Außenansicht:Grenzen für Steuertrickser

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Markus Meinzer, 39, Politikwissenschaftler, ist Vorstandsmitglied beim Tax Justice Network, das zu Fragen der Finanztransparenz forscht und berät. (Foto: OH)

Wenn die Großen mauscheln, sind Geringverdiener und kleine Unternehmen die Leidtragenden. Die EU will deshalb nun den weltweit agierenden Konzernen mehr Transparenz verordnen - doch Deutschland widersetzt sich. Warum eigentlich?

Von Markus Meinzer

Derzeit blockiert die Bundesregierung in Brüssel maßgeblich eine Maßnahme zur Veröffentlichung länderbezogener Konzernbilanzdaten. BürgerInnen und die Politik Europas könnten sich mittels dieser Daten aus dem Schwitzkasten der weltweit mächtigsten Lobbyisten und Steuervermeider befreien. Bisher jedoch verkennt die Bundesregierung sowohl die Chance für eine Erneuerung des europäischen Projekts als auch das große Gewicht der EU als Standardsetzer in der Weltwirtschaft.

Seit der Finanzkrise 2007/2008 haben Journalisten durch aufwendige Recherchen das industrielle Ausmaß der Steuertrickserei durch die größten wirtschaftlichen Akteure weltweit in Ansätzen aufgezeigt. Egal ob Google, Apple, Facebook, Amazon, Ferrero, Starbucks, BASF, Ikea oder SAP: Die Geschichten lassen ein Bild dreister Zechpreller entstehen, die dem Schaden der unterlassenen Steuerleistung noch den Hohn über die übrige Gesellschaft hinzufügen, wenn sie ihr Mantra abspulen, überall im Einklang mit den Gesetzen Steuern zu zahlen.

Diese Behauptung stimmt nur zum Teil, wie milliardenschwere Bescheide über zusätzlich zu zahlende Steuern bei den Betriebsprüfungen der Konzerne belegen. Zudem tun die Unternehmen so, als seien sie am Gesetzgebungsprozess gänzlich unbeteiligt. In Wahrheit leisten sich global agierende Konzerne eine hocheffiziente Lobbymaschine und professionelle Helfer. Das sind privilegierte Berufsgruppen wie Steuerberater, Anwälte und Wirtschaftsprüfer, die hochkomplexe Rechtskonstrukte zur Steuervermeidung ersinnen. Sie greifen dafür auf kunstvoll geknüpfte Netzwerke zurück, die von der Wirtschaft bis in höchste politische Kreise reichen, um Straffreiheit sowie Steuerschlupflöcher zu garantieren.

Diese Seilschaften funktionieren, solange sie im Verborgenen wirken. Paradise Papers, LuxLeaks und andere Enthüllungen ermöglichen einen seltenen Blick hinter die Kulissen, doch sie können das System nicht lahmlegen. Der System-Gau für die industrielle Steuervermeidung wäre das regelmäßige Vermessen der Steuermauschelei durch öffentliche länderbezogene Konzernbilanzen. Im EU-Bankensektor gibt es schon ähnliche Pflichten. Vor wenigen Monaten zeigten Ökonomen der Uni Köln, dass diese Veröffentlichungspflichten deutlich höhere Steuerquoten besonders bei Banken mit Steueroasengeschäften bewirkt haben. Werden länderspezifische Konzernbilanzen öffentlich, sorgt das für mehr Steuereinnahmen, der Grund liegt auf der Hand: Die Konzerne müssen um ihren Ruf fürchten. Die Geschäftsführung wird versuchen, Negativschlagzeilen oder gar Boykottaufrufe zu vermeiden. Ähnliches gilt für die Steuerbehörden selbst: Deren politische Leitung wird eher vor fragwürdigen Deals zurückschrecken, wenn diese Nachfragen nach sich ziehen können.

