Im Fernsehen:Der Feind, das Volk

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Forderte die Geheimdienste auf, die Organisatoren von Protesten "zu isolieren": DDR-Staatschef Erich Honecker.

(Foto: Klaus Franke/dpa)

1989 ordnete DDR-Staatschef Erich Honecker an, der Geheimdienst solle die Organisatoren von Demos "isolieren". Was damit gemeint war, beschreibt nun eine Doku über den perfiden Geheimplan der Stasi.

Von Joachim Käppner

1981, als Polens kommunistische Partei das Kriegsrecht ausrief, Panzer losschickte und die Protestbewegung Solidarność brutal unterdrückte, sahen einige Beobachter aus Ostberlin interessiert zu. Die Staatssicherheit hatte ihre Fachleute geschickt, um sich ein Bild von praktischer Gewaltanwendung gegen das eigene Volk zu machen, sollte einmal Bedarf entstehen. Theoretisch freilich hatte die Staatspartei SED bereits alles vorbereiten lassen: Nach dem "Vorbeugekomplex" der Stasi sollten im Fall einer inneren Krise etwa 85 000 DDR-Bürger in Isolationshaft genommen werden: "Die Aktion ist schlagartig und konspirativ durchzuführen", so die Dienstanweisung für die "Direktive 1/67".

Der Film ist ein Gegengift gegen die gelegentliche Ostalgie

Nichts anderes meinte Erich Honecker 1989, als der erste Mann des Staats- und Parteiapparates nach Beginn der Bürgerproteste seinen Geheimdienst aufforderte, die Organisatoren "zu isolieren". Die Stasi nahm dann im turbulenten Herbst der friedlichen Revolution zwar etliche Menschen fest. Doch zur vollen Anwendung kam der "Vorbeugekomplex" nicht mehr, weil die kommunistischen Diktaturen Osteuropas von den Ereignissen überrollt wurden und das SED-Regime jäh in sich zusammenbrach. Ohne militärische Hilfe aus Moskau gab es keine Aussicht, sich durch Gewalt zu retten.

Unter dem Titel Honeckers unheimlicher Plan geht der Dokumentarfilm von Katharina und Konrad Herrmann dem geheimen Vorhaben eines kontrollsüchtigen Staates nach, seine Bürger zu Zehntausenden wegzusperren. Zusätzliche Akten mussten angelegt, viele Tausend potenzielle Opfer bespitzelt und in Kategorien angeblicher Gefährlichkeit eingeordnet werden. Die Stasi erstellte präzise Einsatzpläne und suchte das eingemauerte Land nach geeigneten Objekten ab, um so viele Menschen lange Zeit zu "isolieren". Wie lange, blieb offen. Eine Höchstdauer der Haft war nicht vorgesehen, dafür mit deutscher Gründlichkeit die nötigen Mengen an Stacheldraht, Drahtsperren und Nägeln.

Als sehr geeignet erachtete die Stasi mittelalterliche Burgen. In SED-typischer Logik wurde der Sinn der alten Symbole des Feudalismus, nämlich Feinde und aufsässige Untertanen nicht hereinzulassen, nun in sein Gegenteil verkehrt: Wer innerhalb der alten Mauern und Bastionen einsitzen würde, sollte nicht mehr hinausdürfen.

Der "Vorbeugekomplex" ist schon durch Historiker und die Stasi-Unterlagenbehörde untersucht worden, daher bietet der Film keine großen zeitgeschichtlichen Entdeckungen. Aber das ist auch nicht der Anspruch. Er macht sehr eindringlich deutlich, welch inhumane Eigendynamik eine Diktatur entwickelt. Wie sie Terror meint, wenn sie von Schutz spricht; wie sie überall "den Gegner" am Werk sieht, wenn sie in Wahrheit Kirchenleute, Bürgerrechtler, Intellektuelle, Ausreisewillige, Umweltschützer einsperren will, denen sie besser zugehört hätte, statt sie zu dämonisieren. Einige von ihnen kommen ausführlich zu Wort, noch heute ein wenig ungläubig darüber, was die Partei mit ihnen vorhatte. Auf der Gegenseite sagt ein ehemaliger Sicherheitsexperte beim SED-Zentralkomitee bemerkenswert einsichtig, wie die Diktatur sein Denken manipulierte: "Es war nicht daran zu denken, das infrage zu stellen - bis es zu spät war."

Es ist ein guter, aufklärerischer, unideologischer Film, der all das auf den Punkt bringt, was Unfreiheit bedeutet, ein Gegengift gegen gelegentliche Ostalgie und den modischen Geist, der die Errungenschaften der Freiheit so gering schätzt. Der "Vorbeugekomplex" war ein Plan für den Krieg, einen Krieg ohne feindliche Armeen. Der Feind war das eigene Volk.

Honeckers unheimlicher Plan, ARD, 23.30 Uhr.

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