Formel 1:Alles bleibt in der Familie

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Seltene Freundschaft unter Rennfahrern: Sebastian Vettel (links) hatte sich für den Verbleib seines Teamkollegen Kimi Räikkönen bei Ferrari eingesetzt. (Foto: Lars Baron/Getty Images)
  • Verjüngung im Fahrerlager von Ferrari: Kimi Räikkönen, 38, wird von Charles Leclerc, 20, zur kommenden Saison abgelöst.
  • Den Finnen Räikkönen zieht es zum Alfa-Romeo-Sauber-Team. Bei Sauber hatte er 2001 seine Formel-1-Karriere gestartet.
  • Mit Leclerc bekommt Sebastian Vettel einen ganz anderen Typ Mitfahrer. Einen aufstrebenden Jungen, der sich beweisen muss.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Jene mehr als 88 000 Formel-1-Fans, die mittels einer Online-Petition den Verbleib von Kimi Räikkönen bei Ferrari erzwingen wollten, haben sich nicht durchgesetzt. In Maranello lässt man sich von nichts und niemandem etwas diktieren, außer er ist Handlungsbevollmächtigter von Fiat in Turin. Allerdings hat das weitere Schicksal des schweigsamsten, wenn auch nicht unbedingt verschwiegenen finnischen Rennfahrers, in der Chefetage der Scuderia die Selbstherrlichkeit etwas gemildert und zu einem Kompromiss gezwungen, einem ganz großen sogar. Um das entscheidende Saisondrittel nicht wieder durch die Ungewissheiten auf dem Transfermarkt in Mitleidenschaft zu ziehen, wie zuletzt mit dem sportlichen und mentalen Debakel beim Heimspiel, musste die Personalie Räikkönen vor dem Großen Preis von Singapur vom Tisch.

Am Dienstag wurde deshalb ein Ringtausch verkündet, der zumindest teilweise überraschend kommt: Räikkönen werde, so das erste Kommuniqué aus dem Ferrari-Hauptquartier, zum Ende der Saison 2018 von seinen Aufgaben als Werksfahrer "zurücktreten". Das ist eine interessante Wortwahl, aber der Verlust des 38 Jahre alten Finnen für das Renngeschäft war demnach nicht mehr zu verhindern. 23 Minuten später machte eine weitere offizielle Meldung die Runde, diesmal aus Hinwil im Zürcher Oberland. Wieder ist die Wortwahl interessant, noch interessanter aber der Sachverhalt: "Kimi Räikkönen tritt dem Alfa Romeo Sauber-Team 2019 bei." Was nach weiteren sieben Minuten kam, diesmal wieder aus Italien, war abzusehen - ein schmuckloser Einzeiler: "Ferrari gibt bekannt, dass Charles Leclerc im kommenden Jahr neben Sebastian Vettel für das Team fahren wird." Der 20 Jahre alte Monegasse ist damit der zweitjüngste Fahrer der Ferrari-Historie, er hat gerade mal 14 Grand-Prix-Rennen im Sauber-Rennstall hinter sich und verdrängt den ältesten Mann der Königsklasse dorthin, wo dessen Karriere 2001 angefangen hat.

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Ein Kompromiss, mit dem alle gut leben können. Räikkönen, weil er ja schon vor dem Rausschmiss und dem Karriereende stand. Leclerc, weil sich sein großer Traum erfüllt. Sauber, weil man zwar ein Talent ziehen lassen muss, aber weiter die Hilfe aus Italien genießt und für den Aufbau des Rennstalls einen erfahrenen Mann bekommt. Ferrari, weil man das Wunschszenario erfüllt, ohne sein Gesicht zu verlieren. Chase Carey, der Formel-1-Geschäftsführer, weil ihm nach Fernando Alonso nicht noch ein Publikumsliebling verloren geht. Es bleibt also alles in der Familie.

Aber ob Sebastian Vettel mit der Entwicklung so glücklich sein kann? Der Heppenheimer hat sich stets für den Verbleib von Räikkönen eingesetzt, mit dem ihn eine unter Rennfahrern seltene Freundschaft verbindet. Vettel schätzt Leclerc, der ihm im vorigen Jahr wertvolle Erkenntnisse durch die Fahrten im Ferrari-Simulator bescherte, aber er kennt auch den Ehrgeiz des aufstrebenden Piloten. "Ich werde künftig noch härter arbeiten als je zuvor, um nicht zu enttäuschen", kündigt Leclerc an. Offiziell gilt Vettels Lesart, dass es ihm "egal" sei, wer sein Teamkollege ist; aber er wird sich umstellen müssen, das ist klar. Denn Leclerc muss sich einen Namen machen, und das geht am besten, wenn er das Establishment angreift. Der Typ dazu ist er auch. Räikkönen hingegen war ein stets verlässlicher Partner in den letzten dreieinhalb Jahren. Nur zuletzt in Monza kriselte die Beziehung, als der Finne Vettel den Windschatten verweigerte und selbst auf die Pole-Position fuhr, worauf es in der zweiten Schikane des Rennens zu einer Kollision Vettels kam. Aber das war mehr ein taktischer Fehler des Teams; freilich einer, der die WM entscheiden kann.

Damit war den italienischen Automobil-Managern endgültig klar, dass es mit einer kühlen Abschiebung nicht getan sein würde. Ferrari-Präsident John Elkann und Ferrari-CEO Louis Camilleri, die im Autodromo in neuer Rolle ihren Antrittsbesuch in der Formel 1 machten, waren durch das Vermächtnis des im Juli verstorbenen Fiat-Lenkers und Motorsportenthusiasten Sergio Marchionne unter Zugzwang gebracht worden. Denn der hatte vor seinem Tod im Frühjahr einen Vorvertrag über die Beförderung des Ferrari-Junioren Charles Leclerc geschlossen, den er zuvor bei Sauber zur Ausbildung untergebracht hatte. Leclercs Manager ist Nicolas Todt, der Sohn des früheren Ferrari-Rennleiters und -Direktors Jean Todt, dem aktuellen Präsidenten des Automobilweltverbandes Fia. Darüber setzt man sich nicht so schnell hinweg, selbst wenn man will. Um Räikkönen behalten zu können, wie es zumindest Camilleri wohl gern getan hätte, war zunächst versucht worden, Leclerc ein weiteres Lehrjahr beim US-Rennstall Haas-Ferrari anzubieten. Sauber hätte dann den bisherigen Reservefahrer Antonio Giovinazzi aus dem Ferrari-Kader zum Stammfahrer befördern sollen. Doch Todt junior blieb hart, Leclerc sah die Chance seines Lebens, Räikkönen hatte urplötzlich wieder Spaß am Rennfahren bekommen - alle diese Knoten in den Verflechtungen zu lösen, in Zeitnot und unter dem Druck der Öffentlichkeit war ein Kraftakt für Ferrari.

Verbunden natürlich mit der Hoffnung, sich wieder auf den Titelkampf konzentrieren zu können, in dem man trotz des stärksten Autos im Feld wieder in Rückstand geraten ist gegenüber Lewis Hamilton und den Silberpfeilen. Am Sonntag beim Nachtrennen in Singapur, wo der beste Startplatz mitentscheidend ist, wird sich weisen, ob Ferrari unter den neuen Gegebenheiten wie Konkurrent Mercedes auf Stallorder umstellt und wie sich Räikkönen dann verhält. Aber Vertrag ist Vertrag.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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