ifo Bildungsbarometer:Wie viel Sex gehört in die Schule?

Graffiti Schultoilette

Das Bilderbuch "DAS machen" von Lilly Axster und Christine Aebi zeigt, was Kinder in ihrer Sexualität beschäftigt.

(Foto: Christine Aebi)

Lehrer sollen mit Kindern über sexuelle Belästigung sprechen und können Klassen künftig nicht mehr einfach in Jungen und Mädchen unterteilen. Wie sie damit umgehen können, erklärt Genderexpertin Juliette Wedl.

Interview von Larissa Holzki

Die Grundschullehrerin soll mit den Kindern über Gewalt von Männern gegenüber Frauen sprechen, über sexuelle Belästigung und Gleichstellung. Dafür spricht sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung aus, zeigt das repräsentative ifo Bildungsbarometer. Ohne Zweifel ein schwieriger Auftrag für die Pädagogen. Aber ist es überhaupt der richtige für dieses Alter? Juliette Wedl ist Soziologin am Braunschweiger Zentrum für Gender Studies, bildet angehende Lehrer in Fragen der Geschlechtersensibilität fort und sammelt zurzeit Material, das bei der Vermittlung dieser Themen hilft.

SZ: Frau Wedl, sollte man mit Achtjährigen darüber sprechen, dass es Männer gibt, die Frauen schlagen, und ihnen erklären, was sexuelle Belästigung ist?

Juliette Wedl: Ja, man muss mit Kindern sogar über Gewalt sprechen, um sie handlungsfähig zu machen. Deshalb freue ich mich auch, dass das so deutlich gewünscht wird. Gleichzeitig ist diese Sammlung natürlich erdrückend. Da stellt sich die Frage, wie kann man all das gut vermitteln? Wichtig ist ja auch, dass sich bei den Kindern nicht einprägt: Frauen sind Opfer und Männer sind Täter.

Wie kann man über Gewalt sprechen, ohne den Kindern Angst zu machen?

Indem man bei ihren Erfahrungen ansetzt. Das heißt nicht, dass sie über eigene Gewalterfahrungen sprechen sollen. Aber man kann fragen: Was ist für euch Gewalt? Und dann kommt man langsam darauf zu sprechen, dass es nicht nur individuell erfahrene Gewalt gibt. Es gibt da auch Strukturen, die wiederum mit Macht zusammenhängen.

Auch die Gleichstellung von Mann und Frau will eine große Mehrheit schon in der Grundschule besprochen wissen. Macht man da etwas zum Thema, was gar kein Thema mehr sein sollte?

Nein, es ist ja leider noch Thema. Wenn es um ungleiche Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, bei der Arbeitsteilung, wenn es um Diskriminierung und Sexismus geht, dann muss ich Geschlecht explizit zum Thema machen. Aber eins muss klar sein: Immer, wenn Differenzen hervorgehoben werden, verfestigen sie sich auch. Deshalb ist es zum Beispiel nicht gut zu sagen: Jedes Mädchen bestimmt einen Jungen, der nach ihm vorlesen soll und andersherum. Lehrkräfte wollen damit meist nur die Gruppendynamiken durchbrechen und dafür sorgen, dass jeder mal drankommt. Hängen bleibt jedoch: Geschlecht spielt eine Rolle und ist als Trennungsmerkmal wichtig. Es können andere Regeln aufgestellt werden.

Dann sind Sie auch gegen geschlechtergetrennten Unterricht? Jeder Dritte hält das für ein gutes Modell im Sport. Und Befürworter von Mädchenschulen sagen, dort würden die Schülerinnen sich eher trauen, auch mal den Bunsenbrenner zu benutzen und das nicht immer den Jungs überlassen.

