Deutsche Reden:Vom Fortbestehen

Volker Braun

„Ich habe mich einmal dagegen gewandt, vom Tal der Ahnungslosen zu reden.“ - Volker Braun in Dresden.

(Foto: Arno Burgi / dpa)

"Nicht der Zuzug zertrampelt das Land, sondern der Geschäftsgang. Deutschland ist zerrissen und nicht mit sich allein."

Eine Dreinrede von Volker Braun

Seit 2014 lädt die Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption in Kamenz, der Geburtsstadt Gotthold Ephraim Lessings, Autoren und Autorinnen ein, "die Gedankenwelt Lessings als Angebot für Analyse und Beantwortung gegenwärtiger Probleme und Fragen zu entdecken". Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe sprach auf der Kanzel der Kirche St. Annen am 11. September 2014 Friedrich Schorlemmer über "Die Chancen der Aufklärung und die Fallen des Fundamentalismus". Die zweite "Kamenzer Rede" hielt Feridun Zaimoglu, ihm folgten Jörg Bernig und im vergangenen Jahr Eva Menasse. An diesem Mittwoch sprach Volker Braun in der St. Annen Kirche. Der gebürtige Dresdner, Jahrgang 1939, erhielt 1981 den Lessing-Preis der DDR und im Jahr 2000 den Büchner-Preis. Zuletzt erschien von ihm der Gedichtband "Handbuch der Unbehausten" (2016) im Suhrkamp Verlag. Wir drucken seine "Kamenzer Rede" in einer gekürzten Fassung.

Die Kirche ist das Theater des Glaubens, weiß Gott!, das Theater ist die Kirche des Zweifels, weiß Gotthold. Lessing wechselte, gezwungenermaßen, auf seine alte Kanzel, das Theater; ich trete hier in St. Annen halb gezwungen auf oder unter die Kanzel, gezwungen durch die gegenwärtigen Streitigkeiten. Die Deutschen bangen um ihren Fortbestand und fürchten um ihren Wohlstand. Das sind mythische Themen für die Montagspredigten.

Es liegt auf der Hand, dass es nicht mehr um Ideologien oder Religionen geht, so sehr sich die Kämpfe der Kontinente in die alten Mäntel hüllen. Sondern um etwas Tieferes, Grundsätzliches, die sozialen Bedingungen des Menschseins, die Verhältnisse. Arm und Reich: die Eigentumsverhältnisse insonders sind der blinde Fleck unserer Demokratiedebatten, das korrupte Auge der Parlamente. Hier sind die Gesetze festgeschrieben wie der Bibeltext. Auf den jener Hauptpastor Goeze pochte, den Lessing im Nathan aus dem Mund des Patriarchen sagen lässt: "Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie / Gefährlich selber für den Staat es ist / Nichts glauben!"

Im Streit mit dem Hamburger Gotteskrieger hatte Lessing beinahe sein Leben vertan, als er sich des Entwurfs zu dem Schauspiel entsann, das, schien ihm, "eine Art von Analogie mit meinen gegenwärtigen Streitigkeiten hat". Es ist ein Kriegsstück. Das Personal steht auf der Bühne des Vorderen Orients, wie heute unsere Muftis, Rabbis und Mariners. Die ratlose Recha! (: das ungeschriebene Stück). Bei Lessing geht es friedlich aus, am Ende erkennen sich (fast) alle als eine Familie, märchenhafter, ungeheurer Vorgriff. Tabori hat die Szene an die Front verlegt. Der Jude zeigt den scheiternden Juden. Ein verzweifelter Narr, der seine Parabel nicht loswird, zuletzt von einer Bombe zerfetzt. Die heutige Handlung läuft im Abendprogramm.

