Autokratien:Das internationale Recht gerät ins Rutschen

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Pokerfaces: Saudi-arabische Konsulatsangehörige verlassen ihre Vertretung in Istanbul, während vor dem Gebäude Menschen gegen das plötzliche Verschwinden von Jamal Khashoggi demonstrieren. (Foto: AFP)

Wenn autokratische Regime in ihren Allmachtsfantasien die Willkür über die Landesgrenzen wandern lassen, wenn sie das Unrecht internationalisieren, ohne sich rechtfertigen zu müssen, dann zeugt das von ihrer gewachsenen Macht.

Kommentar von Stefan Kornelius

Rechtlose Staatssysteme entstehen nicht auf dem Reißbrett. Sie wachsen langsam, mit bestellten Urteilen, Willkürentscheidungen, Intransparenz. Die Polizei schikaniert und verhaftet, die Ermittler schauen weg, Papiere gehen verloren, Verfahren werden manipuliert, politische Gegner oder Kritiker verschwinden oder wandern ohne Begründung ins Gefängnis.

Solche Systeme gab es schon immer. Eine neue Qualität erreichen Unrechtsregime nun, wenn sie in ihren Allmachtsfantasien die Willkür über die Landesgrenzen wandern lassen, wenn sie das Unrecht internationalisieren. In zwei spektakulären Fällen ist das nun geschehen: Der Interpol-Chef Meng Hongwei ist bei der Einreise nach China inhaftiert worden; der saudische Regimekritiker Jamal Khashoggi ist nicht wieder von einem Besuch des saudischen Konsulats in Istanbul zurückgekehrt. Türkische Ermittler vermuten, er sei ermordet worden.

Beide Fälle sind nicht vergleichbar, vor allem bleiben die Hintergründe dubios. Gemein haben sie allerdings die Unverfrorenheit, mit der internationale Rechtsstandards missachtet werden und wie selbstverständlich das Recht der Stärke reklamiert wird.

Meng Hongwei
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Ende September verschwindet Meng in China. Nun teilt Peking mit, er stehe "unter Aufsicht". Bei Interpol geht ein Rücktrittsgesuch ein. Die Polizeiorganisation scheint nicht mit der Rückkehr ihres Chefs zu rechnen.

Von Lea Deuber

Im Falle Chinas ist Meng Hongwei nicht das erste Opfer, das festgesetzt wird. Peking war schon bei früherer Gelegenheit nicht zimperlich. Spektakulär war die Entführung des Buchhändlers Gui Minhai, der einmal aus dem Ausland gekidnappt und einmal aus einem Eisenbahnabteil im Beisein von ausländischen Botschaftsangehörigen festgenommen wurde. Der Fall wurde wohl nur deshalb international bekannt, weil Gui Minhai auch schwedischer Staatsbürger ist.

Petitesse aus dem Geheimdienstmilieu

Die Liste wächst und wächst: Vietnams Geheimdienst hat den Regimeflüchtling Trinh Xuan Thanh mitten in Berlin entführt und in der Heimat vor Gericht gestellt. Türkische Regierungskritiker, viele davon ebenfalls in Deutschland geduldet, fürchten ähnliche Schicksale. Und selbst der dreiste Mordversuch an den Skripals in Großbritannien wird von Russlands Präsidenten mit großer Lässigkeit als Petitesse aus dem Geheimdienstmilieu abgetan.

Das Recht gerät ins Rutschen, und es zeugt von der gewachsenen Macht und dem berstenden Selbstbewusstsein von Willkürregimen, wenn diese Systeme nun nicht einmal mehr den Zwang zur Rechtfertigung verspüren. Der Präsident von Interpol - plötzlich ein Verbrecher, der an der Grenze in Handschellen gelegt wird? Dieses Verfahren hat mit dem Rechtsverständnis von Interpol nichts gemein und bestärkt den Verdacht, dass China sich den völkerrechtlichen Gepflogenheiten von Auslieferungsverfahren und transparenter Verfahrensführung überhaupt nicht unterwerfen will.

Diese Verhöhnung von Rechtsstandards hat - neben der Natur der Regimes - eine zweite Quelle: den Mangel an Widerspruch, ja massivem Druck einer globalen Instanz. Die USA haben sich aus dem Menschenrechtsgeschäft weitgehend zurückgezogen, nachdem sie jahrelang selbst ein Willkürsystem betrieben haben. Der Internationale Strafgerichtshof wird von der Trump-Regierung bedroht, überhaupt wird die Bedeutung des Völkerrechts und des internationalen Strafrechts relativiert. Die Europäische Union kann das Defizit nicht ausgleichen, sie ist selbst angreifbar. Dies ist das globale Klima, in dem die Willkür wächst.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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