Oktoberfest:Wiesn für Anwohner? Hölle, Hölle, Hölle!

Oktoberfest: Ohne die Zäune würden manche Grundstücke von Wiesnbesuchern zweckentfremdet werden.

Ohne die Zäune würden manche Grundstücke von Wiesnbesuchern zweckentfremdet werden.

(Foto: Robert Haas)

Lärm, Dreck und Verkehrschaos: Die Anwohner rund ums Oktoberfest müssen jedes Jahr wieder leiden. Von der Stadt fühlen sie sich allein gelassen.

Von Thomas Anlauf

Das Oktoberfest ist ein Milliardengeschäft. Doch der Ansturm der mehr als sechs Millionen Menschen hat seinen Preis - und den zahlen meist die Nachbarn des Oktoberfests: Lärm, Dreck und Verkehrschaos im Wohngebiet.

Einige erheben schwere Vorwürfe gegen die Stadt. Zum Beispiel Georg Meier. "Mitten in der Nacht werden die Anwohner von der Stadt allein gelassen", sagt der Architekt. Meier sitzt mit zwei Anwälten im Besprechungsraum eines gepflegten alten Hauses, in dem er zur Miete wohnt. Die Mozartstraße, eine gute Adresse. Es ist eine ruhige Gegend zwischen der Herzog-Heinrich-Straße und dem Goetheplatz. Wenn da nicht die Nachbarn wären. Nebenan liegt das Smart Stay Hostel Munich City, eine Art Jugendherberge, in diesen Wochen fast ausschließlich für Wiesngänger. Daneben ist die Pizzeria "Sinans Cucina", dahinter die Burgerkette "Hans im Glück". Während der Wiesn ist diese Ecke einer der Hotspots für Feiernde.

Es ist Freitag weit nach Mitternacht. Aus dem Sinans wummern die Bässe auf die Straße, vorne am "Hans im Glück" torkeln ein paar grölende Lederhosenträger. Ein Betrunkener pinkelt mitten auf der Straße gegen ein Auto, ein paar Meter weiter uriniert ein anderer ungeniert vor die Tür der Freien Evangelischen Gemeinde. Die Party dauert bis in die frühen Morgenstunden, gefeiert wird drinnen, die Bänke draußen sind hochgeklappt. Doch die Menschen stehen in Gruppen am Gehweg. "Wir feiern die ganze Nacht", schreien zwei vorne am Goetheplatz. Um 0.45 Uhr rüttelt ein Pärchen vergeblich an der Tür zum "Hans im Glück", zugesperrt, obwohl drinnen Gäste sitzen und essen. Getränke gibt es dafür auf der Straße gegenüber. Der Betreiber von "Kolumbus Russischer Laden" hat vor der Tür einen Kühlschrank aufgestellt, es gibt Bier und stärkeres Zeug. Um den fliegenden Händler hat sich eine Traube gebildet mit noch immer Durstigen.

Georg Meier kämpft seit 2011 um sein Recht auf Ruhe und Schlaf. "Wir haben nichts gegen die Wiesn", sagt Meier. Aber was sich vor seinem Fenster in der Mozartstraße abspiele, sei "Ballermann pur", das habe mit München, Bayern und Brauchtum nichts zu tun. Und Meier fühlt sich von der Stadt im Stich gelassen. Immer wieder hat er Lärmpegelmessungen gefordert, er will nächtliche Kontrollen von städtischen Sicherheitsleuten in den besonders betroffenen Straßen rund um die Wiesn. Die Referate, die Meier regelmäßig anschreibt, antworten meist recht allgemein. Erst am Dienstag erhielt er wieder eine Mail aus dem Kreisverwaltungsreferat. Er solle sich mit seinen Fragen doch bitte an das Wirtschaftsreferat oder das Veranstaltungs- und Versammlungsbüro im KVR wenden, wahlweise auch an die Bezirksinspektion Mitte oder als ersten Ansprechpartner an die Polizei unter 110.

Stau Schwanthalerstr. zwischen Martin-Greif-Straße und Saturn

In der Schwanthalerstraße staut sich bereits am Nachmittag der Verkehr ins Wohnviertel.

(Foto: Florian Peljak)

Vor einem Jahr suchte eine Mitarbeiterin des KVR sogar die Ecke zu Wiesnzeiten auf, laut KVR von 18 bis 19 Uhr. "Während der Kontrolle bestätigte sich die Lärmsituation nicht", schrieb das KVR damals. Bei "Hans im Glück" wurden zehn Tage später gegen 22 Uhr auf dem Gehweg vor der Bar "4 Gäste mit alkoholischen Getränken angetroffen", doch "die Lärmsituation bestätigte sich zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht", heißt es auch in diesem Schreiben. Kein Wunder: Die Party bei "Sinans" nebenan etwa beginnt eine Stunde später.

Während Georg Meier mittlerweile überlegt, gemeinsam mit Nachbarn zusammen die Stadt zu verklagen, hat eine Hausgemeinschaft in der Nähe selbst Schutzmaßnahmen gegen nächtliche Belästigungen ergriffen. Seit 2016 rüsten die Anwohner am Kaiser-Ludwig-Platz ihr Wohnhaus mit einem Bauzaun ein. Seither habe sich "die Situation schon sehr verbessert", sagt Jasminka Hermansson. "Es liegt zumindest niemand mehr in der Hecke." Früher seien regelmäßig Wiesn-Heimkehrer in den Vorgarten gegangen und hätten ihre Notdurft verrichtet, sogar Geschlechtsverkehr hätten sie unter den Fenstern gehabt.

