Thriller:Leben durchs Display

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David (John Cho) auf Spurensuche im Internet. (Foto: dpa)

In seinem Thriller "Searching" testet der Regisseur Aneesh Chaganty das Genre des "Screen Movies" aus: ein Film, der nur auf Bildschirmen spielt.

Von Tobias Kniebe

Filmemacher, die das Leben der Gegenwart abbilden möchten, stehen vor einem Problem. Schöne und traurige Nachrichten, ein liebevoller Blick, ein guter Rat, das ganze menschliche Miteinander - der moderne Mensch erlebt das immer seltener von Angesicht zu Angesicht, sondern immer öfter mit Blick auf ein Display. Millionen LED-Pixel leuchten uns an, wir starren zurück - emotional ist das schon, nur rein inszenatorisch gibt es eben nichts her. Timur Bekmambetov, ein Produzentenfuchs zwischen Russland und Hollywood, hat allerdings eine Antwort darauf: das Screen Movie.

Die Idee des Screen Movies ist eine Dogma-artige Selbstverpflichtung, die zunächst wie eine aberwitzige Einschränkung klingt. Gezeigt werden darf nur, was sich auf Displays abspielt. Die Kamera blickt also nicht mehr direkt in Gesichter, Räume oder Landschaften - sie blickt immer nur auf einen Bildschirm. Weil dort aber ganz schön viel passieren kann - Mails, Chats, Videotelefonate, Archivclips, Livestreams, Fernsehnachrichten -, kann man damit auch Geschichten erzählen. Die Bekmambetov-Produktion "Unfriended", vom Stoff her eher konventionell, war 2015 ein Anfang. Mit "Searching", inszeniert von Aneesh Chaganty, avanciert die Idee nun zur ernst zu nehmenden Erzähltechnik, ein Publikumspreis beim diesjährigen Sundance-Festival war schon mal drin.

Für Kinosüchtige, die gern die Weite der Welt auf der Netzhaut spüren wollen, etwa wenn David Lean seine 70-Millimeter-Kamera in der Wüste Arabiens aufbaut, mag das wie eine kalte, auf Taschenformat gezwängte Kopfgeburt klingen. Doch schon die wortlose Einführungsmontage von "Searching" ist erstaunlich bewegend.

Da macht eine asiatisch-amerikanische Familie ihr erstes Webcam-Foto mit der kleinen Tochter, noch im nostalgischen Look des Windows-XP-Systems. Durch die Dateien, die dann angeklickt werden, sieht man das Kind aufwachsen. Die Zeit vergeht, der Look wechselt, ein Macbook wurde gekauft, man erfährt vom Krebs der Mutter und ihrem Kampf dagegen. Dabei wird der Kalendereintrag "Mom kommt heim" immer wieder in die Zukunft verschoben und schließlich - da zögert der Mauszeiger ein wenig - ganz in den Papierkorb gelegt. Das wirkt erschütternder als jede Begräbnisszene - weil es so nah am eigenen Alltagsleben mit den Computern ist, am eigenen Screen.

Was bleibt, ist David (John Cho), ein alleinerziehender Silicon-Valley-Dad, vielleicht ein wenig zu ernst, und seine 16-jährige Tochter Margot (Michella La), die auf die Highschool geht und eine Begabung fürs Klavier hat. Sie reden öfter über das Videotelefon-Programm Facetime, das immer beide Gesichter zeigt. Wenn kein Gespräch läuft, sieht der Protagonist nur sich selbst auf seinem Screen, wie in einer Art Spiegel, was hier zum entscheidenden Mittel wird, um Davids Emotionen zu kommunizieren, und praktisch zum einzigen Fenster für John Chos Schauspielkunst. Klingt unwahrscheinlich, aber es funktioniert.

Dann schläft David in der Nacht, während sein Bildschirmschoner psychedelische Krakenarme in die Dunkelzeit zeichnet, und verpasst drei Anrufe seiner Tochter, die hektisch hintereinander auf dem Bildschirm aufleuchten. Am Morgen ist sie nicht heimgekommen, dort, wo sie sonst noch sein könnte, ist sie nicht, und Davids Nachforschungen spielen sich - wo sonst - in seinem Notebook ab. Antwortet die Vermisste auf Textbotschaften? Was sind die Nummern ihrer besten Freunde? Was sagen die Klassenkameraden? Niemand weiß etwas, die Polizei wird eingeschaltet, und auch Detective Vick (Debra Messing), die sich energisch auf die Ermittlungen stürzt, telefoniert gern per Video.

Außerdem tut David das, was natürlich jeder Vater in heller Sorge tun würde - er beginnt, die Social-Media-Programme und andere Nutzerkonten seiner Tochter zu hacken. Wahrscheinlich hat er selbst mit Computern zu tun - er tippt schnell, seine Maus bewegt sich fließend und effizient, Passwörter findet er mit ein paar einfachen Tricks heraus. Sollte das Screen Movie sich durchsetzen, wird wohl ein neuer Filmberuf zu verzeichnen sein: Mouse & Keyboard Operator. Und wer weiß - auch da könnten sich Stile und unverwechselbare Handschriften herausbilden.

Natürlich entdeckt David bei seiner Suche Geheimnisse - die Tochter etwa geht nicht mehr zu ihren Klavierstunden und zweigt das Geld für andere Dinge ab. Und er muss er sich fragen, ob er diese 16-Jährige überhaupt noch kennt, die Menschen, mit denen sie offenbar viel kommuniziert, sind ihm fremd. Als dann alles dramatischer und kriminalistischer wird, spielt die Handlung natürlich auch im Freien. Das zeigt der Film aber nur hinterher - wenn die Newsclips der lokalen Fernsehsender wieder auf dem Macbook laufen. Auch das funktioniert erstaunlich gut.

Die Schwäche dieses Thrillers liegt am Ende nur darin, dass die Auflösung sehr unwahrscheinlich ist, und das folgende Finale noch mehr. Vielleicht ist das aber gar nicht der Punkt. Wichtiger scheint, dass alle nötigen Informationen für die Aufklärung immer schon vorhanden sind - auch sie werden auf dem Display gezeigt, lange bevor der Held (oder die Zuschauer) ihre Bedeutung realisieren. Sich an ein Bild erinnern, es dann auf Instagram mit einer Location versehen wiederfinden und dadurch zum Tatort gelangen - das könnten wir, im Kino- oder im Schreibtischsessel, auch.

Informationen sind heute allgegenwärtig, scheint der Film zu sagen, vieles liegt über Google offen zutage, und die paar Passwörter zum Schutz der Privatsphäre lassen sich überwinden. "Searching" ist nicht mehr das Problem - dafür umso mehr, in der Flut der Informationen die richtigen Verbindungen zu erkennen. Als wahrer Detektiv darf sich hier der Zuschauer fühlen, wenn ihm das sogar vor dem Helden gelingt.

Searching , USA 2018 - Regie: Aneesh Chaganty. Buch: Chaganty, Sev Ohanian. Kamera: Sebastian Baron. Mit John Cho, Debra Messing, Sara Sohn, Alex Jayne Go, Megan Liu, Michelle La, Joseph Lee. Sony, 102 Minuten.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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