hervorragender amerikanischer Hochschulen und hat mit 30 Jahren bereits eine Karriere als Diplomat hinter sich.
  • "Das Ende der Diplomatie" kann man als Selbstpositionierung eines jungen Demokraten lesen, als Programmschrift eines kommenden Außenministers.

Von Felix Stephan

Manchmal erschließt man sich ein Buch am besten von seinem Gegenüber her, dem angenommenen Leser. Es kann sich an die Landsleute des Autors richten, an seine Mutter, seine Geliebte oder direkt an Hölderlin. Und im Falle von Ronan Farrows Band "Das Ende der Diplomatie" ist die Frage, wer oder was hier eigentlich der Angesprochene ist, gar nicht so leicht zu beantworten und deshalb erst einmal interessant.

Ronan Farrow ist 30 Jahre alt und ein Kind der kulturellen, liberalen New Yorker Oberschicht des späten 20. Jahrhunderts. Wenn man die sich deren Grundpfeiler - Individualismus, Entertainment und Freihandel - als Vektoren vorstellt, die in die Zukunft weisen, würden sie sich am Jahr 2018 vermutlich in der Person Ronan Farrow kreuzen. Er ist der Sohn von Woody Allen und Mia Farrow, jüngster Absolvent in der Geschichte des Bard College, und Yale-Jurist. Und weil er seinen Ivy-League-Abschluss schon im Alter von 21 Jahren in der Tasche hatte, und Hillary Clinton für jemanden wie ihn nur einen Anruf entfernt ist, trat er direkt nach der Uni in den diplomatischen Dienst ein und feilte in einem Alter an den Beziehungen zwischen Pakistan und den USA, in dem andere sich gerade Gedanken darüber ihren machen, wie sie jemals ihren Studienkredit werden zurückzahlen können. Solche Sorgen hat Farrow immerhin nicht. Niemand entscheide sich des Geldes wegen für eine Karriere im diplomatischen Dienst, schreibt er an einer Stelle. Einschließlich Ausgleichszahlungen verdiene man dort lediglich 91 000 Dollar im Jahr.

Eine breite Übereinkunft links der Republikaner hat nur Bernie Sanders hergestellt

In der gegenwärtigen politischen Landkarte der USA ist es allerdings nicht unbedingt ein Vorteil, als Inbegriff des liberalen Ostküsten-Amerikas zu gelten: Im Weißen Haus weht ein illiberaler Geist, die weißen Mittelschichten der USA verbinden mit Freihandel vor allem Abstiegsangst und Zuwanderung und die Linke redet auf eine essenzialistische Weise über Identität, Ethnie und Repräsentation, die außer ihnen selbst vor allem ganz herkömmlich rechte Rassisten interessiert. Eine breite ideelle Übereinkunft links der Republikaner hat in den vergangenen Jahren lediglich Bernie Sanders aufgestellt, dem die Präsidentschaftskandidatur aber von der eigenen Partei verwehrt wurde, weil aus dynastischen Gründen Hillary Clinton an der Reihe war. Dem Clinton-Lager will man deshalb gerade eher nicht angehören. Genau dort ist aber Ronan Farrow zu finden.

Mit Ende zwanzig hat Farrow die Diplomatie hinter sich gelassen, um Journalist zu werden und mit einem seiner ersten Projekte den jahrelangen systematischen sexuellen Missbrauch des Filmproduzenten Harvey Weinstein öffentlich zu machen, dafür zusammen mit Jodi Kantor und Megan Twohey von der New York Times einen Pulitzer Preis zu bekommen und eine weltweite Debatte über Machtmissbrauch in beruflichen Hierarchien auszulösen. Was in Farrows speziellen Fall auch deshalb so interessant anzusehen war, weil er seinen eigenen Vater Woody Allen immer wieder des sexuellen Missbrauchs bezichtigt hatte und sich diese ganze Sache auch einfach als großes Vatermord-Drama lesen ließ. Ronan Farrow hat es bislang immer gut hinbekommen, dass seine Geschichten gleichzeitig von den USA, der zivilisierten Welt und ihm selbst handelten, als wären all diese Schicksale untrennbar miteinander verwoben.

