Missbrauchsskandal:Was die Kirche tun muss

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Der Petersdom im Vatikan (Foto: picture alliance / dpa)

Papst und Bischöfe müssen die Debatte dafür öffnen, wie ein menschenfreundliches Verhältnis der Kirche zur Sexualität aussehen könnte und sie müssen Kontrolle abgeben.

Kommentar von Matthias Drobinski

Zu den Gründen, weshalb das Christentum zu einer so erfolgreichen Religion wurde, gehört der menschenfreundliche Umgang der frühen Jesuaner mit der Sexualität. Frauen und Männer sollten sich mit Liebe und als Partner begegnen, Abtreibungen, die damals meist mit dem Tod der Frau endeten, waren genauso verpönt wie käuflicher Sex, die Leibfeindlichkeit der Spätantike teilten die Christen (noch) nicht. Und wenn es auch Frauen und Männer gab, die aus religiösen Gründen sexuell enthaltsam lebten - ein Pflichtzölibat für Kleriker wäre ihnen sehr merkwürdig vorgekommen.

Umso finsterer erscheint da der Abgrund, der sich immer tiefer auftut, je mehr das Ausmaß der sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen durch Kleriker der katholischen Kirche offenbar wird. Längst hat der Skandal eine weltweite Dimension erreicht. Die deutschen Bischöfe, die seit Montagabend in Fulda über die Konsequenzen aus dem Forschungsbericht zum Missbrauch in den Bistümern reden, sind nur Teil der allgemeinen Rat- und Hilflosigkeit dieser Kirche, die erst langsam begreift, welche Unmenschlichkeit sie da hat geschehen lassen und auch gefördert hat - von Männern, die von Gottes großer Liebe redeten.

Die Christen haben an der Seite der Schwachen zu stehen

Und immer noch ist vielen Bischöfen nicht klar, wie grundsätzlich die sexuelle Gewalt mit dem zu tun hat, wie die katholische Kirche insgesamt mit Sexualität, Macht und Kontrolle umgegangen ist - und umgeht. Die meisten der Priester-Täter, das legt die deutsche Studie nahe, waren keine fixierten Pädophilen. Es waren unreife, vereinsamte Männer, die ihre Sexualität, oft ihre Homosexualität, verdrängten und irgendwann Macht und Amtsautorität missbrauchten, um zu erhalten, was sie für Intimität hielten.

Der Missbrauch durch Priester ist so gesehen auch ein Auswuchs der Vorstellung, nur ein sexuell enthaltsamer Mann könne die Eucharistie feiern. Seine Vertuschung ist begünstigt durch die Tabuisierung der Sexualität, bei der es gleichermaßen unaussprechlich ist, wenn ein Priester Sex mit einem Mann, einer Frau, einem Kind hat - und dabei untergeht, dass Letzteres eine menschenzerstörende Straftat ist. Und das Versagen der Institution liegt auch daran, dass die katholische Kirche bewerten, normieren und kontrollieren will, welche Form der Sexualität erlaubt ist und welche nicht.

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Bei den meisten Katholiken hat die Kirche diese Kontrolle längst verloren, fast alle haben Sex vor der Ehe und nutzen künstliche Verhütungsmittel, die Vorurteile gegenüber Homosexuellen schwinden. Dort, wo die Kirche diese Kontrolle noch auszuüben versucht, führt dies zu Heimlichtuerei, Doppelmoral, Machtmissbrauch, Gewalt. Sexualität ist einer der wichtigsten Bereiche des Menschseins, der Identität und des Zusammenlebens, doch die katholische Kirche ist in diesem Bereich paralysiert, das Ziel von Hohn und Spott und dem berechtigten heiligen Zorn der Betroffenen des Missbrauchs. Die Bischofssynode, die in zehn Tagen zum Thema Jugend und Priesternachwuchs beginnt, ist ein Spiegelbild dieser Lähmung: Sexualität und Missbrauch sollen bitte keine zentralen Themen sein, ein bisschen wird wohl über den Zölibat diskutiert, konkrete Folgen aber gelten als unerwünscht.

Das könnte man als Problem der katholischen Kirche abtun, wenn es nicht insgesamt unhörbar machen würde, was eine christliche Sexualethik jenseits dieses Macht- und Kontrollanspruchs einer Gesellschaft zu sagen hätte. Es wünschen sich ja die meisten Menschen einen treuen Partner. Und es droht der Sex zum ubiquitär verfügbaren pornografischen Konsumgut zu werden, zum Teil des allgemeinen Optimierungswahns: Sei immer schön und stark, potent und erregbar, verführerisch und verführbar - sonst sind Partnerin oder Partner bald weg. Das produziert eine taube, traurig einsame Form der Sexualität, die empfindungslos ist für Liebe und Erotik und nicht weniger normativ als die verklemmteste katholische Sexualmoral. Und wie die totale Tabuisierung fördert auch die totale Enttabuisierung der Sexualität die Gewalt - die Betroffenen der Odenwaldschule haben das so bitter erfahren wie jene Frauen, die jetzt endlich erzählen, wie Regisseure oder Trainer sie im Namen der großen Libertinage ins Bett zwangen.

Die Christen haben an der Seite der Schwachen zu stehen, der Verletzten, der ihrer Würde Beraubten, hat Papst Franziskus gesagt. Nimmt er, nehmen das seine Bischöfe ernst, müssen sie jetzt den Mut finden, Kontrolle abzugeben - erst bei der Aufarbeitung der Missbrauchstaten, dann insgesamt, wenn es um Sexualität geht. Sie müssen die Herrschaft über ihre Personalakten abgeben und die Deutungshoheit über das, was geschah, müssen zulassen, dass andere sagen, was nun zu tun ist. Und sie müssen die Debatte dafür öffnen, wie ein menschenfreundliches Verhältnis zur Sexualität aussähe, ohne garantieren zu können, wohin das führt. Loslassen und auf den Höchsten zu vertrauen ist immerhin eine religiöse Grundübung.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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