Irak:Freundliche Übergabe

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Nur ein Tischchen passt zwischen sie: Haider al-Abadi (links) und sein Nachfolger Abdul Mahdi bei einem Treffen Mittwochnacht. (Foto: oh)

Der Machtwechsel in Bagdad verläuft harmonisch - zumindest dem äußeren Eindruck nach.

Von Moritz Baumstieger, München

Der erste Eindruck zählt, der letzte bleibt - sollte diese Weisheit Gültigkeit besitzen, haben Haider al-Abadi und Abdul Mahdi in der Nacht auf Donnerstag alles richtig gemacht: In goldverzierten Sesseln saßen sich der bisherige Premier des Irak und sein designierter Nachfolger gegenüber. Die beiden plauderten, zwischen ihnen schien nichts zu stehen außer dem kleinen Tischchen mit der in der arabischen Welt obligatorischen Box für Papiertüchlein. Al-Abadi gratulierte dem Konkurrenten und wünschte ihm Glück, Anschuldigungen und Verschwörungstheorien zur Erklärung seiner Niederlage ersparte er sich und seinem Land, für das eine derart freundliche Übergabe der Macht eine neue Erfahrung ist. Mahdi seinerseits dankte und lobte den Vorgänger.

Dass es beim Ringen um die Regierungsbildung im Irak hinter den Kulissen deutlich rauer zuging, darauf deutet schon die Zeitspanne hin, die von der Parlamentswahl bis zur Nominierung Mahdis verging: Im Mai stimmten die Iraker ab, bald wurden Manipulationsvorwürfe geäußert, das oberste Gericht kassierte die Ergebnisse einiger Provinzen und ordnete eine Neuauszählung an, schließlich brannte eine Halle der Wahlbehörde ab, in der Stimmzettel aus dem ganzen Land lagerten.

Neben dem Streit über die Ergebnisse der Wahl, die mit dem populistischen schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr einen Sieger hervorgebracht hatte, der Politik lieber aus dem Hintergrund lenkt, als selbst Posten zu übernehmen, erschwerte die Tradition der Post-Saddam-Ära die Regierungsbildung: ein Kurde wird Präsident, ein Schiit Premier und ein Sunnit Parlamentssprecher. Vor allem aber verhandeln bei der Posten-Schieberei von Bagdad immer auch eine Welt- und eine Regionalmacht mit, die sich im Moment feindlicher denn je gegenüberstehen: der einstige Besatzer USA und Nachbar Iran.

Das neue Team, das Irak führen soll, ist ein Ergebnis dieses Zwangs zu schwierigen Kompromissen: Abdul Mahdi gilt als kompetent und ausgleichend, ein Mann für den von vielen Irakern dringend gewünschten Neuanfang ist er mit seinen 76 Jahren aber keinesfalls. Das gleiche gilt für Iraks neuen Präsidenten Barham Salih, der am Dienstag gewählt wurde und Mahdi noch am gleichen Tag den Regierungsauftrag erteilte: Er ist mit 58 Jahren deutlich jünger, steht aber vor allem für Kontinuität.

Neben seinen eher repräsentativen Tätigkeiten als Präsident wird Salih sich an einer zumindest atmosphärischen Verbesserung der Beziehungen zwischen der Zentralregierung und der Autonomen Region Kurdistan versuchen - auf ein illegales Referendum zur Unabhängigkeit hatte Bagdad 2017 mit militärischer Macht geantwortet. Auf Mahdi kommen noch schwierigere Aufgaben zu, wenn er es schafft, binnen 30 Tagen ein Kabinett zusammenzustellen und vom Parlament vereidigt zu werden: Die Korruption und die Misswirtschaft haben solche Ausmaße erreicht, dass zuletzt wütende Bürger im Süden randalierten. In der Nordhälfte des Landes sind Städte vom Krieg gegen die Terrormiliz IS zerstört, der Aufbau geht nur schleppend voran, gleichzeitig schlagen immer wieder Schläferzellen der Islamisten zu.

Der neue Regierungschef ist von einer erstaunlichen ideologischen Flexibilität

Regierungserfahrung zumindest hat der designierte Premier - er diente seinem Land bereits als Finanzminister, Vizepräsident und unter Abadi auch als Ölminister. Wichtiger für seine Berufung dürfte aber seine erstaunliche ideologische Flexibilität sein, die seine gesamte Karriere durchzieht und die es sowohl Iran als auch den USA erlaubt, in ihm den richtigen Mann zu sehen: Als Jugendlicher trat Mahdi in die panarabisch orientierte Baath-Partei von Saddam Hussein ein, später wandelte er sich zunächst zum Maoisten, bevor er den politischen Islam für sich entdeckte: Im Teheraner Exil orientierte er sich am iranischen Revolutionsführer Ruhollah Khomeini und gründete den "Obersten Rat für eine islamische Revolution im Irak", der in der Heimat eine Theokratie nach iranischem Vorbild errichten wollte.

Weggefährten reklamieren jedoch, dass Mahdi im politischen Islam immer vor allem ein Mittel zum Sturz des Diktators Saddam Hussein sah, im Grunde aber säkular gesinnt sei. Als er 2005 schon einmal für das Amt des Premiers im Gespräch war, erteilte Mahdi dem höchsten schiitischen Geistlichen im Irak, Ayatollah Ali al-Sistani, eine Absage, als der nach einer stärkeren Rolle der Religion im Staat verlangte. Gleichzeitig blieb er Mitglied der Bewegung, die sich nun "Oberster Islamischer Rat" nannte und auf den Zusatz der "islamischen Revolution" verzichtete, aber weiter eng mit Teheran zusammenarbeitete. Wohlgesonnene Beobachter nennen Mahdi deshalb einen "Mann des Ausgleichs" - weniger freundliche einen "Opportunisten".

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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