Frauen in der Wissenschaft:Warten auf ein Zeichen aus Stockholm

Frauen in der Wissenschaft: Die bislang letzte Physik-Nobelpreisträgerin: die deutsch-amerikanische Physikerin Maria Goeppert-Mayer bei der Ehrung im Jahr 1963

Die bislang letzte Physik-Nobelpreisträgerin: die deutsch-amerikanische Physikerin Maria Goeppert-Mayer bei der Ehrung im Jahr 1963

(Foto: AP)

Nur drei Prozent aller Nobelpreise in Physik, Chemie und Medizin gehen an Frauen. Gleichzeitig fehlt den Naturwissenschaften weiblicher Nachwuchs. Doch positive Signale fehlen.

Kommentar von Patrick Illinger

Während in der Wirtschaftwelt diskutiert wird, ob eine angepeilte Frauenquote von 30 Prozent in Vorständen und Aufsichtsräten nicht noch zu gering sei, betreiben Naturwissenschaftler diese Debatte auf noch deutlich niedrigerem Niveau: Dort wird endlich hinterfragt, ob eine Frauenquote von drei Prozent noch zeitgemäß ist.

Drei Prozent. So absurd niedrig liegt die Rate der Nobelpreisträgerinnen der Disziplinen Physik, Chemie und Medizin. Zuletzt ist vor mehr als 50 Jahren eine Physikerin ausgezeichnet worden, davor gab es seit der Preisstiftung genau eine weitere. In Chemie sind es insgesamt vier Preisträgerinnen. In der Sparte Physiologie oder Medizin, wo meist Biochemie-Themen gewürdigt werden, gab es zwölf Laureatinnen, immerhin vier in den vergangenen zehn Jahren. Ein Trend zur Besserung ist, anders als gelegentlich behauptet wird, in keinem der Fächer in Sicht.

Derlei Frauenanteile wirken noch weniger zeitgemäß als das enorme Durchschnittsalter der Preisträger und die geografische Massierung in den Industrienationen, vor allem den USA. Alle diese Ungleichgewichte wollen die Nobelpreisgremien, die Schwedische Akademie der Wissenschaften (Physik, Chemie) und die Nobelversammlung des Karolinska-Instituts (Medizin) nach eigenem Bekunden ändern.

Nobels Testament wird längst nicht mehr geachtet

Das ist zweifellos eine zu begrüßende Absichtserklärung, die sich im Moment darauf beschränkt, im Nominierungsprozess einige Nuancen zu ändern. Doch prompt wirken die aus anderen Genderdebatten bekannten Beharrungskräfte: Um Gottes willen, sollen fortan nicht mehr wissenschaftliche Verdienste zählen, sondern Geschlecht, Alter und Herkunft? Der Vorschlag, beispielsweise im kommenden Jahr als Signal an junge Naturwissenschaftlerinnen ausnahmsweise ausschließlich Frauen zu prämieren, gilt vielen als Frevel an einer fast schon sakralen Institution. Das sei eine Missachtung von Alfred Nobels Testament, heißt es in den Empörungstiraden der sozialen Netzwerke und hohen wissenschaftlichen Kreisen.

Doch solche Argumente gehen ins Leere, denn der letzte Wille des Preisstifters wird schon seit langer Zeit nicht mehr befolgt. Er verfügte, den Preis an jene zu vergeben, die im vorangegangenen Jahr den wichtigsten Beitrag zu ihrem Fach geleistet haben. In der Realität sind die prämierten Forschungsarbeiten meist Jahrzehnte alt. Der Grund hierfür ist klar: Hauptanliegen der Nobelstiftung ist es, das Renommee des altehrwürdigen Preises bloß nicht zu beschädigen, etwa indem sich ein Preisträger im Nachhinein als unwürdig erweist.

Männlicher Preis

Die Post aus Schweden soll in diesem Monat Tausende von Forscher weltweit erreichen. Absender wird unter anderen die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften sein, mit einer expliziten Aufforderung: Bei der Nominierung der Kandidaten für die Nobelpreise des Jahres 2019 in Chemie und Physik möglichst diverse Vorschläge zu machen - in Hinblick auf das Geschlecht der Wissenschaftler, deren Herkunft und natürlich die Thematik ihrer Arbeit.

Die Akademie reagiert damit auf die langjährige Kritik, mit dem Nobelpreis vor allem die Arbeit weißer Männer aus wohlhabenden, westlichen Ländern zu ehren. Seit Beginn der Verleihung im Jahr 1901 hat die Akademie gemeinsam mit dem Karolinska-Institut insgesamt 605 Nobelpreise in Chemie, Physik und Medizin verliehen. Nur 18 mal wurde der Preis an Frauen vergeben, am häufigsten im Bereich Medizin. Seit 1961 waren in der Chemie nur zwei Preisträgerinnen dabei, in der Physik sogar nur eine. "Wir brauchen die wissenschaftliche Gemeinschaft, um die Forscherinnen zu sehen und diejenigen zu nominieren, die herausragende Beiträge geleistet haben", erklärt daher Göran Hansson, Generalsekretär der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften aktuell im Fachblatt Nature.

Immerhin hat die Akademie über ihre zuständigen Komitees bereits die Anzahl jener Frauen auf etwa ein Viertel erhöht, die Kandidaten nominieren können. Damit soll vermieden werden, dass herausragende Forscherinnen übersehen werden. Curt Rice, Präsident der Oslo Metropolitan University, hat jedoch einen viel radikaleren Vorschlag: Auf den Shortlists für die großen Preise sollten ebenso viele Männer wie Frauen stehen, schlägt Rice vor. Oder die Königliche Akademie könnte beschließen, in einem Jahr einfach alle Preise nur an Frauen zu vergeben. Vorschläge, die sich wohl eher nicht durchsetzen dürften. (AVIC)

Fatales Zeichen an den weiblichen Nachwuchs

Es gebe unter Top-Wissenschaftlern eben deutlich weniger Frauen als Männer, ist ein weiteres Argument der Beharrlichen. Eines, mit dem sich auch die Nobel-Stiftung herausredet: Schon unter den eingereichten Nominierungen seien zu wenige Frauen, sagt deren Vize-Chef, Göran Hansson. Das mag zum Teil stimmen, in der Biochemie etwas weniger als in den "harten" Naturwissenschaften. Aber hier befördert das eine das andere: Wenn fast nur alte, weiße, westliche Männer höchsten Ruhm in den Naturwissenschaften erlangen, werden junge Frauen, egal aus welchen Erdteilen sich kaum für diese Fächer interessieren.

Welche wohltuende Wirkung ein positives role model, wie man heute sagt, haben kann, zeigte sich, als 2014 die Iranerin Maryam Mirzakhani als erste Frau überhaupt die Fields-Medaille erhielt, die höchste Auszeichnung der Mathematik. Es war auch in dieser Disziplin eine krasse Ausnahme. Aber es war ein Weckruf für viele junge schlaue Frauen. Ein ähnliches Signal der Gremien in Stockholm täte gut. Alfred Nobel wird deshalb nicht im Grabe rotieren.

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