Prozess gegen Wolbergs:"Strohmannsystem" in Regensburger Spendenskandal

Regensburg Prozess Oberbürgermeister Wolbergs

Joachim Wolbergs, der suspendierte Oberbürgermeister von Regensburg, sitzt im Gerichtssaal des Landgerichts und hält sein Namensschild in den Händen.

(Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Vier Angeklagte, mehrere Dutzend Zeugen und fast 100 Verhandlungstage: In Regensburg hat der Mammutprozess um die Parteispendenaffäre begonnen.
  • Im Mittelpunkt steht der suspendierte SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs. Der 47-Jährige muss sich wegen Vorteilsannahme und Verstoß gegen das Parteiengesetz verantworten.
  • In dem Verfahren geht es um Parteispenden im Wahlkampf, um Zuschüsse für den Fußballclub SSV Jahn Regensburg sowie um vergünstigte Immobiliengeschäfte.

Aus dem Gericht von Andreas Glas und Annette Ramelsberger

In Regensburg hat am Montag der Prozess gegen den Oberbürgermeister Joachim Wolbergs begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem SPD-Politiker vor, mehr als 475 000 Euro an Spenden von einem Regensburger Bauträger entgegengenommen zu haben, dazu auch noch persönliche Vorteile wie vergünstigte Wohnungen und Renovierungsleistungen - in Höhe von mindestens 120 000 Euro. Im Gegenzug soll der Oberbürgermeister sich für die Vergabe eines großen Baugebiets an den Bauunternehmer Volker Tretzel eingesetzt haben. Sogar die Vergabe des 23-Millionen-Projekts soll eng mit Tretzel abgestimmt und passgenau auf seine Firma zugeschnitten worden sein.

Die Staatsanwaltschaft wertet auch die enge wirtschaftliche Verflechtung des Bauunternehmers mit dem Fußballverein Jahn Regensburg als Einflussversuch auf die Stadt: Tretzel hat den Verein immer wieder vor der Insolvenz bewahrt und mit mehreren Millionen unterstützt. Für dieses Engagement soll der Unternehmer, der selbst gar kein Fußballfan ist, ebenfalls Entgegenkommen von der Stadtspitze erwartet haben.

Insgesamt sitzen vier Angeklagte vor Gericht: Neben Wolbergs und Tretzel auch dessen früherer Mit-Geschäftsführer Franz Wild und der ehemalige SPD-Fraktionschef im Regensburger Stadtrat, Norbert Hartl. Tretzels früherer Mitarbeiter soll die Spenden verdeckt angewiesen haben, indem er Mitarbeiter der Firma immer wieder aufforderte, an Wolbergs SPD-Ortsverein jeweils 9900 Euro zu spenden - er überwies ihnen dann den Betrag regelmäßig mit Steuern und Sozialabgaben wieder auf ihr Konto. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem "Strohmannsystem", das das Parteiengesetz unterlaufen sollte, das die Offenlegung von Spenden ab 10 000 Euro Höhe vorsieht. Der SPD-Politiker Hartl soll die Ausschreibung mit der Firma BTT GmbH von Tretzel bis in Einzelheiten abgesprochen haben und sogar eine E-Mail an die Firma geschickt haben, in der er sie auffordert, Änderungswünsche "in Rot" einzutragen.

Im Mittelpunkt des Interesses jedoch steht der suspendierte, jetzt 47 Jahre alte Oberbürgermeister Wolbergs. Er hatte immer bestritten, dass er bestechlich sei. Wolbergs hatte im Jahr 2017 mehr als sechs Wochen in Untersuchungshaft gesessen, ebenso wie Tretzel und dessen Ex-Mitarbeiter Franz Wild. Wolbergs erschien kurz vor Prozessbegin um neun Uhr morgens als letzter der Angeklagten und mit unbewegter Miene. Er sitzt in der ersten Reihe, umgeben von seinen Anwälten, hinter ihm der 76 Jahre alte Tretzel und eine ganze Armada an Rechtsberatern. In der letzten Reihe, fast nicht zu sehen, sitzen Hartl, 71, und Wild, 52.

