Porträt: Schauspielerin Nadja Uhl:Die Frau mit dem ungewissen Etwas

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Sie ist charmant, witzig und sieht fantastisch aus. Intelligent ist sie auch noch. Und spielen kann sie - alles. Die Schauspielerin Nadja Uhl gilt inzwischen als eine der Besten des deutschen Films - jetzt steht sie auf einer neuen Bühne.

Christopher Keil

Das Varieté Walhalla in Potsdam ist vermutlich ein guter Ort. Vor der Eingangstür stehen ein Bauwagen, ein Toilettenhäuschen, und auf dem Kopfsteinpflaster dazwischen liegen Geräte und Materialien. Immer wieder kommen und gehen junge Männer in Handwerkskleidung. Einer von ihnen, der ist nicht mehr ganz so jung, fragt nach einem Autoschlüssel. Die Schauspielerin Nadja Uhl antwortet, sie wisse auch nicht, wo Kay den wieder mal hinterlegt habe: ¸¸Aber, du kannst meinen haben."

"Es ist ja nicht so, dass ich immer alles bin. (Foto: Foto: dpa)

Vor einem Jahr wurden Bühne und Kneipe des Varietés eröffnet. Beides liegt im Untergeschoss eines 270 Jahre alten Barockhauses und ist von straffällig gewordenen Jugendlichen mit alten Baustoffen renoviert worden. Am internationalen Gästehaus darüber wird noch gewerkelt. Es gab schon Lesungen. Und es gab Liederstunden wie den Marlene-Dietrich-Abend, an dem alle im engen Saal vorm Kamin mitgesungen haben.

Das sei ein besonderer Moment der Gemeinschaft gewesen, sagt Nadja Uhl. In den ersten Wochen des Jahres war sie bereits in zwei Filmen zu sehen: Der eine, Sommer vorm Balkon (Kino), wurde gerade mit dem Ernst-Lubitsch-Preis ausgezeichnet. Der andere, Dörnröschen erwacht, interessierte in der ARD fast sechs Millionen Zuschauer. Am Wochenende tritt sie nun im mit acht Millionen Euro fabrizierten, teuersten TV-Movie des privaten Fernsehens auf, in der Sturmflut von RTL. Mit dieser Werkschau - von Arthouse bis Mainstream - hat sich Nadja Uhl als eine der besten deutschen Schauspielerinnen etabliert.

Über Gemeinschaft spricht sie an diesem Abend häufiger. Auch über Familie und Generationen. Und über das Varieté, das eine wichtige Bühne für sie geworden ist. Ihr Freund Kay, der Mann mit dem Autoschlüssel, organisiert die Kultur und den offenen Strafvollzug als Geschäftsführer eines Vereins, der Maulwurf heißt. Soziale Maulwurfsarbeit, sagt Nadja Uhl, sei gesellschaftlich noch nicht so anerkannt. So anerkannt wie ihre in den Medien ausgestellte Arbeit. Auch deshalb hat sie jetzt die Rolle einer Geschichtenerzählerin übernommen. Sie nennt sich: ¸¸Das Aushängeschild".

Gerne erzählt sie die Geschichte von den Ziegeln, die Kay und seine Leute Stück für Stück aus einem Abrisshaus geschlagen haben, die sie zerteilten und als Fußboden im Varieté neu auslegten. Ihre Art ist es dabei, diese Geschichten so zu erzählen, dass nicht der Eindruck einer 35-jährigen Frau entsteht, die ihren Beruf, ihre Bedeutung und ihr Einkommen unbedingt in ein moralisch korrektes Verhältnis setzen möchte.

Das liegt daran, dass Geschichten über die Walhalla mit den Geschichten über ihre Filme zusammenfließen und den gleichen Klang haben. Einen privaten, alltäglichen Klang. Sie glaubt: ¸¸Es nützt nichts, nur Schutzdämme aufzubauen. Wir würden nichts mehr voneinander erfahren. Also teile ich mich bis zu einem gewissen Grad mit."

Privates ist bei ihr manchmal ungewöhnlich öffentlich. Wobei sie gar nicht so oft öffentlich erscheint.

Beispielsweise sagt sie, dass ein menschlicher Verlust ¸¸eine mittlere Katastrophe" für sie sei. Dabei fällt ihr dann ihre Figur Tatjana ein aus der von Volker Schlöndorff inszenierten Milieustudie Die Stille nach dem Schuss. Tatjana ist eine vom Sozialismus desillusionierte Fabrikarbeiterin. Glück findet sie in der Freundschaft zur neuen Kollegin Susanne. Susanne, eine in der DDR untergetauchte Terroristin, muss fliehen, weil ihre wahre Identität entdeckt wird. Tatjana bleibt zurück. Mit zu viel Wodka. Und mit zu viel Verlust. Für die Darstellung hat Nadja Uhl bei der Berlinale 2000 einen Silbernen Bären bekommen. Seither spielte sie die brave Frau eines Steigers, einen von ihrer Schwester getrennten Zwilling, eine BKA-Polizistin, eine Berliner Altenpflegerin, eine Komapatientin und die Mutter ihres Kollegen Michael Degen, dessen Biografie vergangenen Dezember abgedreht wurde.