Die EU-Kommission und das EU-Parlament haben deshalb vorgeschlagen, solche Berichtspflichten für die größten Konzerne aller Branchen einzuführen. Diese Berichtspflichten würden für alle Länder, in denen die Konzerne aktiv sind, wichtige Kennzahlen über deren Wirtschaftsaktivität, Gewinne und Steuerzahlungen offenlegen. Alljährliche, lückenlose Finanztransparenz könnte aus Sicht der Konzerne unkalkulierbare Reaktionen bei WählerInnen, kleinen und mittelständischen Firmen sowie KonsumentInnen hervorrufen: an der Wahlurne, in der Handelskammer, am Supermarktregal.

Leidtragende der Konzernsteuermauschelei sind Durchschnitts- und Geringverdiener. Die können sich der Besteuerung über Mehrwert- und Einkommenssteuer kaum entziehen und müssen so für fehlende Steuereinnahmen in die Bresche springen. Im Trend der vergangenen Jahrzehnte schultern diese Gruppen einen wachsenden Teil des Steueraufkommens. Das sind dieselben sozialen Schichten, die am meisten unter mangelhaften öffentlichen Dienstleistungen infolge fehlender Steuern leiden - man denke an Lehrermangel, Ausstattung von Universitäten oder soziale Dienstleistungen für Alleinerziehende.

Ähnliches gilt für kleine und mittelständische Firmen, die gegenüber den Großen nicht nur steuerlich den Kürzeren ziehen. Auch was die Transparenz angeht, wird mit zweierlei Maß gemessen. Wenn sie nur im Inland tätig sind, enthalten die Jahresabschlüsse der Mittelständler meist längst die Bilanzdaten, gegen deren Veröffentlichung sich die globalen Monopolgiganten bisher so erfolgreich wehren.

Kein Wunder also, dass das Ansinnen der EU-Kommission den Widerstand mächtiger, uralter Kräfte weckt. Schon 1978 drohte ein System-Gau, als die Vereinten Nationen kurz davor standen, Konzerne zu verpflichten, für ihr gesamtes Netzwerk an Tochtergesellschaften inklusive aller Steueroasen lückenlos Jahresabschlüsse zu veröffentlichen. Mithilfe der USA, Deutschlands und anderer OECD-Staaten gelang es Wirtschaftslobbyisten damals, diesen Vorstoß zu stoppen. Anstelle der UN sind seither private Steuerberatungskanzleien als Standardsetzer von der OECD inthronisiert worden. Der Bock als Gärtner: Bis heute sind es vor allem die großen vier Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, welche die einflussreichen Rechnungslegungsstandards für Konzerne festlegen. Die EU und viele andere Länder der Welt haben diese bisher als vermeintlich unpolitisch und rein technisch abgenickt.

Das könnte sich ändern, wenn die Bundesregierung ihren Widerstand gegen den Vorschlag für öffentliches "country by country reporting" aufgäbe. Im Europäischen Ministerrat spielt Deutschland das Zünglein an der Waage und lehnt öffentliche Konzernberichte bisher ab - an der Seite Luxemburgs, Irlands, Zyperns, Maltas, Ungarns, Schwedens, Ungarns und Österreichs. Mit der Ausnahme Schwedens sind das berühmt-berüchtigte Konzernsteueroasen. Dem SPD-geführten Finanzministerium stünde es also gut zu Gesicht, im Alleingang in Brüssel die Zustimmung zu geben. Es gibt unwürdigere Vorhaben, den Koalitionsfrieden aufs Spiel zu setzen.

Solange Deutschland sich hinter kleinkarierten rechtlichen Argumenten, irrationalen Ängsten vor dem Niedergang des Wirtschaftsstandorts Deutschlands und dem Verweis auf halb gare Zwischenschritte auf dem Weg zu mehr Transparenz versteckt, kann Europa nicht gedeihen. Deutschland sollte das weltpolitische Gewicht Europas als Standardsetzer für die Weltwirtschaft nicht mehr leugnen und damit der Globalisierung zu einem menschenwürdigeren Antlitz verhelfen. Das Zeitfenster für die Verabschiedung des unterschriftsreifen Vorschlags in Brüssel schließt sich schnell - es bleiben nur noch wenige Wochen, um ihn vor der Europawahl durchzubringen. Worauf warten wir?

© SZ vom 09.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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