Wolbergs verfolgte die Verlesung der Anklage mit verschränkten Armen, konzentriert, den Blick geradeaus. Er hörte, wie die beiden Staatsanwältinnen ihm vorwarfen, er habe sich mit Tretzel "zumindest konkludent" (durch schlüssiges Verhalten) darauf verständigt, die Firma BTT GmbH zu unterstützen und dabei sein Ermessen "einseitig und damit pflichtwidrig" auszuüben. Insgesamt listeten die Staatsanwältinnen zwischen den Jahren 2011 und 2016 genau 48 Einzelspenden aus dem Umfeld von Tretzel auf - darunter zum Beispiel von Tretzels Schwiegermutter, einer über 90 Jahre alten Dame. Die Staatsanwältinnen betonten, dass das Parteiengesetz genau diese Art von Verschleierung verbietet, damit die Öffentlichkeit über die Spenden Bescheid weiß und über "eine mögliche Einflussnahme" informiert wird.

Der Oberbürgermeister setzte sich nach Auffassung der Anklage im Stadtrat für die Vergabe des sogenannten Nibelungenareals an Tretzels Firma ein - von den vielfachen Spenden an seinen Ortsverein und den von der Anklage vermuteten Absprachen hätten die Stadträte keine Kenntnis gehabt. So stimmte der Stadtrat im Oktober 2014 mehrheitlich für die Vergabe an Tretzel.

Die Staatsanwältinnen Christine Ernstberger und Ingrid Wein listeten eine Fülle von Indizien auf, die für Absprachen zwischen Wolbergs und Tretzel sprechen. So hatte Wolbergs bereits am ersten Tag nach seiner Amtseinführung der Stadtverwaltung mitgeteilt, dass das Nibelungenareal - für das es bereits eine Ausschreibung gab, bei der der Großspender Tretzel nicht zum Zuge kommen sollte - neu ausgeschrieben wird. Die Staatsanwaltschaft sieht in diesem Verhalten Hinweise für Bestechung und Bestechlichkeit an, während das Gericht in seinem Eröffnungsbeschluss erklärt hatte, es sehe keine Bestechlichkeit, sondern nur Vorteilsannahme - was einen erheblichen Unterschied beim Strafrahmen ausmacht.

Die Staatsanwältinnen trugen die Einschätzung der Kammer zwar vor, verlasen ihre Anklageschrift jedoch sonst ohne Änderungen. Und das brachte dem Verfahren noch vor den ersten Äußerungen der Angeklagten die erste Unterbrechung ein. Der Verteidiger des Angeklagten Wild, Markus Birkenmaier, forderte unverzüglich die Einstellung des gesamten Verfahrens.

Die Staatsanwaltschaft habe eine unzulässige Anklage vorgetragen und dabei nicht berücksichtigt, was die Kammer in ihrem Eröffnungsbeschluss erklärt hatte, nämlich, dass der Nachweis, "einer mindestens konkludent geschlossenen Unrechtsvereinbarung aus Sicht der Kammer nicht zu führen ist". Vor allem kann das Gericht nicht erkennen, dass Spenden von Tretzel als "Gegenleistung für konkrete Handlungen" in Bezug auf die Vergabe des Nibelungenareals nachweisbar seien. Durch die unverändert vorgetragene Anklage führe die Staatsanwaltschaft den Zulassungsbeschluss der Kammer ad absurdum, sagte Birkenmaier. So habe die Staatsanwaltschaft den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt. Das sei ein nicht heilbares Prozesshindernis, was zur Verfahrenseinstellung führen müsse.

Eine Entscheidung dazu muss das Gericht bald treffen. Ganz so unheilbar wie der Verteidiger sieht das Gericht dieses Hindernis offenbar nicht. Denn am Nachmittag hat es die Stellungnahmen der Angeklagten angesetzt. Wolbergs war offenbar selbst überrascht von diesem Antrag des Wild-Verteidigers. "Ich lerne jeden Tag dazu. Das ist alles neu für mich."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: