Bürgerbeteiligung:Verschwörungstheorie und Doktorarbeit

Fernsehen oder Netzfilmchen? Der Rundfunkstaatsvertrag regelt das längst nicht mehr zeitgemäß. Deshalb sollten sich Bürger online zu einem neuen Entwurf äußern. Jetzt wurden die Antworten ausgewertet.

Von Benedikt Frank

Fernsehen oder nicht Fernsehen? Seit etwa zehn Jahren ist das Internet ausreichend schnell für Videos. Seither stellt sich die Frage, ob das, was im Netz passiert, nicht so etwas Ähnliches ist wie das Fernsehen. Die Antwort wäre dann eine Sache des Rundfunkstaatsvertrags, weshalb man ständig an seinen Paragrafen herumoperiert - ohne zu einer Antwort zu kommen, die nicht doch deutlich aus der alten TV-Zeit stammt. Die neuste Idee der Rundfunkkommission der Länder zur Novellierung des Staatsvertrags: Eine Online-Bürgerbeteiligung. So soll gemeinsam mit jedem, der sich einbringen mag, ein zeitgemäßer Medienstaatsvertrag entstehen. Erste Ergebnisse liegen nun vor.

Grundlage war ein Entwurf des neuen Staatsvertrags. Neben der Frage nach dem Rundfunkbegriff handelt dieser von weiteren Themen. Es geht zum Beispiel um sogenannte Intermediäre wie Google oder Facebook, die Medieninhalte von Dritten vermitteln, und um Plattformen, die Rundfunk und Rundfunkähnliches bündeln. Kurz: Es geht um abstrakte Begriffsdefinitionen, um sehr spezielle Themen für Medienrechtler. Trotzdem gab es seit Ende Juli bis Eingabestopp am Sonntag knapp 1200 Zuschriften. Einige Institutionen äußerten sich auch öffentlich.

Die Leute reichten gute Ideen, Verschwörungstheorien und Konzertwünsche ein

Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) etwa zeigte sich verwundert darüber, dass ihr Thema Vielfaltssicherung im neuen Entwurf nicht zu finden ist. Der Privat-TV-Verband Vaunet begrüßte den Entwurf. Der Elektroindustrieverband ZVEI merkte an, dass Hersteller von Smart-TV-Geräten nicht wie vorgesehen die Apps klassischer TV-Anbieter bevorzugen sollen. Doch es gab auch weniger seriöse Zuschriften und Verschwörungstheorien. In ihren irrsten Wirrungen behaupteten diese, die Chemnitz-Debatte sei nur lanciert, um davon abzulenken, dass der neue Staatsvertrag Zensur einführen wolle. Er zwinge kritische Webseiten und Youtube-Kanäle, eine Rundfunklizenz zu beantragen. Das Gegenteil ist richtig: Jetzt schon braucht eine Lizenz nur, wer live sendet. In Zukunft sollen Streamer, die zu wenige Leute erreichen oder zu banale Inhalte zeigen, keine Lizenz mehr benötigen. Missverständnisse waren aber auch bei interessierten Laien absehbar, da Vorlage in komplizierter Fachsprache erklärt wurde.

Wie viele der Rückmeldungen sind also konstruktiv? SPD-Staatssekretärin Heike Raab, die für Rheinland-Pfalz die Rundfunkkommission koordiniert, nannte auf Nachfrage erste Zahlen. Von den knapp 1200 Eingaben handeln 779 von den zur Diskussion gestellten Änderungen. Ein Drittel (389) äußerte sich zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, darunter Wünsche nach mehr Live-Klassikkonzerten bis Kritik am Rundfunkbeitrag - alles sachfremd und teils falsch adressiert. Zu Intermediären (157) und der Plattformregulierung (161) äußerten sich erwartungsgemäß weniger Menschen als zum Rundfunkbegriff (461). Letzteres ist der großen Streaming-Szene geschuldet.

"Die meisten Rückmeldungen sind sinnvoll", schätzt Heike Raab die Qualität der Eingaben ein: "Diffamierende Kommentare gab es auch, aber in einer geringen Anzahl." Zwischen umgangssprachlichen Äußerungen und Beinahe-Doktorarbeiten gebe es alles. Ein Teil soll noch im Oktober online gestellt werden. Jetzt gehen die Vorschläge an die zuständigen Bundesländer. Die Rundfunkkommission wird sich erst 2019 wieder mit dem Thema beschäftigen.

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