Die Katastrophen sind vorgezeichnet

"Die Zukunft ist eine Mulattin", lautete eine Zeile geschrieben auf der belebten Rampa in Habana. Das war mir ein begreiflicher, lieber Satz, der karibischen Welt abgewonnen. Er ist mit einmal anstößig geworden. Sein Gegenteil, ganz unmetaphorisch gesagt, wäre die Selektion an der Rampe. Dies Gegenteil wird heute wieder gedacht. Da bin ich bei den gegenwärtigen Streitigkeiten, die aus dem Elbtal heraufweben. Ich habe mich einmal dagegen gewandt, vom Tal der Ahnungslosen zu reden, denn gerade das ausgelöschte Dresden bewahre ein unauslöschbares Wissen, was Schöpfung und Vernichtung sei, Schönheit und Grauen. Ich sprach von einer "dresdner Denkart", für die Kriege unannehmbar, Gewaltlösungen auszuschließen seien. Einem von Erfahrung bedingten, notwendigen Denken, das harmlose Antworten nicht erträgt. Das ernstlich ans Leben denkt, an Bewahrung und Beginnen. Das war eine Projektion auf den rußschwarzen Sandstein geworfen, den wahren Dresdner, wie Rosenlöcher sagte: "Er weigert sich, das Gedächtnis zu verlieren." Jetzt sind wir in Zeiten des Hartbetons.

Die Ahnungen heute in dem Tal und auf den sächsischen Hügeln: dass man den deutschen Boden unter den Füßen verliert.

Es stimmt etwas im Ganzen nicht, und worüber wir uns den Mund zerreißen, das zerreißt die Gesellschaft. Mein "Lebenswandel", mit dreißig notiert, begann: "Ich, gemodelt aus vieler Geschlechter Stoff". So begriff ich mich in meiner Tätigkeit. Was ist Deutschland, wo seine Grenzen sind, weiß ich nicht. Ich seh die Völker, wie sie seit Jahrhunderten wandern und sich vermengen, wie sie sich schlagen und durcheinanderlaufen.

Der Zug der Burgunden von Gotland an die Weichsel, in die Lausitz, an den Rhein und nach Burgund - es waren Europäer wie die Goten und Hunnen, die freilich Eurasier waren. Die Staaten sind künstliche, gewaltsame Bildungen; ich kann mich nur in Europa begreifen und komme mir damit schon arg provinziell und eigenbrötlerisch vor. Kommen wir nicht von weiter her, und läuft nicht alles auf ein großes Treffen hinaus? Europa, "aufreizende Schöne, etwas macht sie falsch / Sie wird genommen werden, unzärtlich, wie eine Hure".

Ein Volk gibt sich auf, das sich nicht in die Welt stellt

Es ist wahr: Die große Völkermischung, der Verlust einer vermeintlichen Identität wird der weltumgreifende Konflikt, das Abenteuer der Gattung im 3. Jahrtausend. Die Katastrophen sind vorgezeichnet, die Rettungen sind zu erfinden. Hier auf der Straße will man deutsch unter Deutschen sein. Auf der Augustusbrücke Gründonnerstag nachts grüßt uns ein Kerl unter der Kutte: Heil Führer.

Die schönen, klugen deutsch-äthiopischen Enkel meines jüngsten Bruders: Ich möchte sie als Landeskinder nicht missen. Es sind Kinder einer Welt. "Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, auch Einflüsse andrer Kulturen aufzunehmen, bspw. das Staats- und Gesellschaftsziel nach Glück auszurichten, wie in Bhutan!" Das schreibt natürlich ein Blogger und kein Heimatminister aus Bayern, in einem Wertesystem, das sich gegebenenfalls mit Waffen durchsetzt, sie jedenfalls produziert.

Habe ich Glück gesagt? - "Das Glück derer, welche das Band der Gesellschaft vereint, erfordert, dass sie so viel wie möglich in allen Sachen harmonieren, die sie miteinander auszumachen haben." So Thomas Jefferson, der Präsident des amerikanischen Migrantenstaats, besorgt um die junge Demokratie. Denn er sah die "Unzuträglichkeiten ..., die gegen die von der Einwanderung Fremder zu erwartenden Vorteile gestellt werden könnten". Sein Albtraum: dass die Integration scheitern könnte an den mitgeschleppten Feindseligkeiten. Dieser Jefferson, der Sklaven hielt, sprach, wie nach ihm Friedrich Engels, von der "menschlichen Rasse". Das Wort hat mir immer gefallen.

