Theater:Zurück im Osten

paradies spielen (abendland. ein abgesang); Theater Potsdam

Das Stück "paradies spielen" wird in der Inszenierung von Moritz Peters zum Höhepunkt der Spielzeiteröffnung in Potsdam.

(Foto: Thomas M. Jauk)

Das Theater Potsdam gilt als ein schwieriges Terrain. Das reizt die neue Intendantin Bettina Jahnke besonders - und prägt ihren Spielzeitbeginn.

Von Mounia Meiborg

Die Intendantin muss man suchen. Eine Menschentraube steht am Seeufer auf den Stufen, die zum Hans-Otto-Theater führen. Die Mitarbeiter des Hauses sagen ein Gedicht auf. Bettina Jahnke steht mittendrin. Und hält eine kurze Rede. Das Theater, sagt sie, das sei nicht sie allein. Dazu gehörten viele unsichtbare Leute, Techniker, Buchhalter, Sekretärinnen. "Auch Sie sind Teil des Teams!", ruft sie den Zuschauern zu. Dann laufen die Besucher zum Theater hoch, beklatscht von den Mitarbeitern, die Spalier stehen.

Es ist der Versuch, Potsdam zu umarmen - eine Stadt, die in Theaterkreisen als besonders schwierig gilt. Potsdam ist wie wenige Orte in Deutschland gespalten zwischen Ost und West, Alteingesessenen und Zugezogenen, Arm und Reich. Berlin ist nah und das Publikum schnell weg: ein Stadttheater unter Hauptstadterfolgsdruck.

Bettina Jahnke, die neue Intendantin, will von solchen Schwierigkeiten nichts wissen. Wenn sie kurz vor der Eröffnung Besucher in ihrem Büro mit fantastischem Seeblick begrüßt, wiederholt sie, was sie in den letzten Monaten oft gesagt hat: "Es gibt keine schwierigen Städte, es gibt nur gutes und schlechtes Theater." Das klingt selbstbewusst. Überhaupt strahlt sie eine erstaunliche Gelassenheit aus. Vielleicht, weil sie es in ihrem letzten Job geschafft hat, aus einer No-Name-Landesbühne ein Theater zu machen, das regional und manchmal überregional im Gespräch war. In Neuss war das. Jetzt ist die 55-Jährige, die in Wismar geboren und in Cottbus theatersozialisiert wurde, zurück im Osten.

Jahnke fördert explizit Frauen, 50 Prozent der Inszenierungen ihrer ersten Spielzeit werden - eine Seltenheit im deutschsprachigen Theater - von Regisseurinnen bestritten

Groß und schlank ist sie, mit auffallend blauen Augen. Sie steckt in einem engen Hosenanzug, der ein bisschen Punk ist und ein bisschen Businesslook. Vieles will sie anders machen als ihr Vorgänger Tobias Wellemeyer. Dem war in der Lokalpresse vorgeworfen worden, er kommuniziere nicht gut und knechte die Schauspieler. Vorwürfe, denen zwar von allen Seiten widersprochen wurde, die aber trotzdem ihren Teil dazu beigetragen haben dürften, dass Wellemeyers Vertrag nach langem Hin und Her nicht verlängert wurde.

Jahnke fördert explizit Frauen, 50 Prozent der Inszenierungen ihrer ersten Spielzeit werden - eine Seltenheit im deutschsprachigen Theater - von Regisseurinnen bestritten. Sie will, wie sie sagt, flache Hierarchien und unterstützt das Ensemble-Netzwerk, in dem sich Schauspieler für mehr Mitbestimmung einsetzen. Dass Regie führende Intendanten per se eine allzu große Macht innehaben, wie in den vergangenen Monaten in der Theaterszene diskutiert wurde, glaubt sie nicht: "Die Frage ist ja: Wie gehe ich mit der Macht um?" Einiges an Theaterfolklore müsse man über Bord werfen, andere Dinge beibehalten: "Die Theaterfamilie, die zu Recht in Verruf geraten ist, ist der Grund, warum ich Theater mache."

In Potsdam, dieser Stadt der DDR-Funktionäre, Wendeverlierer und Neureichen, will Jahnke andere Geschichten vom Osten erzählen. "Nach der Wende gab es eigentlich nur zwei Themen: die wirtschaftliche Lage und die Stasi. So viele andere Dinge sind unerzählt geblieben. Zum Beispiel, dass die Wiedervereinigung im Grunde eine feindliche Übernahme war. Meine Generation, die Mitte 50-Jährigen, sind jetzt in Positionen, um diese Geschichten zu erzählen."

