Geretsrieder Kulturherbst:Augenblick mal!

7. Geretsrieder Kulturherbst 2018

Konstantin Wecker singt, rezitiert und erzählt. Cellistin Fany Kammerlander begleitet am Cello.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Konstantin Wecker, Fany Kammerlander und Jo Barnikel geben ein zeitlos schönes, mal poetisch anrührendes, mal politisch aufrührendes Konzert.

Von Felicitas Amler

Schwer zu sagen, wann in diesem Konzert das eigentliche Programm geendet und wann die Zugaben begonnen haben. Der Abend scheint auf wunderbare Weise gar nicht aufzuhören. Immer wieder kommen Konstantin Wecker, Fany Kammerlander und Jo Barnikel zurück, singen und spielen, zu dritt, zu zweit oder allein. Das Publikum hat schon mehrmals stehend applaudiert und immer wieder frenetisch-rhythmisch geklatscht. Und das Trio ziert sich nicht. Noch und noch gibt es zu. Politische Balladen wie jene auf die Weiße Rose: "Ihr habt geschrien, wo alle schwiegen." Schwelgerische Poesie: "Und i schenk mi her, bin ois und neamands mehr, nur a Tropferl im Meer." Und antifaschistische Appelle: "Sage Nein!"

Zum dritten Mal ist der Liedermacher Konstantin Wecker einer der Stars des Geretsrieder Kulturherbsts: Sanguinisch wie eh und je, stimmlich ganz der Alte, und was seine Überzeugungen "zwischen Zärtlichkeit und Wut" angeht, ohnedies ungebrochen. Wenn man den 71-Jährigen so auf der Bühne erlebt, wie er sich am Sonntag vor beinahe ausverkauftem Geretsrieder Festzelt präsentiert, hofft man still vor sich hin, dass er auch in zwei Jahren wieder da sein wird. Am besten in genau dieser Besetzung: mit dem famosen Pianisten Jo Barnikel, seinem ebenbürtigen "musikalischen Lebensgefährten", und der großartigen Fany Kammerlander, deren Cello oft wie eine zweite, warme Singstimme zu Weckers Liedern erklingt.

Immer wieder aktuell: der Willi

Wecker beginnt mit seinem Klassiker, dem "Willi", und gibt damit eine Leitlinie für den Abend vor. Dass "die Nazis heute in die Parlamente drücken", treibt den Musikpoeten um. Er singt und redet dagegen an, er appelliert und wirbt. Und er bleibt nicht bei der Verachtung für die AfD und Gaulands "Vogelschiss"-Geschichtsbild stehen. In einem Dank an jene Spanier, die im Sommer endlich die im Mittelmeer herumirrenden, von Malta und Italien abgewiesenen Bootsflüchtlinge aufnahmen, sagt er über die Retter: "Jeder einzelne von ihnen ist wertvoller als Ihr unmenschliches Taktieren, Herr Seehofer."

Poesie und Ungehorsam sind die Konstanten in Weckers Programm, womöglich in seinem Leben. Poesie sei, was die Herrschenden fürchten, glaubt er. Und: "Das Leben will nicht stramm marschieren, es lädt zum Tanzen ein. Wer mit dem Leben tanzen will, muss ungehorsam sein." Im Publikum genießt man all dies vielleicht gerade deswegen so hingebungsvoll, weil der Ungehorsam im eigenen Alltag nicht immer den Takt vorgibt.

Alle zwei Sekunden werde ein Mensch auf dieser Erde zur Flucht gezwungen, sagt Wecker. Wovor sie fliehen? "Vor unseren Waffen, vor unserer Ausbeutung." Zwischen Kapitalismuskritik, Pazifismus und Antifaschismus passt bei ihm aber immer noch jede Menge Lyrik und Sentimentalität. Eine Liebeserklärung an den sanften Vater zu ebenso sanft auf Klavier und Cello schwingendem "Nessun dorma"; ein musikalisches Loslassen der eigenen Söhne Valentin und Tamino; das weitergedichtete Novalis-Poem vom "geheimen Wort" und schließlich sogar ein Versuch, den Leiermann aus Schuberts Winterreise zu interpretieren. Denn Schubert, so erklärt Wecker, sei "mein Liedermacher-Ziehvater", und in manchen Melodien "schubertlt's ein bisschen". Man könnte hinzufügen: Manchmal mozärtelt's auch.

Nachwuchs-Auftritt

Für einen Solo-Auftritt überlässt Wecker einer jungen Kollegin die Bühne, um zu zeigen, dass sein Metier keineswegs auszusterben drohe. Tamara Banez singt für die "Sisters, Sisters", so ihr Titel: "Die Welt muss weiblich werden, sonst geht sie vor die Hunde." Ein Einsprengsel im Programm, das dann wieder mit viel Wut und Zärtlichkeit weitergeht. Ein großer Erfolg beim Publikum ist der "Wehdam", ein bayerischer Blues, der die Zuhörer unterm Sternenzeltdach musikalisch zum Mitwippen, -schnippen und -klatschen verführt und sprachlich die schönsten Bilder eines köstlich melancholischen Tags malt: "Zwei Kinder spieln verloren blinde Kuh. Ein dicker Hund begattet meinen Fuß. Zwei Elstern schaun mir schräg beim Zuschaun zu und bringen von der Liebsten keinen Gruß."

Am Ende bedankt Wecker sich: Es sei für einen Künstler schon ein Geschenk, "ein Publikum haben zu dürfen, das ihm über drei Stunden bei Gedichten zuhört". Guter Scherz. Wer hat da wem zu danken? Und ist nun tatsächlich Schluss? Nein, eins noch - das Gedicht vom Augenblick. Wie gemacht für diesen wunderbar zeitlosen Abend: "In der Zeit muss alles sterben, aber nichts im Augenblick."

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