Wie dieses auch: "Menschen erachte ich für den größten Reichtum. Und kämen Heiden und Türken und wollten das Land bevölkern, ich wollt' ihnen Moscheen baun." Friedrich II., offeriert vom Cottbuser Theater am Jahresende 2000. Ja: Unsere Königin hat einen wahrhaft preußischen Entschluss gefasst und mit preußischem Mut die Grenzen geöffnet, freilich ohne preußischen Sinn für Verwaltung. Und es müssen nicht Moscheen sein in Mitteleuropa, aber Schulen, wenn wir uns nicht zu dummen Jungen machen wollen. Wenn wir uns nicht zu ewigen Juden und Christen machen mit unserm Verfassungsbrimbor, wo sich selbst die sozialdemokratischen Minister auf Gott vereidigen lassen. Die Lösung ist nicht, dass nun muslimische Prediger in deutschen Schulen Toleranz unterrichten. Wir sollten eine säkulare Kultur vorleben, um die Debatte auf eine andere Ebene zu senken: auf die der modernen Gesellschaft. Hier ist nicht Mekka-Vorpommern. Hier ist ein irdisches Land.

"Ich zieh mich nicht heraus aus meinem Loch / Der Weg voran führt einmal auf den Grund"

Was wir preisgeben müssen ist der Gedanke an Überlegenheit. Das Vaterland ist uns unbenommen und die Sprache vom Mutterleib her: Und ich beneide die gemischten Wesen, die über beide doppelt verfügen und Heimat und Herkunft doppelt wissen Es werden mehr, und ich bin nicht weniger Mensch davon, nur ein halber Analphabet. In der Heimat sind wir verwurzelt, wie weit wir auch in die Welt gehn. Wie der Vorfahr im Vogtland, der bis nach Istanbul und Odessa zog, um wieder ins Amt des Gemeindevorstands zu treten. Bis an die Pforte, den Orient. Hätte er Flüchtlinge abgewiesen? Er führte allerdings "eine spitze Feder", und hätte wohl klüger gerechnet, um den Sorgen Rechnung zu tragen.

Ein Volk gibt sich auf, das sich nicht in die Welt stellt. Es ist derselbe Prozess, der die Kulturen konfrontiert und sie konstituiert. Ihr angesagter Kampf ist kein Kinderspiel, er braucht erwachsene Generationen. Was wir preisgeben werden: den deutschen Marschschritt, den deutschen demokratischen Trott, unser deutsches romantisches Dulden des kapitalen Unrechts.

Bewahren aber, gewinnen: unser arbeiterliches Ingenium, unsre gerade in den alten Ländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt dicht wie nirgend sonst gestreuten Kunststätten und -traditionen, ein kulturelles Erbe von "weltfähiger deutscher Eigenart" (Friedrich Dieckmann). Das bringen wir ein auf die Allmende der Weltgesellschaft.

Die Strände, "bedeckt mit hellen heiteren Nationen": Der Dichter Rimbaud hat sie gesehen, der Bauer, der Neger oder Mulatte .... Die Zukunft ist - auch diese Zeile lasse ich stehn.

Man muss auf dem Dach eines Hauses in der Altstadt von Polignano a Mare das plötzliche Einschlafen des Lärms zur Zeit der Siesta und das allmähliche Wiedereinsetzen der Laute und Sätze erlebt haben, das wie Milch im Topf aufschäumende Stimmengewirr, das die Wände hinaufläuft und über den kleinen Platz gischtet, um die Macht der Sprache zu begreifen, die das Leben ausmacht, die es ausdrückt, artikuliert und ventiliert - das mediterrane Gemurmel, das Gassengelächter - und erst gegen Mitternacht mit den letzten rüden Rufen und Wortresten aus den Osterias zusammenfällt.

Lassen Sie mich unvermittelt eine Lessing'sche Invektive erinnern, die es bis ins "Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus" gebracht hat, unter dem Stichwort "Menschheit" (Hamburg 2018). Lessing persifliert eine "elende Fiktion" eines Dichters namens Dusch. "Der Held ist ein elender Fischer ... Der Sturmwind hat seine Hütte zerrissen; er klagt, er murret; er ist seines Lebens müde. Aber doch, denkt er, ehe ich mich ersäufe, kann ich ja wohl noch eine Nacht gut schlafen ... Und nun geben Sie Acht", fährt Lessing fort, "der Fischer des Herrn Dusch ist nicht bloß ein Narr, der es erst beschlafen muss, ob er sich ersäufen soll, oder nicht: er ist das größte menschliche Ungeheuer, das je gewesen oder erdichtet worden. Er kömmt an den Strand und entdeckt ein verunglücktes Schiff; er entdeckt, dass vielleicht hundert andere durch den Sturm hundertmal mehr verloren haben, als er selbst. Was hätte diese Entdeckung bei ihm wirken müssen, wenn ihm Schöpfer Dusch nur einen Funken Menschheit gegeben hätte? Hätte sie seine Verzweiflung nicht noch höher treiben müssen?" Menschheit: sagt Lessing. Nein, bei Dusch geht's fort: "Jetzo vergaß er seinen Entschluss zu sterben, und Neubegierde und Hoffnung beflügelten seine Füße."