Da bin ich tatsächlich vorsichtig. Dass häufiger Jungen die Experimente machen und die Mädchen Protokoll schreiben, beobachten viele Lehrkräfte. Ein einfaches Mittel dagegen ist die Anweisung: Jeder in einer Arbeitsgruppe soll jede Aufgabe einmal gemacht haben. Gut ist, wenn man anschließend darüber spricht. Was hat euch jetzt am meisten Freude gemacht und was hindert euch sonst daran, diese Aufgabe zu übernehmen? Im Sport könnte man statt nach Geschlecht nach Interesse oder Leistung trennen.

Und dann heißt es, guck' dir den Loser an, der muss bei den Mädchen mitlaufen.

Trennung nach Leistung gibt es an Gesamtschulen in anderen Fächern auch. Da ist man als Lehrkraft immer gefordert eine Atmosphäre zu fördern, in der niemand als Loser bezeichnet wird und muss in solchen Fällen deutlich machen, dass Stereotype, Diskriminierung und Mobbing nicht tragbar sind. Wenn es inhaltlich aber begründet ist geschlechtergetrennte Gruppen zu machen, muss ich vermitteln warum. Und: Nicht alle können sich einfach zuordnen.

Sie spielen darauf an, dass auch ein intergeschlechtliches oder transgender Kind in der Klasse sein kann?

Es gibt auf jeden Fall mehr als zwei Geschlechter. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gesprochen, dass es bis Ende des Jahres eine dritte positive Option geben muss (das heißt, im Geburtenregister wird nach einem Gesetzentwurf der großen Koalition neben männlich und weiblich dann auch der Eintrag "divers" möglich sein, Anm. d. Red.). Soll ich diese Kinder immer wieder dahin bringen, sich gewaltsam einem Geschlecht zuzuordnen? Der Preis, den wir dafür zahlen, sind schlechtere Schulleistungen, Mobbingerfahrungen und mehr Suizidversuche bei den betroffenen Kindern. Wir sind pädagogisch in der Verantwortung, über die Vielfalt der Geschlechter und auch der sexuellen Orientierung zu reden.

Das sehen nicht alle so. 14 Prozent der Frauen und 23 Prozent der Männer sind sehr oder eher dagegen, sexuelle Vielfalt an weiterführenden Schulen zu thematisieren. Allerdings sprechen sich noch mehr Menschen dafür aus, Sexualkunde schon im Kindergarten zu unterrichten. Wie kann das aussehen?

Es gibt inzwischen ein paar sehr gute Konzepte für Kindergärten, deutlich mehr als für die Grundschule. Da geht es um die Regenbogenfamilie, um ein Kind, das nicht Junge und nicht Mädchen ist, aber auch um sexuelle Gewalt. Ein zentrales Thema für Kinder ist: Wann sage ich nein? Und wie sage ich so nein, dass es ankommt? Für Kinder in der Grundschule gibt es zum Beispiel das Bilderbuch "DAS machen" über Sexualität und Identität, mit dem man wunderbar arbeiten kann.

Viele Befragte haben den Eindruck, dass im Sprachunterricht in der Schule inzwischen die Mädchen bevorzugt werden. Wie sollten Lehrer mit Studien- und Umfrageergebnissen umgehen?

Im Klassenraum helfen mir Zahlen und Studien nur bedingt. In meiner Klasse kann Geschlecht - wie auch Migrationshintergrund und Elternhaus - eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Lehrkräfte müssen angesichts der Ergebnisse vor allem ihre eigenen Annahmen hinterfragen. Gehe ich davon aus, dass Mädchen im Sprachunterricht besser sind? Denke ich, dass Jungs den Unterricht stören? Und sind das meine Erfahrungen oder nehme ich zum Beispiel störende Mädchen gar nicht wahr? Hilfreich sind zum Beispiel Beobachtungsprotokolle für den Unterricht. Lehrkräfte haben Mittel, um darüber nachzudenken, ob das für die eigene Klasse zutrifft und wie sie damit umgehen.

Juliette Wedl ist Autorin des Buches "Teaching Gender?" Darin hat sie zusammen mit der Herausgeberin Annette Bartsch Beispiele und Konzepte für einen reflektierten Umgang mit Geschlecht im Fachunterricht und in der Lehramtsausbildung gesammelt.

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