Koalitionen in Deutschland:Dem linken Lager fehlt eine gemeinsame Botschaft

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An der Demonstration 'Ausspekuliert' in München nahmen auch viele Unterstützer aus dem linken Lager teil. Aber ein gesamtgesellschaftliches linkes Projekt gibt es in Deutschland nicht. (Foto: Florian Peljak)

Die neue Rechte, die EU-Krise und das Klima: Diese Themen schreien geradezu nach einer kraftvollen linken Gegenbewegung. Doch die ist zersplittert.

Kommentar von Joachim Käppner

Einem DDR-Kalauer zufolge bedeutete sozialistische Dialektik: In der Praxis klappt nichts, die Partei jedoch, die dafür verantwortlich ist, hat in der Theorie trotzdem immer recht. So betrachtet ist es ein dialektisches Meisterwerk, dass die linke "Sammlungsbewegung" zwei Veteranen auf dem Gebiet der Spaltung zu verdanken ist, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Er hat, nicht zuletzt aus Rachsucht, die SPD gespalten; seine Neuschöpfung, die Partei Die Linke, leidet nicht wenig am Keil der Zwietracht, den Frau Wagenknecht gern in sie treibt.

Es ist nun schon 20 Jahre her, als es in Deutschland eine linke Mehrheit gab: Ende Oktober 1998 trat eine rot-grüne Regierung an, die ihre Politik selbstgewiss als gesellschaftliches Projekt ausgab. 1969, zu Beginn der sozialliberalen Epoche, hatte Willy Brandt "mehr Demokratie wagen" wollen. Das rot-grüne Projekt besaß ähnliche, für jedermann verständliche Ziele: das Land aus der Erstarrung der Kohl-Ära zu lösen, es moderner und gerechter und dabei, so Kanzler Gerhard Schröder, "nicht alles anders, aber vieles besser zu machen".

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Und heute? Attacken von rechts, die Krise der EU und des Westens, die Macht des digitalen Kapitalismus, der dunkle Schatten einer nahenden Klimakatastrophe - das alles sind Themen, die geradezu nach einer kraftvollen progressiven Gegenbewegung schreien, wie sie in den USA Bernie Sanders verkörperte und wie sie aus der britischen Labour Party werden könnte. Verglichen mit den Gefahren der Gegenwart wirkt die Bräsigkeit der späten Kohl-Jahre wie eine leicht vermuffte, aber nicht unbehagliche Wärmestube. Doch anders als damals ist kein fortschrittliches Projekt zu erkennen. Auch deshalb liegen Linke, SPD und Grüne zusammen bundesweit nur bei 40 Prozent.

Rot-grün hat viel erreicht

Rot-Grün vereinte, bei allen Differenzen, von hartleibigen Traditionssozis bis zu den sozialen Bewegungen das Gros dieses Potenzials noch unter einem Dach. Es suchte und fand Kompromisse, gemeinsame Nenner. Atomausstieg, Gleichberechtigung für Homosexuelle, Ökosteuer, Rentenreform und, vielleicht die wichtigste historische Leistung, die Verweigerung des Gehorsams gegenüber dem US-Kriegsherrn George W. Bush 2002/2003 - dies alles traf ein Lebensgefühl. Zwar war das Bündnis vielen Zumutungen der Wirklichkeit auf Dauer nicht gewachsen. Es schickte, notabene, Soldaten in Kriege und reformierte den Sozialstaat mit einer Härte, die ökonomisch erfolgreich war, aber bei Betroffenen und in der Seele der SPD bleibende Wunden hinterließ. Rot-grün ist perdu, auch deshalb. Aber es hat viel erreicht.

Gewiss, die Bindekraft der Parteien schwindet dramatisch, das trifft auch die Linke, nicht allein in Deutschland. Und wo Schröder von der Union noch als "den Konservativen" wie als Erscheinungen von gestern sprach, macht die nach links gerückte Merkel-CDU heute den linken Parteien Konkurrenz vom Atomausstieg bis zur Homo-Ehe. Und dennoch. Dem linken Lager fehlt der gemeinsame Boden, die überzeugende Botschaft - wäre die Verteidigung der freiheitlichen Republik nicht eine solche? Nicht einmal von der eklatanten Schwäche der Union - eben erreichen die Umfragewerte der CSU ein tiefes Tal - profitiert das linke Lager.

Linkspartei auf Bundesebene geschäftsunfähig

Da reicht es nicht, dass alle für eine Reichensteuer sind oder die Autoindustrie für deren Sünden büßen lassen wollen. Während die Rechte sich aufspielt, als könne sie vor Kraft nicht laufen, ist die Linke fragmentiert, sogar in der öffentlichen Debatte. Neben die klassischen Linksintellektuellen, die einst als Gewissen der Republik galten, sind selbstmitleidige Lamentierer getreten, die allenthalben Unrecht und Diskriminierung wittern und deren Aversion gegen ein vermeintliches Machtkartell nicht geringer und auch nicht edler ist als jenes der AfD. Die Demokratie hätte bessere Verteidiger verdient.

Auf Bundesebene geschäftsunfähig ist vor allem die Linkspartei, die sich nicht nur außenpolitisch in das wohlige Wir-Gefühl folgenloser Fundamentalopposition verkriecht. Die angebliche Sammlungsbewegung wird daran wenig ändern, zieht sie doch das Trennende den Gemeinsamkeiten vor: Sie sucht "neue Mehrheiten", sammelt jedoch vor allem jene, die noch mehr Abgrenzung wollen, vor allem von Grünen und SPD. Der Politologe Albrecht von Lucke bezeichnet die Bewegung als Versuch, "den an die AfD verlorenen Protestnimbus zurückzuerobern und wieder zur ersten Adresse für die massive Wut in der Republik zu werden". Aber das ist der Weg ins Sektierertum, den gerade deutsche Linke so oft gegangen sind. Kein Wunder, dass diese Linke nicht der Wunschpartner der anderen ist.

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Die SPD zerreibt sich in der großen Koalition; die Versuchung zur Flucht in die Opposition wird stärker. Schon im Wahlkampf 2017 hat die SPD so getan, als regiere sie gar nicht mit. Statt ihre beachtlichen Erfolge wie den Mindestlohn herauszustellen, gebärdete sie sich mitten im Wirtschaftsboom, als sei das Land ein soziales Jammertal.

Diese Schwäche der SPD stärkt die Grünen. Die haben sich in der großen Nische besser verdienender Großstadtbürger mit Weltgewissen gar nicht übel eingerichtet; sie wollten 2017 regieren und besetzen mit dem Klimaschutz ein existenzielles Thema. Wahrscheinlich sind sie anstelle der SPD auf dem Weg zur neuen Volkspartei, als solche regieren sie schon in Baden-Württemberg, vielleicht auch bald in Bayern - aber auch dort wohl eher mit den Konservativen.

Die einst beschworene "Mehrheit links von der Mitte" ist verloren. Dabei begeistern sich vor allem auch jüngere Menschen weiterhin für fortschrittliche Anliegen. Zehntausende demonstrieren in München und Chemnitz gegen Fremdenhass, engagieren sich für die Umwelt oder für Flüchtlinge. Hier läge die Zukunft für ein neues linkes Bündnis. Und doch sieht es aus, als sei Rot-Grün für lange Zeit das letzte Projekt seiner Art gewesen.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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