Oide Wiesn:Wenn selbst die Bedienung tanzt

Oide Wiesn: Die Hände zum Himmel, aber ohne Wiesnhits: die Band Attwenger im Herzkasperlzelt auf der Oiden Wiesn.

Die Hände zum Himmel, aber ohne Wiesnhits: die Band Attwenger im Herzkasperlzelt auf der Oiden Wiesn.

(Foto: Florian Peljak)

Kein "Cordula Grün", kein "Hulapalu": Im Herzkasperlzelt wird statt der Wiesn-üblichen Schlagermusik eine Volksmusik fernab aller volkstümlichen Moden gefeiert. Eine Liebeserklärung.

Von Dirk Wagner

Es ist nur eine kleine Weißwurst. Dafür eine besonders edle. Als strahlend weiße Brosche ziert sie den Kimono des in München lebenden japanischen Künstlers Toshio Kusaba, der an diesem sonnigen Sonntagmittag an der Krinoline steht, einem der dienstältesten Fahrgestelle auf dem Oktoberfest. Er lauscht dort der Musik der Landlergschwister, die die Karussellfahrt live begleiten - auf Blasinstrumenten, Akkordeon, Pauke, E-Gitarre und Banjo.

Eigentlich wollte Kusaba mit der Münchner Combo den Welt-Hit "La Paloma" auf japanisch singen. Doch er kam zu spät. Also wird sein Gastauftritt bei den Landlergschwistern auf den nächsten Sonntag vertagt, wenn die Band um Andreas Staebler das diesjährige Kulturprogramm im Herzkasperlzelt auf der Oiden Wiesn schließt. Ein Kulturprogramm, das statt der Wiesn-üblichen Schlagermusik eine neue und alte Volksmusik fernab aller volkstümlichen Moden ebenso zelebriert wie so manche Jazz- und Pop-Errungenschaft aus Bayern. Gefördert wurden all diese Auftritte anfangs von der Richard- Stury-Stiftung, mittlerweile trägt sich das Programm alleine. Hier kann man Konzerte gratis genießen, für die man andernorts Eintritt zahlen müsste.

Auf der Oiden Wiesn trübt kein "Cordula Grün" und erst recht kein "Hulapalu" den Biergenuss im Festzelt. Stattdessen gibt es schon mal die Titelmelodie zum "Monaco Franze" zu hören, wobei das Monaco Swing Ensemble den Walzer schwungvoll in einen Gypsy-Swing verwandelt. Den Menschen im Bierzelt gefällt das. Einige tanzen. Über eine Internetseite habe man sich verabredet, sagt eine Studentin aus Salzburg, die mit ihrem Tanzpartner einen Tanz lang die Erdanziehungskraft negiert. David Fischer, Gitarrist des Monaco Swing Ensembles, genießt die ausgelassene Stimmung. "Als Jazz-Formation spielen wir gewöhnlich vor weniger Gästen in kleineren Clubs", sagt er.

Dass zu ihrer Musik überhaupt getanzt wird, sei eine der Erfahrungen, die sie erst im Herzkasperlzelt machten, erklärt auch die westfränkische Musikkabarettgruppe Gankino Cirkus. Gewöhnlich würden sie nur vor bestuhltem Publikum auftreten, das aufmerksam ihre witzigen Ansagen goutiert und beobachtet, wie der Schlagzeuger während des Spiels geradezu akrobatisch sein T-Shirt wechselt. Auf der Oiden Wiesn tanzt das Publikum dagegen wild zur Musik, diese Begeisterung treibt wiederum die Bands an, selbst das Personal wird hier ab und an zum Wechselschritt animiert.

Stehen auf den Bierbänken ist verboten

Dieses Tanzfieber unterscheidet das Herzkasperlzelt von den anderen Festzelten, in denen bestenfalls auf den Bierbänken stehend geschunkelt wird. Auf der Oiden Wiesn dagegen werden auch echte Paartänze getanzt, zur Swingmusik ebenso wie zur Volksmusik. Dafür ist das Stehen auf Bierbänken verboten - was den Ordnern im Herzkasperlzelt einige Kontrollgänge abverlangt, wenn etwa der Alphorn-geprägte Techno eines Loisach Marci das Zelt Kopf stehen lässt. Oder wenn sich Attwenger austobt und halsbrecherische Rhythmen mit Akkordeon und Schlagzeug spielt.

Vor allem das Abendprogramm wird im Herzkasperlzelt ungewöhnlich konzertant genossen. Da wird der Musik von Koflgschroa noch wertschätzend gelauscht - und der Auftritt von Fiva und der Jazzrausch Bigband wild gefeiert.

Es ist eine Art Abschiedskonzert. Im Oktober 2016 wurde die Rapperin erstmals von der Bigband auf der "Manic Street Parade" im Schlachthof begleitet. Zwei Jahre später endet die Zusammenarbeit vorerst auf einem mitreißendem Konzert im Herzkasperlzelt, das zugleich eine Liebeserklärung der Künstlerin an München ist, der Stadt also, die laut einem Song von Fiva nie Berlin war. Auf ihre Heimatstadt ist die Rapperin dieses Jahr besonders stolz, weil die Münchner sich derzeit so vorbildlich gegen Fremdenfeindlichkeiten und sonstigem Rechtsruck stemmen.

Der Beifall des Publikums bestätigt solche Positionierung. Und auch der Revolutionskasper, der mit roter Armbinde zum hundertsten Geburtstag des Freistaats im Herzkasperlzelt abgebildet ist, scheint zu lächeln. Denn letztlich profitiert auch dessen Programm von der Zuwanderung. Wenn zum Beispiel am Sonntag ein Japaner "La Paloma" auf japanisch singen wird. Mit einer Weißwurst als Brosche an seinem Kimono.

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