Serien und Filme nach "Me Too":Am liebsten würden sie es verschweigen

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Nach den Vorwürfen gegen Kevin Spacey wurde Christopher Plummer für die Rolle des Tycoons J. Paul Getty in All the Money in the World eingewechselt. Preis für die Nach-Dreharbeiten: zehn Millionen Dollar. (Foto: Giles Keyte/AP)
  • Viele Serien und Filme stecken fest, weil gegen einzelne Beteiligte schwere Vorwürfe laut wurden.
  • Was tun mit etwa Weinstein-Produktionen, Filmen mit Kevin Spacey oder Louis C. K.? Manche Werke landen im Ausland, andere im Vermarktungsnirwana.
  • In Hollywood denken Produzenten wieder über eine Moralklausel in den Verträgen nach.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es waren wilde Zeiten im Hollywood der Dreißigerjahre, und deshalb gab es in den Verträgen "Morality Clauses". Die Moralklauseln besagten, dass Schauspieler mit ihrem Verhalten den Erfolg eines Filmes nicht gefährden durften. Diese Vereinbarungen wurden damals gewöhnlich mit einer ordentlichen Orgie gefeiert, bei der Alkohol und Drogen gereicht wurden und von denen die Öffentlichkeit nie erfuhr.

Schauspieler Clark Gable bandelte nur noch hinter den Kulissen mit seiner Kollegin Joan Crawford an, und Kollegin Loretta Young wiederum adoptierte ihr eigenes Kind nach einem ausgedehnten Europa-Aufenthalt, damit auch ja niemand bemerkte, dass der Vater, nun ja, Clark Gable war, der sie eher bedrängt denn verführt haben soll.

Diese Zeiten sind vorbei, und ob man das gut oder schlecht findet, hängt weitgehend davon ab, ob man das Leben aus der Clark-Gable-Perspektive wahrnimmt oder eben nicht. Sicher ist: Heutzutage kommt vieles heraus, was Unrecht ist, der Komiker Michael Che sagte bei den Emmy Awards: "Wir begrüßen die vielen talentierten und kreativen Leute in Hollywood, die noch nicht erwischt worden sind."

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Viele sind erwischt worden, der Produzent Harvey Weinstein zum Beispiel, der Komiker Louis C. K., die Schauspieler Kevin Spacey und Jeffrey Tambor. Es ist viel debattiert worden seitdem, unter anderem auch darüber, ob man Filme wie Shakespeare in Love (Weinstein) oder American Hustle (C. K.) und Serien wie House of Cards (Spacey) oder Transparent (Tambor) noch gut finden darf. Andere, drängende Frage: Wie soll man mit Filmen umgehen, die wegen der Vorwürfe noch gar nicht zu sehen sind?

Was tun mit all den hochkarätig besetzten Weinstein-Projekten?

Es gibt zum Beispiel die Komödie The Upside mit Bryan Cranston, Kevin Hart und Nicole Kidman, von der Weinstein während der Dreharbeiten tönte, dass es sich dabei um einen ganz heißen Oscar-Anwärter handle. Oder die Weinstein-Komödie The War With Grandpa mit Robert De Niro. Oder das von Weinstein produzierte Drama The Current War, in dem Benedict Cumberbatch den Erfinder Thomas Edison spielt. Oder den Disney-Film Magic Camp, in dem Tambor eine Nebenrolle hatte. Oder I Love You, Daddy mit Louis C. K.

All diese Projekte befinden sich nun im der Vermarktungsnirwana, weil sie untrennbar mit Menschen verbunden sind, deren Namen wiederum untrennbar mit sexueller Belästigung verbunden sind. Der Thriller Based on a True Story etwa ist im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt worden. Regie geführt hat Roman Polanski, der seit 1978 nicht mehr in den USA gewesen ist, weil ihm dort Vergewaltigung vorgeworfen wird. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die auch die Oscars vergibt, hat ihn allerdings erst im Mai dieses Jahres ausgeschlossen, und nun will Rechteinhaber Sony Pictures Classics den Film nicht mehr in Nordamerika zeigen.