Jetzt haben die Bewohner auf ihrem Bauzaun sogar einige Hinweisschilder für die Passanten angebracht. Fünf kleine Symbole sind im durchgestrichenen roten Kreis zu sehen: ein Strichmännchen beim Pinkeln, ein Paar beim Geschlechtsverkehr, ein Messer und ein Revolver, eine grölende Comicfigur und der Hinweis, das sei hier keine Mülldeponie. Ein Bauzaun als letzte Möglichkeit, sich gegen üble Auswüchse der Wiesn zu wehren? Warum eigentlich nicht. Die Theresienwiese ist ja auch eingezäunt.

Es gibt es aber noch Probleme ganz anderer Art. Um die Ecke in der Beethovenstraße liegt eine Anwohnertiefgarage, die auch von der Hausgemeinschaft benutzt wird. Doch die befindet sich während des Oktoberfests innerhalb des Sperrrings und dort dürfen nur Anwohner mit einer Ausnahmegenehmigung rein. Die bekommen die Leute vom Kaiser-Ludwig-Platz aber nicht, weil sie ja außerhalb wohnen. Jasminka Hermansson, die einmal von einem Polizisten daran gehindert wurde, zur Tiefgarage zu gelangen, versuchte, über den Gehweg ans Ziel zu kommen.

Der Alltag während der Wiesn "ist beschwerlich"

Der Beamte sagte ihr später, dass er sie hätte erschießen können, schließlich habe sie die Absperrung durchbrochen. Frau Hermansson gibt aber nicht so leicht auf. CSU-Stadtrat Richard Quaas vermittelte ihr Kontakte zum zuständigen Polizeichef. Sie durfte nun für die Polizei eine Liste mit Hausbewohnern erstellen, die in der Sperrzone einen Stellplatz haben. "Ich bin zuversichtlich, dass es jetzt ein bisschen besser läuft", sagt sie. Trotzdem: Der Alltag während der Wiesn "ist beschwerlich".

Manchmal geht es nur um Kleinigkeiten, die das Leben der Anwohner während der 16 Tage merklich verändern. Im türkischen Lebensmittelladen an der Schwan-thalerstraße müssen sich Kunden nun zwischen Dirndln, Filzhüten und karierten Hemden ihren Einkauf zusammensuchen. Auf der anderen Straßenseite steht plötzlich abends ein Türsteher vor dem Lokal. Das Bier dort kostet jetzt knapp einen Euro mehr als sonst, in der Wirtschaft stehen Bierbänke und -tische statt der rustikalen Möbel, die Barhocker sind weggeräumt, damit mehr Menschen an den Tresen passen. Wer vor dem Lokal einen Sitzplatz bekommt, muss italienische Volare-Gröler vom Nebentisch aushalten.

Von einem der Biertische aus kann man in diesen Tagen aber ein besonderes Schauspiel betrachten. Am Nachmittag, wenn Berufspendler und solche, die mit dem Auto in Richtung Theresienwiese wollen, an der Schwanthalerstraße aufeinandertreffen, staut sich der Verkehr von der Sonnenstraße bis in die Schwanthalerhöhe hoch und zurück. Erstmals seit Jahren gibt es hier keine Verbotsschilder mehr, die besagen, dass nur Anwohner ins Viertel fahren dürfen. Dabei gilt nach wie vor die Regelung für den äußeren Sperrring, was die Autofahrer aber nicht wissen.

"Die Autos fahren ungehindert die Schwanthalerstraße rauf bis zum Dönerhaus, biegen dann links ab und fahren die Schießstättstraße vor bis zum Alten Messeplatz", sagt Sibylle Stöhr. Die Vorsitzende des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe kann den Autostrom durchs Wohngebiet direkt von ihrem Fenster aus sehen. "Der Pkw- und auch Busverkehr wird verlagert vom Bavariaring in unser Viertel hinein", so Stöhr. Sie hat in den vergangenen Tagen bereits Beschwerden ans KVR und an die Polizei weitergegeben. Doch dort heißt es laut Stöhr, dass sich nur wenige Autofahrer an die Verbotsschilder gehalten hätten und man zu wenig Personal habe, um die Einfahrtsverbote richtig zu überwachen.

Tobias Bohlinger wohnt auch im Viertel und hat sich wegen der fehlenden Schilder an Stöhr gewandt. Die Parkplatzsituation im Viertel habe sich in den vergangenen Jahren wegen des starken Zuzugs ohnehin schon verschärft. "Wenn nun auch noch die Anreise zur Wiesn gefördert wird, verschlimmert sich die Situation ins Unerträgliche", findet Bohlinger. Dass die Verbotsschilder in diesem Jahr fehlen, hält er für "totalen Schwachsinn".

Für ihn ist ein schlüssiges Verkehrskonzept fürs Oktoberfest längst überfällig - etwa ein günstiges Wiesn-Ticket, mit dem man auch als Gruppe günstiger öffentlich zur Wiesn gelangt, als mit dem Auto zu fahren und bereitwillig 20 Euro fürs Falschparken in Kauf zu nehmen. Tatsächlich parken derzeit trotz der Anwohnerzone überall Autos mit auswärtigen Kennzeichen: Aichach, Ansbach, Landsberg, Berlin. Tobias Bohlinger hält es während des Oktoberfests wie die meisten seiner Nachbarn. Am Freitag vor Wiesnstart parkt er sein Auto und bewegt es 16 Tage lang nicht mehr vom Fleck. Dafür packen er und seine Frau die Koffer und fahren zum Flughafen. Sie machen Urlaub von der Wiesn-Höllehöllehölle.

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