Der Fischer plündert zufrieden das Schiff, wodurch er "seinem Schaden so wohl beikam. ... Kann sich der Unzufriedene, der dieses Beispiel lieset, nicht eben so wohl an die Stelle derjenigen setzen, die" -

Die ohnmächtige Stille der 1200 auf dem aufgebrachten Schiff im Hafen von Bari, das Stammeln, das Murren der Festgenommenen und Verhörten, und das verzweifelte Gebrüll im Stadion della Vittoria, wo sie auf die Abschiebung warten, wir kommen wieder, die Finger zum V gereckt (die Verheißung der Television), und die erlösenden Worte jener Bareser, die die Armseligen aufnehmen und verbergen.

Das war eine Stern- und Hagelstunde der deutschen Geschichte

"Und für den Letzten soll die Welt gemacht sein" - für den Letzten: Da dachte ich nicht unbedingt an den Weltkreis. Nicht an den Hunger, die Not in den Dürrezonen. Die Kontinente standen mir nicht vor Augen. Es sprach ein Vermummter "aus der Vorzeit", aus der Tiefe des Tagebaus. "Ich will die Welt von unten sehn Kollege / Ich zieh mich nicht heraus aus meinem Loch / Der Weg voran führt einmal auf den Grund". Eine Gesellschaft sei danach zu beurteilen, wie es dem Letzten in ihr geht, ganz unten auf der Stufenleiter des Staats. Mein Thema war die Abstufung, die Rangordnung, Unterdrückung, die auch den Arbeiter- und Bauernstaat zerreißt.

Dem Letzten? Es wird immer den Bodensatz geben ... Es sei denn, es gibt eine andere Welt.

Jetzt kreist das widerständige Denken mehr als um die Veränderung um Erhaltung, der Natur, der Ressourcen, der Renten. Das ist das Dilemma, dass es nur was verteidigt, dass es zurückschaut und nicht vorne hinaus, dass es nichts anzubieten hat.

Nicht um die Macht kann es gehn - um die Ohnmacht, darum, dass der Mensch "noch lebt Luft atmet Boden tritt". Wie handeln, dass er überlebt? Der Mensch ist die Milliarde; es kann nicht so fortgehn. Nicht nach dem bürgerlich und proletarischen Fahrplan: Wir ahnten es, bei dem plötzlichen Halt auf der Strecke. Mit uns als neue Fracht ging es noch an, in dem Komfort. 17 Millionen, das Reichsbahngebiet. Wir wollten in den Waggon, die Ärmsten nicht und Dümmsten, wissend, er hält die Welt nicht aus. Wir stiegen fraglos ein, um ratlos drinzusitzen. Und ein Vermummter wieder, Verstellter gab Bericht aus dem IC Jakob Fugger.

Ratlos also, nicht ruhig sind wir, nicht wie in Hölderlins Zeit: "Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt / Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd." Denn Agrarkonzerne und EU-Kommissionen regeln das Geschäft und versorgen uns, und eine Dritte Welt geht an Monokultur und subventionierten Exporten zugrunde. Und längst schon tragen wir Billigklamotten, und jeder "hüllet sich ein ins verschämte Gewand" aus Bangladesch, wo die Arbeiterin den Hungerbauch mit Abführtabletten kasteit. Hölderlin, fragmentarisch: "Aber in Hütten wohnet der Mensch, u. hüllet sich ein ins verschämte Gewand, denn inniger ist achtsamer auch u. dass er bewahre den Geist, ... diß ist sein Verstand." Wir sind um den Verstand gekommen. Wir leben von der Armut der Welt.