Nadja Uhl ist wandlungsfähig. Das wird von vielen behauptet. Sie ist es. Sie ist es, weil sie in den unterschiedlichen Rollen vor allem die Figuren behauptet. Das ist nicht glamourös, aber glänzend. Die Filme sind dramatisch oder komödiantisch, kühl oder emotional. Mal bilden sie kleine Lebenswelten ab, mal Zeitgeschichte wie das Grubenunglück in Lengede oder die Hamburger Sturmflut. Der niederländische Beitrag Die Zwillinge war 2004 für den Oscar nominiert.

Der RTL-Zweiteiler Die Sturmflut basiert auf der Hamburger Naturkatastrophe von 1962. Auch die Drehtage in der wassergefüllten Kulisse an kalten Frühjahrstagen waren eine Herausforderung. Nadja Uhl wusste nicht, als sie ihre Teilnahme zusagte, dass das Unternehmen Teamworx, der Produzent, gleichzeitig an drei Zweiteilern von identischer Dramaturgie bastelte. Das schon bei Sat 1 ausgestrahlte Melodram Die Luftbrücke und der beim ZDF für Anfang März angekündigte Antikriegsfilm Dresden zeigen wie die Sturmflut eine Frau zwischen zwei Männern, die sich an historischen Schicksalstagen bewähren muss.

Das könnte einer Schauspielerin einerseits natürlich egal sein, weil das Angebot so gut war. Andererseits steckt in der Nähe der Stoffe ein Wahrnehmungskonflikt. Die drei Event-Programme werden innerhalb von 13 Wochen präsentiert. Nadja Uhl sagt: ¸¸Ich habe nicht das Talent, mich nach allen Seiten abzusichern. Das würde mir zu viel Energie rauben."

Sie hat das Talent, sich zu sorgen. Im italienischen Restaurant, einen Hinterhof vom Varieté Walhalla entfernt, sorgt sie sich um neun Hundewelpen, die sie zu Hause hütet. Sie sieht nicht so aus wie die Frauen, die sie spielt. Sie trägt eine Jeans, einen schwarzen Rollkragenpullover, darüber ein T-Shirt, darüber ein schwarzes Trägerkleid. Ihre Haare sind nicht so blond, ihre Augen nicht so blau. Nach Nike oder Katja, den Frauen aus Sommer vorm Balkon und Die Sturmflut, würde man sich umdrehen. Sie entdeckt man. Oder geht vorbei. Das amüsiert sie. Sie wird entdeckt. Sie redet über Masken und Perücken. Darüber, wie sie mit Kostümbildnerinnen Frauen erfindet. Frauen, die sich die Fingernägel rot lackieren, wobei die roten Fingernägel immer ein wenig abgekaut sein sollen. Das sind Frauen wie die Altenpflegerin Nike, die Tanga tragen. Die dem Kummer Wein zu bieten haben. Die proletarisiert und mit Herz und Würde auf der Suche nach Liebe sind. Den Tanga nahm sie später mit. Wer, hatte die Maskenbildnerin gemeint, solle den noch tragen?

Nadja Uhl mag Nike. ¸¸Doch Nike", sagt sie, ¸¸ist mir sicher nicht am nahesten." Nike spricht Berliner Dialekt, Nadja Uhl auch. Sie überlegt, wie wichtig Dialekt für die Beurteilung einer Person ist. ¸¸Es gibt Leute, die sprechen Berliner Dialekt und sind gebildet. Dialekt ist nicht durch Stände definiert." Ihr Dialekt sagt nichts über sie aus? Sie sagt: ¸¸Es ist ja nicht so, dass ich immer alles bin." Natürlich. Aber der Dialekt liegt ihr.

Nadja Uhl hat in Leipzig Schauspiel studiert. Sie wuchs in Stralsund auf, in einer Großfamilie, aber ohne Vater. Der Vater ging, als sie zwei Jahre alt war. Sie kennt ihn nicht. Sie fragt: ¸¸Auf wie viele Menschen in Deutschland trifft so etwas zu? Deswegen ist das nicht ein großes Geheimnis." Sie zitiert Jean-Paul Sartre: ¸¸Die Hölle, das sind die anderen." Sie sagt: ¸¸Dass der Vater nicht da war und deshalb die Familie so wichtig wurde, ist ausschlaggebend für ein ganzes Leben."

In Italien und Spanien geht es ihr ¸¸seelisch" gut, ¸¸weil die Menschen dort eine Art Erlaubnis zur Kindlichkeit besitzen". Es gibt Gespräche, in denen sie es tröstlich findet, nicht allein zu sein mit Schwächen. In denen sie erleichtert ist darüber, anderen mitzuteilen, dass ihr Leben nicht nur Erfolge kennt. Sie hat Angst, sich zu langweilen. Sie findet es wichtig, ¸¸umeinander zu kämpfen". Sie fordert Ernsthaftigkeit ein und Humor.

Nadja Uhl hat als Schauspielerin bestimmt eine Menge anzubieten. Darin könnte ein Problem liegen, auf jeden Fall liegt darin große Qualität.

Vor drei Monaten hat sie mit Freunden eine Villa überm Potsdamer Jungfernsee gekauft. Wie sich das anhöre. Jedenfalls nach viel mehr, als es sei. Die Villa ist verrottet und gehörte einmal einem jüdischen Bankier. Sie hat 80 Zimmer. Eine Art-déco-Turnhalle und ein seltenes Tropenholz-Arabicum. Niemand wollte den Prachtbau erwerben. In den kommenden Jahren soll er Zimmer für Zimmer in ein Generationenhaus verwandelt werden: für Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Tanten, Onkel. Ein guter Ort.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.39, Donnerstag, den 16. Februar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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