Öffentlicher Nahverkehr:Erst die Reform, dann das 365-Euro-Ticket

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Landrat Löwl und Oberbürgermeister Hartmann wollen nicht, dass die lange ausverhandelte Tarifreform im öffentlichen Nahverkehr scheitert.

Von Thomas Altvater, Dachau

Florian Hartmann findet deutliche Worte, der Dachauer Oberbürgermeister (SPD) spricht von einem "leeren Wahlkampfversprechen" und von einem "Drama". Gemeint ist die Idee von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), eine 365 Euro teure Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr im Raum München einzuführen. Dieser eilige Vorschlag gefährdet nun die so lange ausgehandelte Reform des Münchner Verkehrsverbunds (MVV). Nicht nur Hartmann, auch der Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU), die Kreisrätin Marese Hoffmann (Grüne), der Karlsfelder Verkehrsreferent Bernd Wanka (CSU) und die Schwabhausener Gemeinderätin Martina Purkhardt (Freie Wähler) lehnen ein Scheitern der Reform zugunsten des Vorschlags von Söder strikt ab.

Für Stefan Löwl ist der Vorstoß Söders, der das 365-Euro-Ticket spätestens bis zum Jahr 2030 einführen will, zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als hilfreich. "Die Reform dadurch jetzt infrage zu stellen, ist nicht gut", sagt er in Richtung des Ministerpräsidenten. Drei Jahre lang und in mehr als 100 Sitzungen verhandelte Löwl mit den betroffenen Landräten im Münchner Umland, mit Fahrgastverbänden, externen Gutachtern und dem MVV. Die Reform sei ein langersehnter und notwendiger Kompromiss, mit mehr Gewinnern als Verlierern: "Es gibt deutlich spürbare Verbesserungen und ungefähr zwei Drittel der Fahrgäste werden schlussendlich profitieren", erklärt Löwl.

Auch Hartmann befürchtet, dass die Idee Söders die Reform behindern, wenn nicht sogar ganz kippen könnte. "Wenn das passiert, dann wäre das dramatisch", sagt er. Denn gerade Dachau profitiert von den Veränderungen im neuen Tarifsystem, das im Juni 2019 in Kraft treten soll. Aktuell ist der MVV in 16 Ringe, vier Zonen und drei Räume aufgeteilt. Eine Reform gab es seit der Einführung im Jahr 1972 nicht. "Das System sorgt für Verwirrung, weil Dachau beispielsweise durch so einen Ring getrennt wird", sagt Hartmann.

Fahrten von Dachau nach München werden insgesamt billiger

Nun ist der MVV deutlich vereinfacht worden: Das Gebiet soll sich in nur noch sieben Zonen gliedern, eine davon ist die neue Zone M, der Münchner Innenraum, der um einige Ortschaften erweitert wurde. Karlsfeld liegt dann im Übergangsbereich zwischen den Zonen M und 1. Die Fahrten von Dachau nach München werden insgesamt billiger. Auch sollen die Zonen vergrößert werden, was Hartmann begrüßt.

Die Vorteile, die der Dachauer Oberbürgermeister erkennt, lassen jedoch nicht alle Politiker gelten. Vor allem im Landkreis München sehen sich einige Gemeinden, deren Einwohner künftig deutlich mehr für ihre Fahrkarten bezahlen müssen, als große Verlierer der Reform. Auch der Petershausener Gemeinderat Josef Mittl (Freie Wähler) erkennt für seinen Ort am Rande des MVV keine Verbesserungen. Er erklärt, dass für die Menschen, die im äußeren Umland von München leben, die Fahrkarten am Ende teurer würden. "Wenn sich da nicht noch etwas verändert, dann ist die Reform - unabhängig von der Debatte um das 365-Euro-Ticket - gescheitert." Der Karlsfelder Verkehrsreferent Bernd Wanka (CSU) versucht, dem entgegenzuhalten. Es sei nicht richtig, seine eigenen Interessen über das Gemeinwohl zu stellen und dadurch die Reform zu gefährden, so Wanka.

"Es wird auf jeden Fall Nachverhandlungen geben", sagt der Landrat

Auch wenn die Verhandlungen formell bereits abgeschlossen sind, besteht noch viel Gesprächsbedarf. Der Vorschlag Söders hat die Debatte nun in eine neue Richtung gelenkt, die einen erneuten Kompromiss nicht einfacher macht. Diese Spannungen hat Löwl bemerkt, er will für die Reform werben. "Es wird auf jeden Fall Nachverhandlungen geben", verspricht er. Ähnlich beurteilen das Martina Purkhardt und Marese Hofmann. Man solle die Reform zwar abschließen, jedoch hinterher evaluieren und nachbessern, fordert Purkhardt. Auch für Hoffmann sind weitere Debatten zwingend notwendig. Denn bisher wurde noch nicht endgültig abgestimmt. Die Entscheidung, ob die Reform nun angenommen oder abgelehnt wird, liegt dabei in der Hand der verschiedenen Kreistage. Es genügt ein Nein in nur einem Kreistag, um das Vorhaben endgültig zu stoppen. Im Kern gehe Söders Idee in die richtige Richtung, das geben die Dachauer Politiker zu. Dass dafür nun die MVV-Reform auf Eis gelegt werden könnte, versteht jedoch keiner. "Warum das eine tun und das andere lassen?", sagt Hartmann. Man könne jetzt die Reform beschließen und bis zum Jahr 2030 dann über das 365-Euro-Ticket debattieren. Der SPD-Politiker kann dem Vorschlag Söders durchaus etwas Positives abgewinnen. Der öffentliche Nahverkehr müsse insgesamt günstiger, vielleicht sogar einmal kostenlos werden, fordert er. Landrat Löwl spricht von einem "Zwei-Punkte-Plan": Zuerst solle die Reform verabschiedet werden, erklärt er, "und dann kann man perspektivisch an einem Konzept über den Preis und die Infrastruktur arbeiten."

Der Vorschlag Söders ist allerdings erst wenig ausgearbeitet. Skeptisch ist vor allem Grünen-Kreisrätin Marese Hoffmann. Sie vermutet, dass das Jahresticket noch eine Stolperfalle verbirgt. "Dieses Ticket muss erst einmal durchdacht und vor allem durchgerechnet werden", sagt sie. Vorbild für Söders 365-Euro-Ticket ist die Stadt Wien. Die rot-grüne Stadtregierung führte die Jahreskarte im Jahr 2012 ein und verzeichnete einen starken Anstieg der Fahrgastzahlen. Dafür ist das Schwarzfahren in Wien deutlich teurer. Während Fahrgäste ohne gültiges Ticket in München lediglich 60 Euro bezahlen müssen, sind es in Wien 105 Euro.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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