Martin Schulz im Gespräch:"Ein SPD-Innenminister hätte Maaßen schon längst entlassen"

Martin Schulz 2018 auf dem Landesparteitag der NRW-SPD

Martin Schulz, 62, war Präsident des Europäischen Parlaments, Kanzlerkandidat der SPD bei der Bundestagswahl 2017 und ein knappes Jahr lang Parteichef.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ex-SPD-Chef Martin Schulz sieht den Fall als Symptom einer gefährlichen Entwicklung. Er ist überzeugt: Der Behördenchef bleibt nicht mehr lange im Amt - und der Bundesinnenminister auch nicht.

Interview von Jana Anzlinger

Maaßen muss weg: Diese Forderung der SPD hat zu Streit in der großen Koalition geführt. Der Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer stellt sich vor den Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, statt ihn zu entlassen. Die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel versucht die Wogen zu glätten und versichert, die Groko werde "nicht zerbrechen".

Ausgangspunkt des Streits war ein Interview Maaßens. Darin zweifelte er die Echtheit eines Videos an, das rassistische Angriffe in Chemnitz zeigt. Für Unmut sorgten zudem seine Kontakte zu AfD-Politikern.

Ein erstes Koalitions-Krisentreffen verlief ohne Ergebnis. An diesem Dienstag treffen sich die Spitzenpolitiker von SPD, CDU und CSU erneut, um über Maaßens Zukunft zu entscheiden.

SZ: Herr Schulz, die Koalition, die Sie mit verhandelt haben, droht in ihre zweite Krise innerhalb weniger Monate zu schlittern. Hatten die parteiinternen Kritiker doch recht - hätte es dieses Mal keine Groko geben sollen?

Martin Schulz: Dieses ständige CDU-CSU-Theater ist ärgerlich. Wir haben nach monatelangem Ringen um eine Regierung einen guten, sozialdemokratisch geprägten Koalitionsvertrag vereinbart. Und nun kommen wir nicht dazu, die Inhalte umzusetzen, weil die CSU uns ein Schauspiel nach dem anderen vorführt und die CDU-Kanzlerin da keine Ordnung reinbringt. Die SPD ist der einzige stabile Teil dieser Regierung.

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Gerade streitet die Koalition darüber, dass die SPD Horst Seehofers Festhalten an Maaßen nicht akzeptiert. Das klingt nicht nach Stabilität.

Ich glaube nicht, dass die Regierung wegen Maaßen zerbrechen wird. Die SPD hat eine klare Ansage gemacht: Wir fordern, dass Maaßen geht oder entlassen wird. Der sozialdemokratische Teil der Regierung sieht, dass die anderen Regierungsfraktionen sich über den offensichtlich nicht loyalen Chef einer Bundesbehörde streiten. Dass wir dann sagen: Leute, jetzt müsst ihr euch mal einigen und ihn entlassen - das ist ein normaler Vorgang. Ein SPD-Innenminister hätte ihn schon längst entlassen.

Der CSU-Innenminister hat sich zunächst dagegen entschieden. Die Kanzlerin könnte bei einem Krisentreffen an diesem Dienstag auf Maaßens Entlassung dringen, wenn er nicht selbst zurücktritt. Lohnt es sich, dass sie Seehofer derart brüskiert?

Mir scheint das eher umgekehrt: Der Innenminister brüskiert die Kanzlerin, indem er sich vor jemanden stellt, der sie auf der Grundlage von falschen Informationen und nicht sorgfältiger Prüfung öffentlich angreift. Es geht doch sichtlich darum, dass ein Präsident einer nachgeordneten Bundesbehörde die Autorität der Kanzlerin mit ideologisch bedingten Schnellschüssen infrage stellt.

Was meinen Sie mit "ideologisch bedingt"?

Maaßen hat sich gegenüber der Bild-Zeitung zu den Hetzjagden geäußert, bevor seine Behörde den Sachverhalt geprüft hat. Das bedeutet: Entweder ist der Mann nicht sorgfältig oder er handelt politisch motiviert. Ich glaube, dass Letzteres stimmt. Seine öffentlichen Äußerungen sind politisch tendenziös. Er hat den Rahmen verlassen, in dem sich ein Verfassungsschutzchef bewegen sollte. Deshalb muss er gehen. Wenn er nicht selbst zurücktritt, gehe ich davon aus, dass Angela Merkel seine Entlassung erwirkt.

Falls beides nicht eintrifft und dieser für Sie "untragbare" Behördenchef im Amt bleibt: Was wäre die richtige Reaktion der SPD?

Das Land hat Monate gebraucht, um eine Regierung auf die Beine zu stellen. Diese Regierung sollte nicht wegen Herrn Maaßen stürzen. Er ist nicht wichtig genug, um das größte Land der EU in einer angespannten internationalen Lage zu destabilisieren. Im Übrigen, falls er nach Dienstag noch im Amt ist, wird ihn nach der bayerischen Landtagswahl ein neuer Bundesinnenminister entlassen. Aber ich glaube nicht, dass er am Mittwoch noch im Amt ist.

Ein neuer Bundesinnenminister?

Ich bin sicher: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Seehofer ausgewechselt wird. Weil er immer die falschen Konsequenzen zieht, nicht nur im Fall Maaßen. Seine Aussage, Migration sei "die Mutter aller Probleme", heizt an, statt zu deeskalieren. Der gewaltbereite rechte Rand zeigt sich immer frecher in der Öffentlichkeit und der Bundesinnenminister äußert sich mit solchen Bemerkungen. Das ist bestürzend und auch beschämend. Und es rückt in den Hintergrund, was eigentlich passiert ist.

Sie meinen: Rechte greifen ihre Mitmenschen an und alle reden über die große Koalition.

Ja. Das ist schlimm. Es hat ja eine Reihe von Übergriffen gegeben. Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten wurden angegriffen. Mich hat der Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz sehr erschüttert.

Ich mache mir Sorgen um den Zustand unserer Demokratie. Wir dürfen den Kampf gegen rechts nicht auf den Fall Maaßen reduzieren. Aber Maaßen ist ein Symptom der Entwicklung, die mich zutiefst besorgt.

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