Supreme Court:Wem der Streit um Kavanaugh nützt

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  • Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Senat wird der Protest auf den Seiten derer immer lauter, die Brett Kavanaugh nicht als Richter am Supreme Court haben wollen. Tausende gingen allein in Washington auf die Straße.
  • Aktuellen Umfragen zufolge ist eine Mehrheit der Amerikaner gegen eine Bestätigung Kavanaughs durch den Senat.
  • Der Protest auf Seiten der Demokraten könnte jedoch die Basis der Republikaner mobilisieren, in den Zwischenwahlen im November erst recht die Konservativen zu wählen.
  • Kavanaugh selbst bedauert in einem Beitrag für das Wall Street Journal seine emotionale Aussage vor dem Justizkommitee.

Von Alan Cassidy, Washington

Natürlich hatte sie es darauf ankommen lassen. Die Schauspielerin Amy Schumer war eine von 300 Demonstrantinnen, die am Donnerstag von der Polizei in einem Bürogebäude des US-Senates verhaftet wurden. In den vergangenen Wochen waren in Washington fast jeden Tag Protestierende aufgetaucht, aber so viele waren es bisher noch nie gewesen: 3000 Teilnehmer zählten die Organisatoren der gestrigen Kundgebung vor dem Kapitol.

Laut, bunt und wütend und waren sie am Donnerstag durch Washington gezogen. Sie starteten mitten im Regierungsviertel, sie sangen vor den Treppen des Obersten Gerichtshofs, sie zogen weiter zum Senatsgebäude. Ihre Botschaft war dabei nicht zu überhören - und im Fall der Studentin Linda ziemlich brachial. "Brett Kavanaugh ist ein Vergewaltiger, ein Lügner und ein schrecklicher Richter", sagte die junge Frau im pinken T-Shirt, die mit ihren Freundinnen vor dem Supreme Court stand. "Er ist ungeeignet für das Amt an unserem höchsten Gericht."

Die Kundgebung lief unter dem etwas pathetischen Motto "Tapferkeit ist ansteckend", und etwas pathetisch klang auch der Aufruf der Organisatoren, dem sich Dutzende Prominente aus dem Showbusiness angeschlossen hatten, von Alicia Keys bis zu Whoopi Goldberg. "Jedes Kind, jede Frau und jeder Mann müssen Arm im Arm auf die Straße gehen, um gegen diese Nominierung zu protestieren", hieß es im Text. Dies sei der Moment, in dem die Stimmen der Menschen zusammen kommen müssten, um das Schicksal der Nation zu ändern.

Das Schicksal der Nation: Darunter machen es die Gegner von Brett Kavanaugh nicht mehr. Der immerhin zeigt jetzt etwas Reue. In einem - für so ein Verfahren ungewöhnlichem - Meinungsbeitrag für das Wall Street Journal wirbt er für seine Nominierung. Er werde ein unabhängiger und überparteilicher Richter sein, verspricht er dort. Und erklärt, dass er in seiner Anhörung womöglich etwas zu emotional aufgetreten sei. Was ihm den Vorwurf einbrachte, in Wahrheit ein strammer Parteisoldat der Republikaner zu sein.

An diesem Freitag will der Senat das erste Mal über den Kandidaten von US-Präsident Donald Trump für den Obersten Gerichtshof abstimmen, voraussichtlich am Samstag folgt das Schlussvotum. Bis dahin, so scheint es, werden auch die Proteste gegen ihn immer lauter.

Wer in diesen Tagen durch Amerikas Hauptstadt geht, sieht sie an jeder Ecke und in jeder Form. Lichtinstallationen an Häuserfassaden, auf denen steht: "Brett Kavanaugh ist ein Sextäter." College-Studenten, die sich vor Eingangstore des Weissen Hauses setzen. Aufkleber an Mülleimern und Ampelpfosten, auf denen man liest: "#StopKavanaugh".

Auch in den Kommentaren der großen Medienhäuser blitzt sie überall auf, die Wut über den Richter, über die ihm vorgeworfenen sexuellen Übergriffe und über die Art und Weise, wie er sich vergangene Woche in der Anhörung vor dem Senat aufführte. Der Tenor: Die Republikaner werden bei den kommenden Zwischenwahlen im November büßen. Dafür, dass sie in Zeiten von "#metoo" verbissen an Kavanaugh festhalten. Dafür, dass sie größtenteils schweigen, wenn Präsident Donald Trump öffentlich über Kavanaughs Anklägerinnen spottet. Die Abwendung der moderaten Wähler von der Republikanischen Partei, so prognostizieren es einige Medien, werde sich nun beschleunigen.

