Weltreiterspiele:Schlammritt bis zum Bagger

Weltreiterspiele 2018 in Tyron/USA

Improvisierte Pferdedusche: Dem Schimmel eines chilenischen Reiters wird bei den Weltreiterspielen mittels Plastikflaschen notdürftig etwas Abkühlung verschafft.

(Foto: Erik S. Lesser/Rex/Shutterstock)
  • Die Weltreiterspiele in Tryon/USA erleben einen unglücklichen Start.
  • Das Distanzrennen gerät zur Farce, muss sogar abgebrochen werden.
  • Die Organisationsprobleme stellen die Zukunft der Mammutveranstaltung in Frage.

Von Gabriele Pochhammer, Tryon

Noch zehn Kilometer waren es, die Bernhard Dornsiepen und Bekele El Djem vor sich hatten. 150 lagen hinter ihnen. Seit elf Stunden mit Unterbrechungen saß der 50 Jahre alte Hufschmied bereits im Sattel. Sein 14-jähriger Schimmel war noch gut drauf, Dornsiepen hatte nicht aufs Tempo gedrückt, sondern den Ritt durch die hügeligen Wälder von North Carolina als sportliche Wanderung genossen. Denn für das deutsche Team waren alle Chancen bereits dahin, das Pferd Serpa von Rebecca Arnold hatte nach der zweiten Runde den verlangten Ruhepuls von 64 Schlägen nicht in den vorgeschriebenen 15 Minuten erreicht, sondern mit 66 Schlägen leicht überschritten.

Das bedeutete den Ausschluss. Nur drei deutsche Reiter hatten sich für diese WM in Tryon qualifizieren können, die Vorgaben der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) waren strenger gewesen als die des Weltverbandes FEI. Dornsiepen ritt nur noch in der Einzelwertung. Aber als sein Handy klingelte und er vom Abbruch informiert wurde, war dies für ihn keine Weltmeisterschaft mehr, sondern ein einziges Desaster.

Zum Rennbeginn am Morgen stand ein Teil der Reiter am falschen Start

Nach einem Fehlstart um 6.30 Uhr früh wurde das Rennen zunächst nach der ersten, rund 40 Kilometer langen Runde unterbrochen. "Es war ein einziges Chaos heute morgen", erzählt Dornsiepen: "Wir sammelten uns auf dem Abreiteplatz, aber keiner wusste, wohin es ging." Der Platz des Massenstarts war vom Veranstalter geheim gehalten worden, nicht einmal die Equipe-Chefs hatten Informationen, die Reiter erst recht nicht. Keiner durfte vorher die Strecke besichtigen, die über das Land von 70 verschiedenen Grundbesitzern führte, die ihr Gelände nur für den Wettkampftag zur Verfügung gestellt hatten. Wahrscheinlich fürchteten sie, dass für jedes der 125 Pferde ein Begleit-Geländewagen durch ihre Wälder donnern würde. "Ich schaue mir die Strecke jedes Mal per Fahrrad an", erklärte Bernhard Dornsiepen, "das ging hier nicht." Die Reiter bekamen einfache Karten mit Geländeprofilen. "Aber danach kann doch kein Mensch reiten!", sagte Dornsiepen und zeigte eine primitive Zeichnung.

Während er und seine Teamkolleginnen Ursula Klingbeil und Sabrina Arnold mit einer größeren Gruppe Reiter einem Auto folgten, das sie zum Start geleiten sollte, ritt eine andere Gruppe einem anderen Auto hinterher, das sie ganz woanders hinbrachte. Es gab also quasi zwei Startlinien. Das Rennen wurde unterbrochen, alle Reiter wurden zurück ins Camp beordert. Nach hektischen Beratungen von FEI, Organisatoren und Tierärzten wurde beschlossen, das Rennen mit der zweiten von ursprünglich fünf Runden als 120-Kilometer-Ritt neu zu starten.

Hohe Luftfeuchtigkeit und Hitze treiben den Puls der Pferde in die Höhe

Wie es zu dem Fehlstart kommen konnte, soll jetzt eine Expertenkommission untersuchen. Feststeht, es lag weder am Wetter noch am Geld. Auch nicht an der kurzen Vorbereitungszeit für diese Weltreiterspiele, und schon gar nicht an Hurrikane Florence, dessen Auswirkungen nun erst ab Sonntag erwartet werden. So etwas nennt man wohl menschliches Versagen.

Die Wetterbedingungen verschlechterten sich im Laufe des Tages immer mehr, heftige Regengüsse hatten stellenweise den lehmigen Boden aufgeweicht und die Luftfeuchtigkeit in die Höhe getrieben. In einer Presseerklärung spricht die FEI von einer "potenziell gefährlichen Kombination von Hitze und Luftfeuchtigkeit".

Bei seiner Entscheidung zog der Weltverband die Daten aus dem Wet Bulb Globe Temperature (WBGT) zu Rate. Ein Wert von mehr als 25 gilt als kritisch. In Tryon wurde am Mittwoch der Wert 31 erreicht, der einstimmig als nicht zu akzeptierendes Risiko für das Wohlergehen der Pferde eingeschätzt wurde. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung ließ verlauten, dass sie voll hinter der Entscheidung stehe.

Auch Dornsiepen zeigt dafür Verständnis: "Bei meinem Pferd war der Puls in Ordnung, 52 Schläge pro Minute. Aber es muss wohl auch andere Bilder gegeben haben, extrem hohe Pulswerte, die von 60 auf 78 bis 80 Schläge angestiegen sind, das ist ein Zeichen von Müdigkeit. Den Abbruch kann ich nachvollziehen, denn die Bedingungen waren extrem." Der Boden sei teilweise schwierig gewesen, teilweise aber auch sehr gut: "Ich konnte sieben Kilometer an einem kleinen Bach entlang galoppieren, wann hat man das schon mal?" An anderen Stellen mussten sich die Pferde durch rutschigen Schlamm kämpfen. Und manchmal stand auch noch ein Bagger herum, denn die Bauarbeiten auf dem Gelände gehen ungebremst weiter. Als der Abbruch feststand, sind Bernhard Dornsiepen dann doch fast die Tränen gekommen. Er dachte an seinen 84 Jahre alten Vater, der gesagt hatte: "Junge, du musst unbedingt nach Amerika und mir alles erzählen." Alles war vergeblich gewesen, die lange Trainingszeit, die sorgfältige Vorbereitung auf den großen Tag - auch wenn für das Wetter am Ende niemand etwas kann.

Aber das Organisationschaos ist symptomatisch für diese Weltreiterspiele in den USA, von denen inzwischen viele glauben, dass sie in dieser Form die letzten waren. Zu teuer, zu schwierig und für kaum einen Veranstalter zu stemmen erscheint das Mammutprogramm. Als Tryon vor anderthalb Jahren den Zuschlag bekam, nachdem die Bewerber aus Montreal mangels öffentlichen Geldern zurückgezogen hatte, da hofften viele, auch im Weltverband FEI, noch auf die Verwirklichung eines amerikanischen Traums. Daraus ist nun ein Albtraum geworden.

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