Der Filmemacher Andreas Dresen ist zur Eröffnungspremiere gekommen. Sein Film "Gundermann", der gerade im Kino läuft, zeigt, wie DDR-Verarbeitung im Jahr 2018 aussehen kann: Ohne klare Täter-Opfer-Schemata, sondern mit kritischer Empathie allen Figuren gegenüber. Ohne Ostalgie, aber mit dem Bewusstsein, dass etwas verloren gegangen ist.

Bettina Jahnke hat sich zur Eröffnung für Eugen Ruges Familiensaga "In Zeiten des abnehmenden Lichts" entschieden. Über vier Generationen hinweg, von den 50ern bis ins Jahr 2001, erzählt Ruge vom Verfall des Sozialismus. Im Buch leben die Streitigkeiten, das Aneinander-Vorbeireden und Nichtverstehen von Lakonie und Multiperspektivität: Jede Figur hat nicht nur ihre Sicht auf die Dinge, sondern auch ihre eigene Art, davon zu erzählen. Auf der Bühne hat das seine Tücken. Beschrieben werden vor allem Innenwelten der Figuren, Dialoge und Szenen sind rar.

Musik und Sounds sorgen beim hin und her springenden Montageroman für Orientierung. Immer wieder ertönt ein sehnsüchtiger mexikanischer Schlager, der die Hauptfigur Alexander auf den Spuren seiner Großmutter nach Mexiko führt. Ein russisches Chanson steht für eine Liebesbeziehung, die scheitern muss. Und immer wieder tropft Wasser, der trostlose Klang eines maroden Staates.

Die Drehbühne von Juan León gibt den Blick auf hohe, kühle Räume frei: mal Wartesaal, mal Wohnzimmer. Darin begegnen sich die Figuren oft statisch. Die Monologdichte ist hoch, und nicht alle Schauspieler sind dem gewachsen. Ihr Spiel bleibt oft äußerlich, einen Tick zu groß und zu laut. Vor allem bei Henning Strübbe ist die Kunstanstrengung sichtbar. Er spielt Alexander, den krebskranken Regisseur, der im Jahr 2001 nach Mexiko reist, um mit seiner Familiengeschichte abzuschließen. Wenn er von seiner Krankheit redet oder davon, in seinem eigenen Leben nur Zuschauer zu sein, ist das Pathos nie weit.

Der Höhepunkt dieser Eröffnung liegt abseits der großen Bühne

Die Frauen spielen munter Boulevardtheater: Alexanders Mutter Irina wird bei Nadine Nollau zu einer in ihrer Bosheit komischen Femme fatale. Sie spricht, ebenso wie ihre Mutter Nadjéshda Iwánowna, durchgehend in einem russischen Akzent. Nadjéshda Iwánowna, das Mütterchen aus dem Ural, gerät bei Rita Feldmeier zur Karikatur. Im Buch gehört es zu den berührenden Momenten, wenn diese alte, einfache Frau versucht, die Welt zu verstehen. Hier wird sie für ein paar Lacher verraten.

Nur Alexanders Vater, der Geschichtsprofessor Kurt, wird bei René Schwittay zu einer vielschichtigen Figur. In seinen Rollkragenpulli ist er ebenso eingezwängt wie in seine Existenz. Die Beherrschung, die er sich als Überlebensstrategie antrainiert hat, hat eben ihren Preis.

Die Gruppenszenen sind gekonnt arrangiert, die Pointen sitzen. Aber da, wo es ernst wird, wo Ideale auf Wirklichkeit prallen und Politik auf Familie, bleibt das Spiel und damit die Inszenierung oft allzu oberflächlich.

Auf der kleinen Bühne, in der Reithalle, kann man das neue Ensemble in besserer Form erleben. "paradies spielen" gibt es dort zu sehen, ein mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnetes Stück von Thomas Köck, das in Schlaglichtern danach fragt, wie Klimakrise, Kapitalismus und Globalisierung zusammenhängen. In der Regie von Moritz Peters wird daraus eine ideenreiche, hochtourige Sprechoper. Die sieben jungen Schauspieler gestalten Köcks Textfläche mit großer rhythmischer Präzision. Sie wechseln so virtuos zwischen distanziertem Vorführen und empathischer Figureneinfühlung, dass es ein Kunststück ist. Der Höhepunkt dieser Eröffnung liegt also abseits der großen Bühne. Wenn sie es mit dem Teamgeist ernst meint, wird Bettina Jahnke sich darüber freuen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: