Fehlzeiten:Zur Hälfte krank

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Die gängige Praxis der Krankmeldung im Job könnte sich verändern. (Foto: dpa)

Ärzte und Psychotherapeuten schlagen vor, dass Arbeitnehmer auch zu 25, 50 oder 75 Prozent arbeitsunfähig geschrieben werden können. Wie soll das gehen?

Interview von Jutta Pilgram

Der Ärzteverband Marburger Bund will Arbeitsminderungsbescheinigungen einführen, um Beschäftigte auch teilweise krankschreiben zu können. Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz, hält das für eine gute Idee.

SZ: Mit Teilkrankschreibungen will der Marburger Bund den Beschäftigten lange, komplette Krankschreibungen ersparen. Das klingt, als täte man Kranken etwas Gutes, wenn sie arbeiten dürfen.

Dietrich Munz: Manchmal trifft das zu. Gerade bei psychischen Erkrankungen kann es sinnvoll sein, dass die Tagesstruktur und die sozialen Kontakte des Arbeitsplatzes erhalten bleiben. Das muss natürlich freiwillig sein und mit den Patienten besprochen werden. Hinzu kommt: Wenn ein Teil der Erkrankung mit psychischen Problemen im Job zu tun hat, kann das besser in der Therapie bearbeitet werden, weil man es unmittelbar aufgreifen kann.

Arbeit kann also die Genesung fördern?

Sie kann dazu beitragen. Andersherum wissen wir, dass zum Beispiel arbeitslose Menschen deutlich häufiger psychisch krank sind als arbeitende Menschen. Arbeit kann durchaus hilfreich sein, um sich psychisch zu stabilisieren.

Frage an den SZ-Jobcoach
:Was tun, wenn der Chef nicht glaubt, dass ich krank bin?

Die Arbeitnehmerin ist nach einer OP krankgeschrieben, ihr Chef will das aber nicht akzeptieren. Für den Jobcoach ist die Lage eindeutig.

Soll die Teilkrankschreibung denn nur für psychische Erkrankungen gelten?

Wir empfehlen sie für psychische Erkrankungen, weil wir dies für unsere Patienten begrüßen würden. Der Marburger Bund fordert sie für alle Erkrankungen.

Bringt so eine Teilkrankschreibung den Arbeitnehmer nicht in Erklärungsnot? Man kann sich vorstellen, dass Kollegen ihn beäugen und neidisch fragen, wieso er sich den halben Tag schonen darf.

Die Alternative wäre ja die vollständige Krankschreibung. Natürlich muss geklärt werden, wie die Kollegen damit umgehen und wie viel Verständnis es im Betrieb gibt. Aber in den letzten Jahren hat eine Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen stattgefunden, und in den Betrieben ist die Auseinandersetzung darüber viel besser möglich. Das sieht man auch an der stufenweisen Wiedereingliederung nach einem Klinik- oder Reha-Aufenthalt, bei der so etwas schon praktiziert wird.

Auch das betriebliche Eingliederungsmanagement verpflichtet Unternehmen schon jetzt, Arbeitnehmer nach sechs Wochen Krankheit schrittweise wieder an den Job zu gewöhnen. Wozu braucht man dann noch Teilkrankschreibung?

Weil das Eingliederungsmanagement zu spät einsetzt. Man muss erst sechs Wochen krank sein, bevor es beginnt.

Wenn es künftig auch 25- oder 75-prozentige Krankschreibungen gibt, könnte das für die Berechnung des Krankengeldes ziemlich kompliziert werden.

Sicher, es wäre zunächst ein etwas höherer bürokratischer Aufwand, bis man gute Modelle zur Umsetzung erarbeitet hat. Man müsste zum Beispiel klären, welchen Anteil der Arbeitgeber trägt oder ob Krankengeld eventuell anteilig gezahlt wird, wenn jemand schon wieder teilweise arbeitet. Aber daran sollte eine Neuerung, die für alle Beteiligten sinnvoll ist, nicht scheitern.

Jeder fünfte Erwerbstätige geht krank zur Arbeit. Ist es da nicht ein falsches Signal, wenn künftig nur noch stundenweise krankgeschrieben würde?

Viele Beschäftigte haben Angst um ihren Job, wenn sie länger fehlen. Da kann die Teilkrankschreibung ja gerade klarstellen, dass sie keineswegs arbeitsunwillig sind, sondern - ärztlich oder psychotherapeutisch bescheinigt - vorübergehend nicht in der Lage, Vollzeit zu arbeiten, aber auch nicht ganz ausfallen wollen. Arbeitsfähigkeit ist kein Entweder-oder - darüber sollte in den Betrieben ein Nachdenken einsetzen.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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