Klaus Müller zum Diesel-Gipfel:"Die Autoindustrie tanzt der Politik auf der Nase herum"

Klaus Müller, Deutschlands oberster Verbraucherschützer

Klaus Müller ist seit 2014 Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands.

(Foto: Corinna Guthknecht)

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller hält die Umtauschprämie für einen Marketinggag - und wundert sich, dass sich die Kanzlerin das Vorgehen der Industrie gefallen lässt.

Interview von Thomas Fromm und Thomas Öchsner

Was bringt das Diesel-Paket der Bundesregierung? Nicht viel, sagt der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller. Im Gegenteil: Es wirke wie ein Sonderkonjunkturprogramm für VW und Co. Viel verspricht er sich hingegen von der Musterklage des Verbandes gegen Volkswagen.

SZ: Herr Müller, ist das Paket, auf das sich die Bundesregierung geeinigt hat, die Lösung?

Klaus Müller: Für die Verbraucher ist überhaupt nichts gewonnen, solange es keine eindeutigen und verlässlichen Lösungen gibt. Die Regierung hat aber nur ein Wunschpaket vorgelegt, das Vorschläge und Erwartungen an die Automobilindustrie auflistet. Das ist keine Lösung für das reale Problem der Verbraucherinnen und Verbraucher: Sie haben ein angeblich umweltfreundliches Auto gekauft, jetzt drohen Fahrverbote und Wertverluste. Von den gesundheitsschädlichen Schadstoffen in der Luft mal ganz abgesehen. Grundsätzlich kann ein Maßnahmenpaket aus Sonderrabatten und Nachrüstungen sinnvoll sein, um Fahrverbote zu vermeiden. Aber die Autoindustrie tanzt der Politik auf der Nase herum und ignoriert die Vereinbarung des Koalitionsausschusses. Das kann sich die Kanzlerin und ihre Koalition nicht gefallen lassen. Leider räumt auch der Verkehrsminister ein, dass bei der Hardware-Nachrüstung noch Gespräche auf der technischen und finanziellen Seite geführt werden müssten. Wir hatten gehofft, dass die Nachtsitzung genau solche Klärung bringt.

Es wird wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass Dieselkunden mehrere Tausend Euro für ältere Wagen der Normen Euro 4 und Euro 5 bekommen werden, wenn sie ein neues Auto kaufen. Ist eine "Umtauschprämie" aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Erst einmal stört mich der Begriff "Umtauschprämie", so wie er gerade im politischen Berlin und bei Autoherstellern verwendet wird. Der Begriff klingt sympathisch, aber er ist irreführend und im Endeffekt ein Marketinggag von Volkswagen, Daimler und dem Bundesverkehrsminister Scheuer. Denn tatsächlich wird hier gar nichts umgetauscht.

Sondern?

Es handelt sich um die Inzahlungnahme eines Autos, wenn Sie dafür ein neues Auto kaufen. Kunden müssen also viel Geld in die Hand nehmen, um ein neues Auto zu kaufen - und ihren alten Diesel, der ihnen unter falschen Versprechungen verkauft wurde, wieder loszuwerden. Das ist nichts anderes als eine Rabattaktion, ein Sonderkonjunkturprogramm für VW und Co.

Aber immerhin können Dieselkunden damit nun günstiger Neuwagen erwerben.

Für einen Teil der Bevölkerung wird es eine super Lösung sein. Viele andere aber können sich einen Neuwagen für 20.000 oder 30.000 Euro schlicht nicht leisten, auch wenn der dann wegen des Rabatts ein paar Tausend Euro weniger kostet.

Zuletzt war auch von Nachrüstungen älterer Fahrzeuge die Rede. Im Gespräch ist eine Art "Gutscheinsystem" für Fahrer vor allem von Diesel-5-Wagen. Dabei könnten die Hersteller bis zu 80 Prozent der anfallenden Kosten übernehmen. Eine gute Idee?

Grundsätzlich ja. Es gibt aus Sicht des Verbraucherschutzes aber kein Argument für eine 80-Prozent-Lösung. Wenn es Nachrüstungen gibt, muss die Industrie 100 Prozent der Kosten übernehmen. Und bei den Fahrzeugen, die sich technisch nicht mehr nachrüsten lassen, müssten die Autohersteller die Autos zum Gebrauchswert plus 20 Prozent Entschädigungsaufschlag zurücknehmen. Das funktioniert in den USA, warum soll das nicht auch in Deutschland gehen?

Nicht nur große Anwaltskanzleien klagen gegen Volkswagen - auch Ihr Verbraucherzentrale Bundesverband plant eine Musterfeststellungsklage gegen VW. Wie weit sind Sie damit?

Wir werden unsere Klage am 1. November einreichen - dem Tag, an dem das Gesetz in Kraft tritt, das diese neue Klageform möglich macht. Wir kooperieren dabei mit dem ADAC, der insbesondere technische Expertise liefert. Betroffene Fahrzeugkäufer können sich unserer Klage anschließen, auch wenn sie das Auto schon verkauft haben. Nötig ist dafür nur ein Eintrag in das Klageregister, das das Bundesamt für Justiz hoffentlich noch im November eröffnen wird. Das hat zwei große Vorteile: Wer sich einträgt, profitiert im besten Fall von einem positiven Urteil und die Verjährung seiner Ansprüche ist gehemmt- und das kostenlos. Das Risiko zu verlieren und mit hohen Kosten zurückzubleiben, liegt allein bei unserem Verband.

Wie viele Kunden werden sich Ihnen anschließen?

Das Potenzial der betroffenen Kunden beläuft sich auf mindestens zwei Millionen. Alle Käufer, die sich bislang gegen eine eigene Klage entschieden haben, können nur hinzugewinnen. Wenn sie nichts tun, kriegen sie auch nichts und ihre Ansprüche verjähren irgendwann. Ich hoffe, dass sich mehrere zehntausend unserer Musterklage anschließen.

Wie geht es dann weiter?

Bei Musterfeststellungsklagen, ein Verfahren, das in Deutschland zum 1. November neu eingeführt wird, wird eine Instanz übersprungen. Es geht gleich zum Oberlandesgericht, in diesem Fall in Braunschweig. Egal wie das OLG entscheidet, der Verlierer wird wahrscheinlich zum Bundesgerichtshof ziehen. Also kann es bis zu einer endgültigen Entscheidung fünf Jahre dauern.

Dann habe ich als geprellter VW-Fahrer aber immer noch kein Geld.

Richtig, aber dann liegt ein höchstrichterliches Urteil für alle vor, aus dem hoffentlich klar hervorgeht, dass Volkswagen betrogen hat. In diesem Fall kann der Konzern dann entweder einlenken und nach einem Vergleich die Kunden entschädigen oder sich stur stellen. Dann muss jeder Kunde einzeln vor Gericht noch die Höhe seiner Entschädigung einklagen.

Das dürfte für bestimmte Rechtsanwaltskanzleien ein einträchtiges Geschäft werden.

Ja, das ist für die wie ein Elfmeter ohne Torwart.

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