"Diese Filme sind fertig produziert", sagt Paul Dergarabedian von der Medien-Analysefirma Comscore, "normalerweise würde man diese Projekte mit den großen Namen vermarkten - nun aber würde man am liebsten verschweigen, dass diese oder jene Person an dem Werk beteiligt ist. Doch das geht nicht, weil diese Leute viel zu bekannt sind." Was also tun?

Es gibt die Möglichkeit, den Beschuldigten weitgehend vom Projekt zu entfernen, wie das zum Beispiel der Regisseur Ridley Scott getan hat. Er hat die Szenen mit Spacey aus dem Film All the Money in the World entfernt und Christopher Plummer für die Rolle des Tycoons J. Paul Getty verpflichtet. Plummer wurde für den Oscar nominiert, der letzte Film von Spacey dagegen, Billionaire Boys Club, spielte am ersten Tag exakt 126 Dollar ein.

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Manche Produktionen landen im Ausland, manche verschwinden im Vermarktungsnirwana

Das verdeutlicht das Problem, das sie nun haben in Hollywood: Die Beschuldigten sind Kassengift, und es gibt zahlreiche Projekte, die lassen sich nicht schnell mal ändern, die Nach-Dreharbeiten zu All the Money in the World haben zehn Millionen Dollar gekostet, und die Politikserie House of Cards wird nur deshalb fortgeführt, weil Hauptdarstellerin Robin Wright darauf gedrängt hatte, weil ansonsten viele Leute kein Einkommen mehr hätten, die nun wirklich nichts für den Fall Spacey können. Unter anderem Wright selbst, die für diese letzte Staffel mit neun Millionen Dollar entlohnt werden soll.

Was also tun mit all den Filmen und Serien, die sich im Schwebezustand zwischen Fertigstellung und Veröffentlichung befinden? Eine Möglichkeit ist der Verkauf des Projekts an eine Firma, die mit den Skandalen nichts zu tun hat. Die Beteiligungsgesellschaft Lantern Capital Partners hat beim Konkursverkauf von Weinsteins Produktionsfirma sechs Filme gekauft, darunter The Upside. In Partnerschaft mit dem Verleiher STX Entertainment soll der Film nun im Januar in die Kinos kommen. Der Horrorfilm Polaroid soll an Netflix verkauft werden mit dem Vorteil, dass der Film in die Mediathek des Streamingportals eingespeist wird und nicht als Weinstein-Produktion beworben werden muss. Noch so eine Variante: Verkauf ins Ausland, das hat Lantern mit dem Drama Mary Magdalene getan und hofft bei Erfolg dann doch auf eine Veröffentlichung in den USA.

Es kann auch durchaus passieren, dass ein fertiges Projekt komplett komplett im Vermarktungsnirwana verschwindet. Louis C. K. zum Beispiel hat die Rechte an seinem Film I Love You, Daddy zurückgekauft, es gibt dafür ebenso wenig einen Starttermin wie für A Rainy Day in New York. Den hat Woody Allen für Amazon Studios gedreht. Geschäftsführer Roy Price musste das Unternehmen jedoch wegen Vorwürfen sexueller Nötigung verlassen, zudem bekräftigte Allens Adoptivtochter Dylan Farrow im Dezember vergangenen Jahres öffentlich die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen ihn. Eine Sprecherin von Allen beteuerte kürzlich, dass der Film im kommenden Jahr erscheinen werde - sie sagte jedoch nicht, in welchen Kinos oder auf welchem Portal.

Es gibt in Hollywood nun Überlegungen, die alte Moralklausel wieder einzuführen, damit sich Verleiher absichern können, falls sich Schauspieler, Regisseure oder Produzenten falsch verhalten. "Das soll wieder in die Verträge aufgenommen werden", sagt Marc Simon, der als Anwalt in der Kanzlei Fox Rothschild zahlreiche Verleiher berät: "Die 'Me Too'-Debatte hat die Leute vorsichtig werden lassen." Bleibt die Frage, ob im neuen Hollywood irgendjemand so eine alte Klausel unterschreiben würde.

© SZ vom 26.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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