Musik:Der Mann, der Marmor, Stein und Eisen bricht

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Christian Bruhn hat 2500 Lieder komponiert, die jeder kennt: "Heidi", die Melodie aus der Milka-Werbung, auch Drafi Deutschers größten Hit. Bald soll eine Doku über ihn ins Kino kommen.

Von Michael Zirnstein

Es gibt keinen Tag, an dem man hierzulande keine Tonfolge von Christian Bruhn im Ohr hat. Dem Münchner Komponisten auch noch eine Beteiligung am größten deutschen Bucherfolg der jüngsten Jahre zuzuschieben, führt aber doch zu weit. Wobei, Bruhn hat durchaus beigetragen zum Millionenseller "Er ist wieder da". Dessen Autor Timur Vermes hat den Komponisten vor 13 Jahren anlässlich des 70. Geburtstags zu Hause in der Sollner Villa besucht, um ein Porträt für die Süddeutsche Zeitung zu schreiben. In seinem Debütroman baute der Pop-Kenner Jahre später eine Hommage an Bruhns Schaffen ein - die Intro-Musik zur Fernseh-Talkshow des im heutigen Berlin wiedererwachten Adolf Hitler. Überhaupt, der Titel des Buches: Bruhn hatte bereits 1965 mit Marion Maerz einen Hit: "Er ist wieder da." Ob Vermes da die Idee ...? "Ach", sagt Christian Bruhn und winkt ab, in der Musik nenne man so etwas wie diese Zeile eine "wandernde Melodie". Ein Stück namens "He's back in town" habe es damals bereits in den USA gegeben, sein Texter Günter Loose habe das aufgeschnappt und eingedeutscht. Aber dieses Buch werde er sich nun endlich doch gleich mal organisieren.

Bruhn muss sich nicht in den Vordergrund stellen. "Ich bin zurückhaltend", sagt er grinsend, "das Gegenteil von meinem Freund Ralph Siegel." Bruhn hat als Unterhaltungskomponist mit breiterer Angebotspalette sogar noch mehr Lieder bei der Gema angemeldet als Siegel: 2500. Schlager wie "Ein bisschen Spaß muss sein", Serienmusik wie für "Heidi" oder "Wickie", Reklame-Jingles wie "Milka, die zarteste Versuchung." Diese Tonfolge ist so prägend für die Schokolade, dass der Schokoladen-Fabrikant sie seit 40 Jahren einsetzt. "Wobei sie heute die falsche Note verwenden, F statt G - schlecht abgehört, entsetzlich!" Gegen solche "Schlamperei" zöge mancher zu Felde, Bruhn aber kichert fast - vielleicht weil selbst Pfusch sein Werk nicht zerstören kann. Ein Werk, das bereits als der Soundtrack fürs Wirtschaftswunderdeutschland bezeichnet wurde, das Kindheitserinnerungen weckt und etliche Kollegen inspiriert hat. Es geht dem bald 84-Jährigen nicht um seinen Ruhm, sondern um seine Melodien für Millionen: "Die Leute brauchen mich nicht auf der Straße zu erkennen, ich möchte, dass sie meine Lieder auf der Straße pfeifen."

Liebeskummer lohnt sich doch: Christian Bruhn, 83, komponierte nicht nur den Evergreen von Siw Malmkwist, sondern auch weitere 2500 Lieder, Film-, Fernseh- und Werbemusiken. (Foto: Claus Schunk)