Von unserm fragmentarischen Handeln ist zu reden. "Arbeite mit, plane mit, regiere mit" - Sie kennen die Losung, die abgeblättert, verwaschen noch im Kopf weht. Wer's glaubte, wurde nicht selig. Ein Werbetext von Partei & Regierung im realen, nicht realistischen Sozialismus, ernst gemeint zum Erbrechen. "Nimm ein Ei mehr ..." Doch der Zynismus der Werbebranche ist unvergleichlich größer, im Sommer der Begierde, im Frühling in Prag. "Er ist gekommen. Wir auch. Deutsche Bank." Und der Flüchtlingsstrom stand in Freilassing. Eine Million hat Deutschland 2015 aufgenommen, fraglos: ohne Ansehn der Person. Mehr Handeln war einer Regierung nicht abzuverlangen, mehr Hilfsbereitschaft nicht der Bevölkerung. Das war eine Stern- und Hagelstunde der deutschen Geschichte. Ein dramatischer, traumatischer Moment, und die kopflose Guttat requirierte die Seelenkräfte.

Einwanderung - oder Sozialstaat: scheint die Alternative. Aber nicht die Flüchtlinge machen das Problem, sie machen es bewusst.

Es sind die Steuerflüchtlinge und Renditeschlepper, wegelagernden Lobbys, das vagabundierende Kapital. Nicht der Zuzug zertrampelt das Land, sondern der Geschäftsgang. Deutschland, wo nur jeder Zweite noch tariflichen Schutz genießt, und ganze Firmen fürchten verkauft zu werden, setzt sich selbst herab. Auch verödete Dörfer sind gewissermaßen "national befreite Zonen".

Diese schöne Erde ... Wer zerstört sie? Die Verwüstungen richten wir selber an, die Zersiedlung, Vernutzung, Devastierung der Fluren. Und die Unsicherheit und Armut sind von hier, sie wandern nicht ein. Sie haben die Staatsbürgerschaft. Und nicht Selbstbegrenzung und -beschränkung werden Ungleichheit und Unrecht überwinden.

Für den Letzten soll die Welt ... Welche Welt. Ich rede nicht von der gleich in gleichen Welt, die wir gerade schaffen. Ich hänge an Land- und Völkerschaften. Ich habe was unterschlagen, wenn ich von einer Welt sprach. Womöglich mein wahres Gefühl, das sich dem Einzelnen, Besonderen und Hergebrachten zuneigt, Hergebrauchten tippt mein Computer. Es ist ein größerer und nicht schwächrer Gedanke, an die unerschöpfliche Eigenart, die kostbare Vielgestalt. "Kein Lebendiges ist Eins, / Immer ists ein Vieles", wusste Goethe, und die aufständischen Indios im lacandonischen Urwald hinterließen die Losung: "eine Welt, in die viele Welten passen".

Denn ihre bittere Ökonomie braucht eine Chance, und jede Region, jede Lebensform soll ihr Recht behaupten und ihr Eigenes zeigen und nach Kräften entwickeln. Das ist auch unser Fortbestehen. Statt sich zu verstecken, statt sich zu genügen, gilt es sich selbst hineinzubringen ins Unabsehbare, Neue. Das eigene Schicksal zu humanisieren. Aus den Gegensätzen heraus, den Widersprüchen, wie sonst, wo sie unaushaltbar sind.

Für den Letzten aber ... Das ist ein hartes, ängstigendes Wort, das auf mich zurückfällt wie ein Fausthieb. Ein Wort wie jene Botschaft "An alle an alle an alle" ... Es trifft nicht den Falschen, denn es geht mir gut, weil es anderen schlecht geht. Es steht geschrieben, um dreinzureden, ich nehm es nicht weg.

"Und hättst so schöne Auen / Und stolzer Städte viel: / Tätst du dir selbst vertrauen / Wär alles" - nein, kein Kinderspiel. Deutschland ist zerrissen und nicht mit sich allein. Die Deutschen bangen, und fürchten ... Aber "bei euern Kindes-Kindeskindern", in denen ihr wieder kommt, dann wird ein weiserer Mensch als ich ... sehn eine andere Welt: Ich darf es glauben und zweifeln, hier unter uns und draußen, wo sie umkämpft ist und untergeht und aufsteht.

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