Medizin:Offizielle Patientenberatung führt Hilfesuchende in die Irre

Arztpraxis

Gesundheits-Informationen aus dem Netz sind oft nicht vertrauenswürdig. Die UPD wollte das eigentlich ändern.

(Foto: dpa)
  • Die von Bundesregierung und Krankenkassen eingesetzte Patientenberatung UPD hat offenbar massive Qualitätsprobleme.
  • Der wissenschaftliche Beirat fordert die Löschung großer Teile der Webseite.
  • Bei vielen auf der Seite dargestellten Behandlungen fehlen Informationen über Vor- und Nachteile. Andere Abschnitte haben esoterische Qualität.
  • Seit kurzem gehört das Beratungsangebot einem Hedge-Fonds.

Von Werner Bartens und Markus Grill

Suchen Patienten Rat und Hilfe, wird oft Dr. Google konsultiert. Doch viele Informationen im Netz sind widersprüchlich; zudem stecken häufig Lobby-Interessen dahinter. Wie gut, dass es für solche Fälle die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) gibt, möchte man meinen; schließlich führt sie die Unabhängigkeit bereits im Namen. An der Art, wie Informationen zu Diagnose und Therapie auf Seiten der UPD dargestellt werden, entzündet sich nun allerdings massive Kritik, denn die von Bundesregierung und Krankenkassen eingesetzte Patientenberatung hat offenbar große Qualitätsprobleme, wie Recherchen der Süddeutschen Zeitung und der ARD ergeben.

Die Mängel gehen unter anderem aus einem bisher unveröffentlichten Brief der wissenschaftlichen Mitglieder des UPD-Beirats an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung hervor. Die Wissenschaftler fordern darin eine unverzügliche Löschung von großen Teilen der Website, da diese "sachlich falsche" Informationen verbreite und Patienten "in die Irre geführt" werden. Die UPD selbst wollte sich zu den Vorwürfen nicht konkret äußern und teilte nur allgemein mit, dass sie "Hinweise zur Verbesserung unseres Beratungsangebots sehr ernst" nehme.

Bereits ein flüchtiger Blick auf die Seite offenbart, dass dort nicht ausgewogen über Schaden und Nutzen von Behandlungen oder Screenings aufgeklärt wird und bizarre Verfahren unkritisch aufgelistet werden. "Besonders absurd ist das Kapitel Bioresonanz", sagt Jürgen Windeler, Beirats-Mitglied der UPD. "Da sollte drinstehen, dass es sich um eine reine Fake-Methode handelt, die nichts bringt." Windeler hat Erfahrung mit der Bewertung medizinischer Maßnahmen, er leitet das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das unabhängige, evidenzbasierte Gutachten für das Gesundheitsministerium erstellt.

"Über Nutzen und Schaden nicht ausreichend informiert"

"Weder sprachlich noch inhaltlich entsprechen die Beiträge Anforderungen an gute medizinische Informationen", bemängelt auch Beirats-Mitglied David Klemperer, lange im Vorstand des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin und in Gremien zur besseren Patientenversorgung. "Das Wissen, was es gibt, wird nicht dargestellt - Patienten werden über Nutzen und Schaden nicht ausreichend informiert."

Beispiel Mammografie-Screening: Elementare Begriffe wie Vorsorge und Früherkennung werden verwechselt. Informationen über Vor- und Nachteile der Reihenuntersuchung sind nicht vorhanden. "Man könnte bei manchen Einträgen auf die Idee kommen, dass der Inhalt den Angaben der Hersteller entspricht", sagt Windeler. Etliche Beiträge, etwa zum Thema Krebsvorsorge beim Mann oder der Injektion von Hyaluronsäure bei Kniearthrose sind irreführend oder naiv. "Das sieht aus, als hätte ein Praktikant die Informationen verfasst", sagt Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser. "Sie sind unvollständig und nicht geeignet für informierte Entscheidungen. Dabei gibt es international definierte Kriterien, wie man Patienteninformationen erstellt, aber die wurden nicht berücksichtigt."

Der Beitrag über Kinesiologie hat esoterische Qualität: "Laut Kinesiologie soll bei einem negativen Reiz - also einer falschen Behauptung oder Unverträglichkeit - die Testperson nicht in der Lage sein, den Körperteil gegen ausgeübten Druck ruhig zu halten", so der UPD-Eintrag. "Grund soll sein, dass für einen kurzen Moment die bewusste geistige Kontrolle über den Muskel verloren geht und der Körper spontan antwortet." Kritik an der Methode? Fehlanzeige - nur der Eintrag, sie sei "keine Pflichtleistung" gesetzlicher Krankenkassen.

Die gesetzlichen Kassen finanzieren mit neun Millionen Euro jährlich die UPD, eine Million geben Privatkassen dazu, damit die einzige Anlaufstelle mit gesetzlichen Auftrag für Patienten kostenlose Beratung bietet. Doch nun mehren sich die Zweifel, dass die UPD ihren Auftrag erfüllt. Das hat auch mit Besitzverhältnissen zu tun: 2016 ging die UPD an die Firma Sanvartis über, ein privater Gesundheitsdienstleister, der Call-Center vor allem für Kassen und Pharmafirmen betreibt. Einige Beiratsmitglieder legten aus Protest ihren Posten nieder. Aber die Kassen und der damalige Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), blieben bei der Entscheidung. Zuvor war die Beratung in Händen gemeinnütziger Verbände gewesen.

Ärzte fordern einen kompletten Neuanfang des Beratungsangebots

Vor wenigen Wochen dann wurde die UPD Teil eines Hedgefonds. "Careforce und Sanvartis Group CH schließen sich zum größten Vertriebs- und Multichannel-Kommunikationsanbieter im deutschen Gesundheitswesen zusammen", so die Mitteilung. Ob das der Qualität der UPD nützt? "Die Art und Weise, wie der Deal gelaufen ist und von der UPD eben nicht kommuniziert wurde, schwächt das Vertrauen in deren Unabhängigkeit", sagt SPD-Patientenbeauftragte Martina Stamm-Fiebich.

Auch Ärzte-Vertreter sind in großer Sorge: "Wahrscheinlich kann nur ein kompletter Neuanfang der gesetzlich in Auftrag gegebenen Patientenberatung verlorenes Vertrauen wiederherstellen", so Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Adressant des Brandbriefs der Wissenschaftler war der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Ralf Brauksiepe (CDU). Der will sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern. Nur so viel lässt er mitteilen: "Ich nehme alle an mich herangetragenen Anregungen der Beiratsmitglieder sehr ernst." Brauksiepe verweist darauf, dass die UPD reagiert und die "Texte aus dem Netz genommen habe". Das stimmt allerdings nicht. Wer in der Suchmaske noch am Donnerstag nach Begriffen wie Mammografie oder Bioresonanz suchte, landete bei den verzerrten Informationen.

Auch beim Bund der Gesetzlichen Krankenkassen, die die UPD finanzieren müssen, wächst der Ärger. Vorstand Gernot Kiefer sagt: "Auch meine Geduld ist endlich. Ich erwarte, dass spätestens im Lauf des Jahres 2019 die Mängel beseitig sind."

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