Deshalb war Bruhn skeptisch, als ihn vor ein paar Jahren eine Filmfirma anfragte, eine Dokumentation über ihn drehen zu dürfen. "Ich habe denen gesagt: Wenn ihr mich nicht zu Lanz schickt, okay." Letztlich mag er die Biografie "Meine Welt ist die Musik", die 2019 im Kino anlaufen soll und die nun vorab zwei Mal beim Fünf-Seen-Filmfestival gezeigt wird. Sonst würde er nicht nach Starnberg fahren, Moderator und Publikum antworten und - ganz der alte Bar- und Jazz-Pianist aus Schwabinger Musikkellern - auf Zuruf ein paar Stücke am Keyboard anstimmen. "Ist ja sehr hübsch geworden, der Film, auch handwerklich." Großes Lob vom Perfektionisten, der Studiomusiker triezte und auch in Film- und TV-Produktionen reichlich Erfahrung sammelte, als er etwa für ZDF-Serien wie "Timm Thaler" oder "Jack Holborn" komponierte. Gut drei Jahre lang begleitete ihn die 39 Jahre alte Regisseurin Marie Reich für ihren zweiten Film immer wieder. Beim Rede-Halten auf der Feier zum 80. Geburtstag, auf dem Oktoberfest, wo man in Bierlust sein Hits plärrt. Sogar seinen "Jünglingsleib" beim allmorgendlichen Schwimmen im eigenen Hallenbad habe sie gezeigt, scherzt Bruhn, "ein bisschen nervig war das schon - aber sehr liebevoll gemacht."

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Natürlich muss Bruhn zum hundertsten Mal von "Marmor, Stein und Eisen bricht" erzählen, wie der junge Drafi Deutscher ihm ein paar Gitarrenakkorde hinhaute, "Klock, klock, klock, damm damm", und Bruhn ihn fragte: "Ja, wie geht's weiter?" Und Deutscher: "Det machst du!" Und wie er quasi aus dem Stegreif vor dem Talentsucher Johnny Stark am Klavier "Hinter den Kulissen von Paris" erfand, dem 100 Chansons für Mireille Mathieu folgten. Und natürlich ist Bruhn bei seinem größten Fernsehauftritt zu sehen: 1970 mit Hornbrille und Anzug, wie er das Orchester dirigierte beim Grand Prix de la Chanson, als seine spätere Ehefrau Katja Epstein "Wunder gibt es immer wieder" sang. Man sieht ihn auch selbst röhren, als Charly Cotton, mit "Liebestraum aus Twist". Das hatte Bill Ramsey "idiotischerweise" abgelehnt, also machte er es lässig selbst und verkaufte 300 000 Singles. Sänger wurde er nicht: "Ich kann mir keine vier Zeilen merken", sagt Bruhn und lacht. Im Film lacht er auch, immer wenn er ein altes Tonband einlegt, so ein: "Ist ja 'n dolles Ding"-Lachen.

Marie Reich lässt viele Musikerkollegen Bruhn in die Kamera loben: Siegel, Epstein, die "Heidi"- und Milka-Sängerin und weitere Ex-Ehefrau Erika Bruhn, Klaus Doldinger, Harold Faltermeyer und nicht zuletzt Helmut Geier. Dieser in aller Welt geschätzte DJ Hell soll mit seinen 56 Jahren wohl die junge Generation repräsentieren; er tut dies eifrig, wie ein Praktikant wandelt er durch die heiligen Sollner Studiohallen, sagt immer brav "Herr Professor" ("rührend", findet Bruhn), und "will fast ein Gebet sprechen", als er dem Alten einen Remix von dessen auch in den Techno-Clubs gefeiertem Soundtrack zur Manga-Serie "Captain Future" vorspielt. Das bekommt etwas zu viel Raum im Film, findet Bruhn, der lieber auch seinen Heine-Zyklus darin gehört hätte - die anspruchsvolle Seite des Mozart-Verehrers kommt tatsächlich kurz, ebenso sein aktuelles Schaffen. Immerhin hat Bruhn zuletzt für Donato Plögert 100 Lieder komponiert. Gerade ist er mit dem Berliner Entertainer in Stuttgart aufgetreten, wo sie bei der Gala einer Stiftung ihre CD "Lieder sind Freunde" vorstellten, auf der sie die Erinnerungen von Demenzkranken vertont haben. Geld ist damit nicht zu holen, sagt Bruhn, der aber bei solchen Anfragen nicht nein sagen kann: "Ich bin nur glücklich, wenn ich arbeiten kann."

Meine Welt ist die Musik , Sa., 14. Sep., 20 Uhr, Schlossberghalle Starnberg (in Anwesenheit von Christian Bruhn), So., 15. Sep., 17 Uhr, Gauting

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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