Arbeitslosigkeit:Berlin testet staatlich geschaffene Jobs als Alternative zu Hartz IV

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Michael Müller, Berlins Regierender Bürgermeister (SPD), will 1000 Jobs für Arbeitslose schaffen. (Foto: dpa)
  • Das Land Berlin will in einem Pilotversuch 1000 unbefristete und sozialversicherungspflichtige Stellen für Langzeitarbeitslose schaffen.
  • Der Senat nennt das "solidarische Grundeinkommen", es soll Menschen mehr Geld bringen als Hartz IV.

Von Hannah Beitzer und Henrike Roßbach, Berlin, Berlin

Etwa ein Jahr ist es inzwischen her, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), seine Idee eines solidarischen Grundeinkommens vorgestellt hat - als Alternative zu Hartz IV. Im Zuge der von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angestoßenen Armutsdebatte machte der Vorschlag Anfang des Jahres medial kurz Karriere, auch weil Hartz IV in Müllers SPD noch immer Trauma-Status hat und nicht wenige Genossen einen Schlussstrich herbei sehnen. Danach aber wurde es wieder stiller um die Idee. Nun aber soll sie Realität werden, allerdings vorerst nur in Berlin und auch dort lediglich als Pilotversuch.

Müllers Konzept ist nicht zu verwechseln mit dem eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das würde jeder Bürger bekommen, egal ob er arbeitet oder nicht. Stattdessen ist die zentrale Idee von Müllers solidarischem Grundeinkommens: Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit. Wer von Arbeitslosigkeit bedroht ist, soll vom Staat eine sinnvolle gesellschaftliche Tätigkeit angeboten bekommen, die zum Mindestlohn oder nach Tarif vergütet wird - eine "gesellschaftlich relevante Beschäftigungsperspektive" bieten, statt "Arbeitslosigkeit mit hohem Aufwand zu verwalten", nennt das der Senat in seinem entsprechenden Konzept.

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Die Teilnahme an dem Programm soll freiwillig sein. Geplant sind laut der Berliner Stadtregierung zunächst 1000 unbefristete und sozialversicherungspflichtige Stellen bei Kommunen, kommunalen Unternehmen und gemeinnützigen Trägern. Die Tätigkeiten sollen zusätzlich sein, damit sie keine reguläre Beschäftigung verdrängen. Außerdem muss es sich um Arbeitsplätze "im Bereich der erweiterten Daseinsvorsorge" handeln. Als Beispiele werden Service-Mitarbeiter in Bussen und Bahnen genannt, etwa als "Mobilitätsbegleiter". Auch ein Einkaufs- oder Besuchsservice für ältere Menschen wäre denkbar, ebenso einfache Unterstützungsleistungen in der Pflege oder die Mitarbeit in Vereinen, Kultureinrichtungen oder der Flüchtlingshilfe.

Einer Beispielrechnung des Senats nach käme ein Alleinstehender beim derzeit geltenden Berliner Landesmindestlohn und einer 39-Stunden-Woche mit solch einer Tätigkeit auf 234 Euro mehr im Monat als mit Hartz IV. Im Fall einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern wären es 322 Euro mehr. Besonders zu Buche schlägt in diesem Fall, dass auch das Kindergeld ausgezahlt würde - bei Hartz-IV-Empfängern wird es dagegen mit den Sozialleistungen verrechnet.

Auf Bundesebene waren die Reaktionen auf Müllers Konzept bislang eher verhalten gewesen - auch weil Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an einem eigenen Konzept saß, um Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sein "Teilhabechancengesetz", das einen langfristigen "sozialen Arbeitsmarkt" für Langzeitarbeitslose vorsieht, ist Mitte Juli vom Kabinett abgesegnet worden, es muss aber noch durch den Bundestag.

Der Bürgermeister will die neuen Jobs nicht befristen

Müller hat nun seinen Pilotversuch so konzipiert, dass er Heils Plänen nicht zuwiderläuft - sondern auf ihnen aufbaut. Das Konzept des Berliner Senats sieht vor, das geplante solidarische Grundeinkommen auch mit den Mitteln des Teilhabechancengesetzes zu finanzieren. Landeszuschüsse sollen noch hinzu kommen. Insgesamt will der Bund bis 2022 vier Milliarden Euro in seinen geplanten sozialen Arbeitsmarkt stecken; das Geld soll vor allem in Lohnkostenzuschüsse für neu geschaffene Jobs für jene fließen, die schon lange weg vom Arbeitsmarkt sind. Gedacht sind sie vor allem für Hartz-IV-Empfänger, die schon sieben Jahre oder länger ohne Arbeit sind. Die zweite Personengruppe sind jene, die zwei oder mehr Jahre lang arbeitslos sind, also noch nicht allzu lange vom höheren Arbeitslosengeld I in den Hartz-IV-Bezug gerutscht sind. Einen Teil dieses Geldes will Müller nun in die Hauptstadt umleiten.

Losgehen soll es im zweiten Quartal kommenden Jahres, also zwischen April und Juli. Bis Ende des laufenden Jahres sollen Arbeitsgruppen noch die Details ausarbeiten. Der wichtigste Unterschied zum sozialen Arbeitsmarkt, den der Bund auf den Weg bringen will: In Berlin soll es zunächst nicht um Jobs bei Firmen auf dem freien Markt gehen, sondern nur um staatliche Stellen. Arbeitsminister Heil dagegen will auch und gerade Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft bezuschussen. Zum anderen plant Müller keine Befristung, während Jobs auf dem künftigen sozialen Arbeitsmarkt spätestens nach fünf Jahren wieder auslaufen sollen und die 100-Prozent-Zuschüsse abgeschmolzen werden.

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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