Kommentar:Leben mit der Öffentlichkeit

Börsengänge bringen viel Geld, aber sie bedeuten für Firmen oft einen Paradigmenwechsel. Anleger sollten warten, ob sich ein Newcomer bewährt.

Von Simone Boehringer

Börsengänge bringen Geld, viel Geld - aber sie nötigen Unternehmen eine Menge ab. Das wird Führungskräften, Mitarbeitern und Eigentümern oft erst bewusst, wenn sie notiert sind, wie es heißt. An der Börse notiert, das klingt so harmlos, nebenbei, aber es bedeutet einen Paradigmenwechsel, der es in sich hat - nach innen wie außen.

Wer öffentlich Aktien anbietet, muss auch Rechenschaft ablegen, und zwar nach den Regeln und Launen des Kapitalmarktes. Und dieser ist viel mächtiger und unberechenbarer als die Führung, die zuvor das Sagen hatte. Der Kapitalmarkt, das ist die Masse an meist anonymen Anlegern, einzeln oder mit ihrem Aktienbesitz gebündelt in Publikumsfonds, da gibt es Hedgefonds und andere kritische Investoren, die auf Fehler warten, um ihren Einfluss als Miteigner geltend zu machen, mehr oder weniger aggressiv.

Rührige Gründer wie Tesla-Chef Elon Musk überlegen da gerne mal im Zorn, ihr Unternehmen wieder von der Börse zu nehmen. Michael Dell vom gleichnamigen Computerriesen hat eine solche Privatisierung seiner Firma vor fünf Jahren schon betrieben, um wieder in Ruhe durchregieren zu können. Jetzt strebt er gerade zurück an die Börse, schon um die Milliarden-Schulden des Rückkaufs 2013 wieder loszuwerden.

Es kostet eben auch viel, wenn man wieder weg will, wenn es einem doch nicht so passt mit all den öffentlichen Kontrolleuren, die hinterfragen, monieren und schon mal einen Kurssturz verursachen, wenn Strategie oder Zahlen nicht so gefallen. In einer Welt, in der Anleger sich in jeder Branche zahlreiche aktiennotierte Gesellschaften aussuchen können, werden Erfolge sehr kurzfristig, oft quartalsweise, eingefordert. Das ist nicht jedermanns Sache.

Deutsche Firmenbesitzer sind in der Regel schon deshalb nicht so locker beim Thema Börse wie die Amerikaner. Lange wägen sie ab, warten auf den vermeintlich richtigen Zeitpunkt, wie jetzt Knorr-Bremse-Eigner Heinz Hermann Thiele. 18 Jahre nach dem Platzen der New-Economy-Blase, in dessen Folge einstige Börsenstars verschwanden und selbst konservative Sparer viel Geld verloren, hat sich herumgesprochen, dass börsennotierte Firmen ohnehin schwer zu lenken sind.

Auch etablierte Unternehmen müssen erst lernen, mit den Launen des Marktes umzugehen

Für manches Unternehmen mit patriarchisch agierenden Eigentümern kann der Aktienmarkt allerdings auch eine Erleichterung sein. Ein Börsengang stärkt dann angestellte Führungskräfte, sorgt für mehr Transparenz und - wenn die Aktie gut aufgenommen wird - für extra Motivation in der Belegschaft. Ein Börsengang bringt auch oft einen Reputationsgewinn, zumal, wie aktuell im Fall Knorr-Bremse, es das Unternehmen bald in ein Börsenbarometer schaffen dürfte.

In unsicheren Zeiten, in denen die Kurse volatil und Anleger zunehmend nervös sind, ist es freilich besonders anspruchsvoll, eine Aktiengesellschaft zu führen. Schlechte Nachrichten werden tendenziell mit hohen Kursverlusten bestraft, gute weniger honoriert. Firmenchefs müssen oft mehr Zeit mit Aktienmarketing verbringen denn mit operativer Arbeit.

Gemessen am Volumen neuer Aktien in Deutschland war es zuletzt zur Jahrtausendwende so attraktiv wie jetzt, an die Börse zu gehen. Damals waren die Kurse zuvor unablässig gestiegen und viele Privatanleger meinten, sie profitieren am meisten, wenn sie neue Aktien möglichst früh kaufen oder diese gar zeichnen, bevor die Firmen an der Börse sind. Das ist in vielen Fällen schief gegangen.

Heute sind die meisten Börsenneulinge reifer als die Internetfirmen damals. Und, das Wichtigste: Etablierte Firmen machen Gewinn. Freilich müssen auch sie erst lernen, mit den Launen des Marktes umzugehen. Für Anleger heißt das: Eile ist genauso wenig angebracht wie Gier. Wer Interesse an Newcomern hat, sollte langsam einsteigen und dann nachkaufen, wenn das Unternehmen die erste Zeit an der Börse gut überstanden hat.

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