Möglich, dass sie damit recht haben. In aktuellen Umfragen wie jener der Quinnipiac-Universität findet sich für eine Bestätigung Kavanaughs keine Mehrheit. Doch es gibt auch Anzeichen, dass der Fall Kavanaugh ganz andere Konsequenzen haben könnte: einen Rückschlag für die Demokraten nämlich. In der gleichen Umfrage sagt eine relative Mehrheit von 49 Prozent der Befragten, sie halte Kavanaugh für das Opfer einer Schmierenkampagne. Bei den Republikanern ist die Rede von einer wachsenden Abscheu vor der Strategie der Opposition, die vor nichts zurückschrecke, um Kavanaugh zu verhindern. In den linksliberalen Redaktionen möge das noch nicht angekommen sein, schreibt der konservative Kolumnist Hugh Hewitt, "aber da draußen im Land brodelt ein Vulkan".

Es gibt auch Umfragen, die den Republikanern Hoffnung machen. Sie legen nahe, dass sich ihre Basis auf einmal viel stärker für die Zwischenwahlen vom 6. November interessiert als bisher. Laut einer Befragung der Sender NPR und PBS ist der Anteil jener Wähler, die die Zwischenwahlen für "sehr wichtig" halten, inzwischen bei Demokraten und Republikanern fast gleich groß. Noch vor Kurzem hatte die Opposition in diesem Punkt einen deutlichen Vorsprung. Verschlechtert hat sich für die Demokraten auch die Ausgangslage in mehreren Bundesstaaten, in denen sie einen Sitz im Senat verteidigen will - etwa in North Dakota, wo der Rückstand der Demokratin Heidi Heitkamp auf den republikanischen Herausforderer gewachsen ist.

"Alle haben die Nase voll"

Für diese Entwicklung sei der Fall Kavanaugh verantwortlich, sagte der republikanische Senator Lindsey Graham am Dienstag. Er habe die oft zerstrittene Partei noch nie so geeint erlebt wie im Moment. "Egal, ob es sich um Trump-Republikaner handelt, um Bush-Republikaner oder um McCain-Republikaner: Alle haben die Nase voll." Leute wie Graham kritisieren, dass es den Demokraten nicht mehr um die konkreten Vorwürfe gegen Kavanaugh gehe, die mehrere Frauen erhoben haben. Stattdessen versuchten sie, den Richter mit Geschichten aus seiner Zeit aus Jugendjahren zu diskreditieren, die mit sexuellen Übergriffen entweder nichts zu tun hätten oder unglaubwürdig seien.

Nach dieser Lesart gehört dazu auch ein Artikel der New York Times von Anfang der Woche, der sich ausführlich mit einer Episode aus den 1980er-Jahren beschäftigte, als Kavanaugh in einer Studentenbar mit Eiswürfeln nach einem anderen Gast warf. Dies habe die republikanische Basis angespornt, sagte Kevin McCarthy, Mehrheitsführer der Partei im Repräsentantenhaus. "Vor der Kavanaugh-Anhörung war die ganze Energie auf Seiten der Demokraten. Aber seit letzter Woche hat sich das fundamental geändert."

Man hört dieses Argument auch von Frauen. Vor dem Kapitol stand diese Woche Kimberly Fletcher, eine konservative Aktivistin und Gründerin einer Organisation namens "Moms March Movement". Sie war aus Oklahoma nach Washington gereist, um für Kavanaugh zu demonstrieren. Mit ihrer Hetzkampagne gegen den Richter schadeten die Demokraten und die "radikalen Feministinnen" bloß den vielen Frauen im Land, die Opfer von sexueller Gewalt geworden seien, sagte Fletcher: "Wer glaubt ihnen jetzt noch?" Es gebe in den Vereinigten Staaten eine "schweigende Mehrheit" von Frauen, die nicht so schrill seien, aber ebenfalls wollten, dass ihre Stimme gehört werde. Diese Frauen wollten eine Bestätigung Kavanaughs - und spätestens am 6. November an der Wahlurne ihre wahre Meinung äußern.

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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