Jetzt ist also Ronan Farrows erstes Buch erschienen. Es handelt vom sanften Tod der Diplomatie und tritt als eine Mischung aus außenpolitischem Thesenpapier und kreuzbraver Politikreportage auf. Farrows Grundbeobachtung lautet, dass das amerikanische Außenministerium seit einigen Jahrzehnten kontinuierlich an Einfluss verliert, dass die Außenpolitik also nicht mehr in den Händen des Außenministeriums liegt, sondern in den Händen des Militärs und der Geheimdienste, und dass sich diese Entwicklung noch einmal beschleunigte, als George W. Bush den Krieg gegen den Terror ausrief. Aus dem Bedeutungsverlust der Diplomaten und der internationalen Gremien, in denen sie vertreten sind, ergab sich ein schleichender Stellenabbau, der darin gipfelte, dass Donald Trump in den ersten Tagen seiner Amtszeit Tausende Angestellte des Außenministeriums entließ und Botschaften monatelang unbesetzt blieben. Amerikanische Außenpolitik, so Farrow, bestehe heute vor allem aus direkten Absprachen zwischen Generälen und Geheimdienstchefs. Und das führe zu den zahlreichen Fiaskos, die seit einiger Zeit das Bild der amerikanischen Außenpolitik prägen, eine Außenpolitik, die vor allem aus dreckigen Deals besteht.

Farrow führt das am Beispiel dreier verdeckter Kriege vor: gegen die Sowjets in Afghanistan, gegen die Taliban und die somalischen Islamisten. Um die Sowjets in Afghanistan zu bekämpfen, gingen die USA ein Bündnis mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI ein, der amerikanische Waffen jedoch oft direkt an Dschihadisten weiterreichte. "Einer der Lieblinge des ISI war Guldbuddin Hekmatyar", schreibt Farrow, "ein grausamer Fundamentalist, dessen Männer wahllos Zivilisten ermordeten und der angeblich spezialisiert darauf war, gefangenen Soldaten bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen." Der ISI leitete schätzungsweise ein Viertel der amerikanischen Waffenlieferungen direkt an Hekmatyar weiter, damit er Muslime radikalisierte und für den Dschihad gegen die Sowjets ausrüstete. Die Taktik ging auf, allerdings zog der verdeckte Krieg auch einen reichen saudischen Unterstützer namens Osama bin Laden an, der sich vom ISI zeigen ließ, wie man dschihadistische Ausbildungslager errichtete.

In ihrem eigenen Afghanistan-Krieg bewaffneten die USA dann im Kampf gegen die Taliban die so genannten Nordallianz, während die Taliban ihre Waffen weiterhin zum guten Teil vom amerikanischen Partner Pakistan bezogen. Die USA bewaffneten jetzt also beide Seiten.

Und auch in Somalia haben die USA lokale Warlords mit Geld und Waffen ausgestattet, weil sie fürchteten, dass die Islamischen Gerichte, die in dem Land das Sagen hatten, Somalia in eine islamistische Theokratie verwandeln würden. Die Warlords aber terrorisierten die Bevölkerung, erschossen willkürlich Geistliche und jagten ihre Gegner auf grausame Weise, weshalb das Gegenteil dessen eintrat, was die USA ursprünglich vorhatten: Die Islamisten wurden immer populärer und übernahmen im Jahr 2006 die vollständige Kontrolle. Daraufhin besetzte das Nachbarland Äthiopien Somalia und zerschlug die Vorherrschaft der Islamisten, woraufhin sich eine Widerstandsbewegung entwickelte, die heute unter dem Namen Al-Shabaab in enger Abstimmung mit Al-Qaida die ganze Welt terrorisiert. Die USA hatten aus einem stabilen, wenn auch theokratisch regierten Land einen Krisenherd gemacht, von dem aus eine islamistische Miliz bis heute weltweit Anschläge vorbereitet.

Das Buch liest sich wie die Programmschrift des nächsten Außenministers des USA

Ronan Farrow erzählt das Geschehen aus erstaunlicher Nähe: Er interviewt afghanische Kriegsverbrecher, geht nach Richard Holbrookes Tod mit Hillary Clinton in eine Bar und besucht geschasste Botschafter in ihren Landhäusern. Trotzdem ist das Buch stilistisch nicht eben ein Genuss, es liest sich über weite Strecken wie eine Fleißarbeit, wie ein Bericht an den Vorgesetzten. Geopolitisch gibt es wenig, was man etwa von Ahmed Rashid nicht schon erfahren hätte, stilistisch wirklich nichts, was bei Jon Lee Anderson oder Dexter Filkins nicht sehr viel besser zu haben wäre. Weshalb am Ende vor allem der Verdacht bleibt, dass sich dieses Buch nicht nur liest wie ein Handzettel für Washingtoner Bürokraten, sondern auch genau so gemeint ist: als Selbstpositionierung eines jungen Demokraten, als Programmschrift eines kommenden Außenministers. Das Gegenüber dieses Buches ist Washington. Wir aber, und die Geste ist nicht zu unterschätzen, dürfen mitlesen.

Ronan Farrow: Das Ende der Diplomatie. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Heide Lutosch, Hans-Peter Remmler, Gabriele Würdinger. Rowohlt Verlag, Reinbek, 2018. 544 Seiten, 22 Euro.

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