Staatsbesuch:Warum Erdoğans Geste provoziert

  • Schnappschüsse von seiner Ankunft in Berlin legen nahe, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan den "Rabia-Gruß" der islamistischen Muslimbrüder zeigt - es wäre nicht das erste Mal.
  • Manche seiner Anhänger zeigen den Gruß der "Grauen Wölfe" - die rechtsextreme Organisation wird in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet.
  • Es offenbart sich hier eine Allianz zwischen Islamisten und Nationalisten die sich schon in Erdoğans Wahlbündnis mit der MHP widerspiegelte.

Von Markus C. Schulte von Drach

Der rechte Arm gereckt, vier Finger in die Höhe, der Daumen nach innen angewinkelt - es wäre kein Zufall, wenn Recep Tayyip Erdoğan bei seiner Fahrt durch Berlin seine Anhänger mit dieser Geste grüßt. Bilder legen jedenfalls nahe, dass es so war. Es handelt sich um den sogenannten "Rabia-Gruß", der auf die ägyptischen Muslimbrüder zurückgeht.

Der Name bezieht sich auf den Rabaa-Platz in Kairo (auch Rabia-al-Adawiya-Platz), wo die Islamisten, die nach dem Arabischen Frühling in Ägypten an die Macht gekommen waren, ein Protestcamp gegen den Militärputsch unter Abdel Fattah al-Sisi errichtet hatten. Das Camp wurde im August 2013 geräumt, mehr als 600 Menschen kamen dabei ums Leben. Seitdem ist der "Rabia-Gruß" das Symbol des Widerstands der Muslimbrüder gegen die Militärregierung. Das Wort steht im Arabischen für die Zahl Vier, die dem Namen des Platzes ähnelt.

Staatsbesuch: Erdoğan 2017 bei einer Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an den gescheiterten Putschversuch in der Türkei. Mit beiden Händen zeigt er den "Rabia-Gruß" der Muslimbrüder.

Erdoğan 2017 bei einer Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an den gescheiterten Putschversuch in der Türkei. Mit beiden Händen zeigt er den "Rabia-Gruß" der Muslimbrüder.

(Foto: AFP)

Erdoğan zeigt den Gruß nicht zum ersten Mal. Er verwendete ihn bereits wenige Tage nach dem Massaker in Ägypten. Auch nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei 2016 grüßte er in Istanbul so seine Anhänger. Seine Botschaft war: Die Armee hat es nicht geschafft, den islamischen Präsidenten zu stürzen - mit der Betonung auf "islamisch".

Zwar steht Erdoğan öffentlich zum Laizismus der Türkei, Bestrebungen, das Land mit einer religiösen Verfassung zu versehen, hat er zurückgewiesen. Ideologisch und politisch stehen der Präsident und seine AKP den Muslimbrüdern jedoch nahe, die klar für ein islamistisches Ägypten unter dem islamischen Recht, der Scharia, eintreten. Die Nähe zeigt sich etwa darin, dass die Rolle des sunnitischen Islams in der Türkei immer wichtiger wird.

Der "Wolfsgruß" der Rechtsextremen

Manche Anhänger Erdoğans zeigten ein anderes Handzeichen, den "Wolfsgruß" der Grauen Wölfe: Die Spitzen von Daumen, Mittel- und Ringfinger berühren sich, Zeigefinger und kleiner Finger ragen in die Höhe. Es ist das Zeichen der türkischen Rechtsextremisten, insbesondere der Anhänger der ultranationalistischen Partei MHP. Die Grauen Wölfe stellten bis in die 80er Jahre Mitglieder von militanten Jugendgruppen und paramilitärischen Einheiten, die die türkische Armee im Kampf gegen die PKK unterstützte. Bis in die 90er Jahre hinein begingen Graue Wölfe politische Morde an linken Politikern, Studentenführern, Journalisten und Kurden.

Türkischer Präsident in Deutschland

Ein Anhänger des türkischen Präsidenten Erdoğan in Berlin zeigt den Wolfsgruß.

(Foto: dpa)

Der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge haben die "Grauen Wölfe" ("Bozkurtlar") in Deutschland mehr als 18 000 Mitgliedern. Sie werden der "Ülkücü"-Bewegung ("Idealisten") zugerechnet, und sind in Hunderten Vereinen und mehreren Dachverbänden organisiert. Ihre Anhänger vertreten einen ethnischen türkischen Nationalismus und Islamismus.

Dem Verfassungsschutz zufolge ist das Ziel der "Ülkücü"-Bewegung "der Schutz des Türkentums sowie die Errichtung von 'Turan', einem (fiktiven) ethnisch homogenen Staat unter Führung der Türken, der die Siedlungsgebiete der Turkvölker umfasst und - je nach ideologischer Lesart - vom Balkan bis nach Westchina oder sogar Japan reicht".

Gegen Linke, Kurden, Aleviten, Gülen-Anhänger und Juden

Auch in Deutschland betrachten die "Grauen Wölfe" Linke, Kurden, Aleviten und auch Juden als Feinde, seit dem Putsch in der Türkei zudem auch die Anhänger der "Gülen"-Bewegung, die Erdoğan zufolge versucht haben soll, ihn zu stürzen. Inzwischen ist der Wolfsgruß in Deutschland immer häufiger zu sehen. Und die türkischen Rechtsextremisten organisieren sich zunehmend auch in Rockergruppierungen und rockerähnlichen Vereinigungen.

Der Verfassungsschutz hat die "Ülkücü"-Bewegung im Auge. Denn, so heißt es in einem Bericht aus Nordrhein-Westfalen: "Durch ihr extrem nationalistisches Gedankengut bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die Grauen Wölfe Ziele verfolgen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung beziehungsweise das friedliche Zusammenleben der Völker richten." Damit erfülle die Vereinigung die gesetzlichen Voraussetzungen zur Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden.

Besuch des türkischen Außenministers

Der "Rabia-Gruß" ist zu sehen während einer Veranstaltung mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu (vorn) 2017 in Hamburg. Der Minister selbst zeigte auch den Gruß der "Grauen Wölfe".

(Foto: dpa)

Das Verhältnis zwischen den Rechtsextremen und der AKP von Erdoğan spiegelt sich darin wider, dass die Partei ein Wahlbündnis mit der MHP eingegangen ist, die die Ideologie der Grauen Wölfe vertritt. Ministerposten erhielten die Nationalisten allerdings nicht. Im März 2017 zeigte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu (AKP) bei einer Veranstaltung vor dem Generalkonsulat in Hamburg allerdings selbst den Wolfsgruß.

Der türkische Präsident selbst beschränkt sich zwar mit dem "Rabia-Gruß" darauf, seine ideologische Verbindung zu den Muslimbrüdern zu demonstrieren. Als Anhänger und Unterstützer sind ihm die rechtsextremen Nationalisten in Deutschland aber offenbar willkommen.

Zur SZ-Startseite
Can Dundar, former editor-in-chief of Cumhurryiet, TurkeyâÄÖs main opposition newspaper which was raided by Turkish police on Monday, is pictured after an interview with Reuters in Berlin

ExklusivErdoğan-Besuch in Berlin
:Türkei fordert Auslieferung von Journalist Dündar

Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet", lebt im Berliner Exil. Die Bundesregierung sieht in der türkischen Forderung eine "Provokation".

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: